Sexclub Ü70: Sexualität ist altersunabhängig
Berührung ist wichtig für körperliche und mentale Gesundheit. Tobias Rausch und Caro Fuhr wollen einen sexpositiven Club für Menschen ab 70 eröffnen.
I ch werde alt, wir alle, ich weiß, aber ich habe bald Geburtstag (am selben Tag wie Friedrich Merz), und da ist das Thema traditionell präsenter als sonst im Jahr. In etwa so wie der Wunsch nach Punsch Anfang Dezember stärker ist als im Juli. Ich trage noch gern Kapuzenpullis und gehe mit 20-Jährigen in dieselben Fitnesskurse, dennoch ist mein Haar unter der Kapuze dünner und die auf dem Kinn werden mehr. Bevor ihr nun seufzend den Artikel weglegt und mich bittet, eher für die Brigitte Woman zu schreiben, möchte ich schnell zu meinem Herzensthema kommen: Sex.
Ich produziere den Podcast „Sex in Berlin“ und veröffentliche dazu die passenden Bücher. Durch diese besondere Arbeit lerne ich immer wieder Menschen mit „ausgefallenen“ Berufen und Ideen kennen, vom „Kreuzigen im Park“ bis zu „Nackt Tee trinken“, hier bei uns in Berlin gibt es eben alles. Vor Kurzem habe ich ein Duo kennengelernt, das einen Sexclub für 70-Jährige aufmachen will, und mein Herz hat einen Satz gemacht.
Caro Fuhr
Tobias Rausch und Caro Fuhr wollen ein Projekt mit „soziokulturellem“ Charakter und ganz besonderem Angebot konzipieren. Die Idee, einen sexpositiven Club für Ältere zu eröffnen, kommt laut Fuhr durch die große Nachfrage. Sie sagt: „Das Bedürfnis nach Nähe verschwindet nie. Berührung ist essenziell für die körperliche und mentale Gesundheit. Das Thema Einsamkeit beschäftigt uns gesellschaftlich zunehmend. Körperliche Nähe wirkt dem entgegen, allerdings verringert sich der Zugang zur Befriedigung dieser Bedürfnisse mit dem Alter.“
Tanzfläche und ruhige Ecken
Tobias Rausch ist Theaterregisseur, Caro Fuhr Philosophin und Schauspielerin, zusammen mit Senior*innen planen sie den Club. Es wird ein Theaterkonzept, und natürlich eine Tanzfläche und ruhige Ecken geben, um sich näher zu kommen. Das klingt nach einem Ort, den ich in jedem Alter mögen würde. Tobias Rausch, ergänzt: „Wir wollen etwas schaffen, an dem man auch mit körperlichen Einschränkungen mitmachen kann. Manche verlieren später im Leben ihre Partner*innen, die Mobilität nimmt ab; viele schämen sich zunehmend für ihren Körper, haben das Gefühl, mit bestehenden Angeboten nicht gemeint zu sein.“
Ich kenne wenige Clubs, die überhaupt barrierearm sind. Traurig, wenn man bedenkt, dass allein innerhalb der Stadtgrenzen rund 40.000 Menschen einen Rollstuhl brauchen.
Wie sind die Reaktionen auf ihre Idee? „In privaten Gesprächen ist das Spektrum groß: von ‚Wow, wie cool und notwendig‘ über ‚Hä, hat man in dem Alter noch Sex?‘“, sagt Caro Fuhr. „In der Berliner Club- und der sexpositiven Szene scheint das aber generell ein heißes Thema zu sein. Wir sind bisher überall auf großes Interesse und Freude gestoßen, auch weil gesehen wird, dass es momentan für diese Altersgruppe keine Angebote gibt. Leider gestaltet es sich als schwierig, Förderer und Sponsoren zu gewinnen. Vielen scheint der Mut zu fehlen, sich dieses stigmatisierten Themas anzunehmen und ihren Namen draufzusetzen.“
Intimroboter – weiche Oberflächen mit Sensoren
Bei einer Veranstaltung zur Menopause treffe ich Tina Holmes. Sie ist Expertin für Karriere, Sexualität und Wechseljahre und blättert gerade durch die sehr umfassende klinische Studie von Womanzier zum Zusammenhang von Masturbation und der Linderung von Wechseljahresbeschwerden. Tinas Augen leuchten, als ich ihr von der Idee des Ü70-Clubs erzähle. „Sex entwickelt sich ein Leben lang – Bedürfnisse, Beziehungen, Hormone, alles. Aber es ist wichtig, dass man in jedem Alter sinnlich sein kann, sich ausprobieren darf, egal welchen Geburtstag man bald feiert. Wir sind ja keine Roboter, bei denen man nach einer bestimmten Zeit den Stecker für Lust zieht.“
Zum Thema Roboter hat Sarah Zeugner mit Karma Robotic eine Idee. Zeugner sagt: „Wir leben in einer Zeit, in der Berührung neu verhandelt wird. Über 40 Prozent der Menschen sind über 65 in Deutschland, viele leben allein. Rund jede*r Vierte beschreibt laut der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie Einsamkeit als Dauerzustand. Gerade im Alter, aber auch bei Menschen mit Behinderung, fehlt oft körperliche Nähe. Dafür gibt es Intimroboter, technologisch weiterentwickelte humanoide Systeme, die auf körperliche Nähe reagieren, Berührung imitieren und zunehmend emotional auf den Menschen eingehen können.
