Serie zum DDR-Sport (2): Sperriger Dreikämpfer

In der DDR wurde Triathlon weitgehend ignoriert. Manfred Kruczek engagierte sich trotzdem – und wurde von der Stasi überwacht.

Leute an einer Mauer

Erinnerung als Anliegen: Manfred Kruczek an der Mauergedenkstätte Griebnitzsee Foto: imago images

Im April 1989 nahm der bekennende Breitensportler Manfred Kruczek aus Potsdam einen Brief aus Bonn aus seinem Briefkasten. Als er ihn öffnete, stellte er voller Freude fest, das der Brief eine Einladung zum 1. Bonn-Marathon am 10. Juni 1989 enthielt. Bonn, damals Hauptstadt der Bundesrepublik, hatte erst 1988 mit der DDR-Bezirkshauptstadt Potsdam eine deutsch-deutsche Städtepartnerschaft unterzeichnet.

Kruczek, parteilos und als Mitglied der katholischen Peter-und-Paul-Gemeinde in ökumenischen Friedenskreisen aktiv, fragte bei der in der Potsdamer Stadtverwaltung zuständigen SED-Stadträtin für Internationale Beziehungen, Ute Röthling, nach, ob sie diese Reise befürwortet. „Sie fand schon das Anliegen anmaßend und lehnte es schroff mit der Begründung ab, dass Bonn ja westliches Ausland sei und eine solche Reise zudem Devisen kosten würde“, erinnert sich Kruczek. Dabei hatten die Organisatoren ausdrücklich angeboten, Übernachtungs- und Startkosten zu übernehmen. Lediglich laufen müsse der Sportsfreund aus der DDR selbst.

Manfred Kruczek, 1950 bei Jüterbog geboren, hatte schon immer ein Faible für den Breitensport, 1984 lief er seinen ersten Marathon, den sogenannten „Friedenslauf“ durch Ostberlin. Der Diplomwirtschaftler schloss sich 1986 der Betriebssportgemeinschaft WBK Potsdam an. Nachdem er wegen seiner Freundschaft zu einem von der Stasi inhaftierten Widerständler seinen Job bei der staatlichen Finanzrevision verloren hatte, war er nach Potsdam zum dortigen Wohnungsbaukombinat versetzt worden.

Kruczek stand seit 1979 selbst unter Stasi-Beobachtung. Der Überwachungsvorgang „Transit“ war ihm gewidmet. Später wurde die Operative Personenkontrolle „OPK Läufer“ daraus. Kruczeks Motto war immer: „Widerstand in Diktaturen ist der Selbstversuch, die eigene Würde zu bewahren.“

Randsport A3K

In seiner neuen Sportgemeinschaft war er an der Gründung einer kleinen Sektion beteiligt. „Ausdauer/Triathlon“ nannte die sich. Die weltweit immer populärer werdende Sportart Triathlon aus dem Westen hatte auch in der DDR erste Anhänger gefunden. Um das Jahr 1983 soll es erste Triathlonwettkämpfe gegeben haben. Der Sport hatte es schwer.

Kruczek erinnert sich: „Es gab in der DDR in den 80er Jahren die unabhängige Interessengemeinschaft Triathlon in Borthen bei Dresden, da der DDR-Sportbund (DTSB) die Aufnahme und Förderung der Disziplin Triathlon prinzipiell abgelehnt hat.“ Der westlich geprägte Begriff Triathlon wurde vom Sportapparat teils ignoriert, meist hieß es deshalb Ausdauerdreikampf („A3K“).

Der Mauerfall sorgte für viele unvergessliche Momente. Beim Berliner Neujahrslauf am ersten Tag des Jahres 1990 lief er durch das Brandenburger Tor

In Potsdam wurde ab 1986 der Brauhausberg-Triathlon ausgetragen. Es galt dabei, in der Schwimmhalle 1.500 Meter zurückzulegen, dann ging es auf einen 60-km-Rundkurs mit dem Rad, sowie auf eine 15 Kilometer lange Laufstrecke im Wald. Kruczek fallen in der Rückschau viele Begebenheiten ein. „Es war meist nicht so einfach für die Organisatoren von Triathlon-Veranstaltungen in der DDR, die Logistik hinzukriegen. Detaillierte Ergebnislisten gab es wegen unzureichender Computertechnik oftmals erst Wochen später.“

Gerne erinnert er sich an Wettkämpfe wie den Hennigsdorfer Triathlon in Oranienburg oder auch den in Dierhagen an der Ostseeküste. Das war der „Bodden-Dreikampf“, den Kruczek Anfang September 1989 absolvierte. „Es waren ziemlich widrige Bedingungen. Wir sind bei heftigem Sturm in Ufernähe teils geschwommen, teils aber auch über Sandbänke gelaufen. Anschließend ging es auf öffentlichen Straßen bei heftigem Urlauber-Rückreiseverkehr und Dauerregen mit der Kunstlederkappe als Kopfschutz, auf die Radstrecke.“

Sportbeauftragter in Brandenburg

Kruczek beteiligte sich im Herbst 1989 aktiv an der friedlichen Revolution in Potsdam und wirkte auch an der Besetzung der Stasi-Bezirksverwaltung als Mitbegründer des Bürgerkomitees mit. Der Mauerfall sorgte für viele unvergessliche Momente. Beim Berliner Neujahrslauf am ersten Tag des Jahres 1990 lief er durch das Brandenburger Tor. Kruczek hatte ein Schild dabei, worauf stand: „WBK Potsdam grüßt alle deutschen Triathleten“.

Ein Mann, Manfred Kruzcek

Manfred Kruczek Foto: privat

Den ersten gesamtdeutschen Triathlon absolvierte Kruczek dann im März 1990. „Zum Glück war es für die Jahreszeit ziemlich warm, fast 20 Grad. Auf der Radstrecke sollte am Umkehrpunkt bei Kilometer 20 die Nationale Volksarmee den Athleten den Weg weisen. Doch die Genossen lagen im Straßengraben und verschliefen die Spitzengruppe, sodass das Rennen neutralisiert werden musste.“

„Als Entschädigung für den damals unerreichbaren Bonn-Marathon im Jahr 1989“, so erzählt Kruzcek, konnte er dann im September 1990 den historischen Berlin-Marathon bestreiten, der erstmals durch das Brandenburger Tor führte. Die Brutto-Lauf-Endzeit betrug respektable 3:00:17 Stunden, „was wohl auch daran lag, dass ich im aufregenden Revolutionsjahr ganze sieben Kilo mühelos abgenommen hatte“.

Im Herbst 1990 wurde ­Kruczek Sportbeauftragter im Brandenburger Ministerium für Bildung, Jugend und Sport und wirkte bis zu seinem Ruhestand im Jahr 2016 als Breitensportreferent des Landes. Dabei engagierte er sich besonders für die Unterstützung kleiner Vereine, den Kita-, Frauen- und Senioren-Sport sowie verschiedene Sportveranstaltungen im ländlichen Raum. Zusammen mit der Sportjugend entwickelte er das Projekt der Schülerwandertage, das bisher über 30.000 Schülern und Schülerinnen aus Brandenburg und Berlin auf dem Fläming-Skate-Areal bei Berlin, das Laufen von Inline-Skates vermittelt hat.

„Stand with Hongkong“

Bis heute ist Kruczek beinahe täglich mit Leidenschaft auf dem Rad oder den Inline-Skates und im Winter auf den Langlaufskiern zwischen dem Thüringer Wald und den Alpen unterwegs. Seit 2005 ist er als Vorstand des „Forums zur kritischen Auseinandersetzung mit der DDR-­Geschichte im Land Brandenburg“ aktiv. Dabei setzte er gegen die Gleichgültigkeit der Denkmalpfleger mit seinem Forum im Jahr 2009 die Schaffung einer Mauer-Gedenkstätte am Potsdamer Griebnitzseeufer durch. Sie wurde an der Stelle mit den letzten erhaltenen stummen Beton-Zeitzeugen der SED-Diktatur errichtet.

Am 13. August sowie am 9. November richtet sein Erinnerungsforum dort alljährlich eine Gedenkveranstaltung an die Opfer von Mauer und deutscher Teilung aus. In diesem August nahmen zum ersten Mal zwei Schulklassen aus Berlin und Potsdam daran teil.

Neulich stand der Rentner wieder an der Strecke, mit seinen Enkeln. Beim „Berliner „Mauerweglauf“, der über 160 Kilometer entlang des ehemaligen Grenzstreifens führt, halfen sie mit am Verpflegungspunkt bei Kilometer 89. Ganz zum Schluss kam an diesem Tag noch ein Läufer daher, der die Kruzceks beeindruckt hat. Er war mit einem Plakat auf seinem Rücken unterwegs: „Stand with Hongkong“ stand darauf.

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