Hinter ihrer weichen Oberfläche liegen Sensoren, Temperaturschichten und lernfähige Algorithmen, die Stimme, Stimmung und Bewegung deuten. Was zunächst befremdlich klingt, kann für manche Menschen eine Form der Zuwendung werden, nicht als Ersatz für menschliche Beziehungen, sondern als Brücke zu Selbstwahrnehmung, Geborgenheit und Würde.“ Ihre Puppe ist blond, sehr hübsch, sieht aus wie Sarah selbst, kurz bin ich initiiert, um mich dann aber wieder an meinen Grundsatz zu erinnern: beim Thema Sex nie zu beurteilen, was für andere passt.
Kundschaft auch Ü70
Dass Dinge gut passen, ist eben auch bei Kleidung für Clubs und Partys wichtig. Es kann ja nicht immer der Kapuzenpulli sein. Wer sich damit auskennt, ist Claudia Haßmüller, die Besitzerin von „Hautnah“, der ältesten Fetischboutique Berlins. Sie sagt: „Zu uns kommen auch 70-Jährige oder Ältere, wir unterstützen alle darin, Lust an der Sexualität zu kultivieren, das ist unsere Passion. Orgasmen lassen sich in jedem Alter erleben, sie erhalten den Lebensfluss“.
Bei der Nachfrage, was sie von Clubs für 70-Jährige hält, lächelt Haßmüller, sie ist gerade 60 geworden und sagt: „Ich mag es eigentlich, wenn auch Jüngere dabei sind – sich alles mischt, das macht doch dann erst richtig Spaß.“
Das kann ich gut nachvollziehen und muss an das Buch von Miranda July denken, in dem eine Frau glücklich mit ihrem jungen Liebhaber ist – man kann auf diese Idee kommen oder auf andere – Hauptsache, es passt für alle. Sexualität beginnt nicht plötzlich mit 16 und hört dann auf, wenn Haare in den Ohren wachsen. Sex ist der Anfang des Lebens und eben nicht nur „Aubergine in Pfirsich“, sondern: Intimität, Nähe und Verbindung.
Porno für Ältere
Was kann man also tun? Erst mal niemanden abwerten und beurteilen, weder andere noch sich selbst, und dann spüren, was man sich wünscht, und schauen, wer einem das geben kann.
Die Porno-Produzentin Erika Lust macht extra Filme für ältere Menschen mit dem Hinweis: „Sexualität ist altersunabhängig. Unsere Zuschauerdaten zeigen, dass sexuelle Lust kein Privileg der Jugend ist, sondern ein kontinuierlicher Teil des Lebens sein kann.“
Und um ein weiteres Tabu gleich mit anzusprechen (nein, nicht Friedrich Merz & Sex), das von mir hochgeschätzte Institut für Körperforschung und sexuelle Kultur am Holzmarkt ist wie immer allen Trends voraus und macht ein Fest zu Sexualität und Tod. Ich denke, dass sich ein Besuch dort lohnt, egal wie alt man ist.
An meinem Geburtstag wird es eine sexy Vampirparty geben – vom Look wäre das ja etwas für den Kanzler, allerdings passt sein „Rambo Zambo“ nicht in unseren Kreuzberger Keller, aber Merz wird bald schon 70 – also dann perfekt für die Cluberöffnung!
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