Sexueller Missbrauch in Großbritannien: „Erschreckende Kultur des Leugnens“

Über Jahre wurden Hunderte Mädchen vergewaltigt, verprügelt und sogar gefoltert. Jetzt fordert Premier Cameron härtere Strafen.

Cameron fordert bis zu fünf Jahren Gefängnis für Beamte, die Missbrauchsfälle ignorieren. Bild: Reuters

DUBLIN taz | Die Mädchen galten als „sehr schwierig“. Deshalb meinten Polizei und Sozialdienste, sie seien selbst schuld, dass sie vergewaltigt wurden. Zu diesem Ergebnis kam eine Untersuchung des systematischen Kindesmissbrauchs in der englischen Grafschaft Oxfordshire. In dem Bericht, der am Dienstag veröffentlicht wurde, heißt es, dass rund 370 Mädchen zwischen 11 und 15 in den vergangenen 15 Jahren vergewaltigt und oft auch gefoltert wurden.

Bei den meisten Opfern handelte es sich um Mädchen in Fürsorge. Sie wurden mit Alkohol und Drogen gefügig gemacht. In Parks, auf Friedhöfen oder in leer stehenden Wohnungen wurden sie vergewaltigt, gefoltert und zur Prostitution gezwungen. Maggie Blyth, die Autorin des Berichts, sagte, die Geschichten der Mädchen seien schockierend.

So wurde zum Beispiel eine Zwölfjährige gebrandmarkt und musste eine Abtreibung bei einer Engelmacherin machen lassen, nachdem sie bei einer Vergewaltigung schwanger geworden war. Sie habe sechs Jahre lang „Foltersex“ über sich ergehen lassen müssen, erklärte das Mädchen dazu.

Polizei und Sozialdienste wussten spätestens seit 2005 Bescheid, aber sie unternahmen nichts, weil sie den Mädchen nicht glaubten. Dabei gab es Tausende von Aussagen der Opfer, und es gab 450 Vermisstenanzeigen. Wenn die vermissten Mädchen wieder aufgegriffen wurden, sperrten sie die Beamten oft in die Zellen auf den Revieren. Erst 2011 ergriff der Polizist Simon Morton die Initiative. Er untersuchte die Vermisstenanzeigen und stellte eine Verbindung zu den erwachsenen Männern her. Die Ermittlungen führten 2013 schließlich zur Verurteilungen von sieben Männern, die Gefängnisstrafen zwischen sieben und zwanzig Jahren erhielten. Von den Freiern wurde niemand belangt.

Die Missbrauchsfälle häufen sich

Oxford ist kein Einzelfall. In Rotherham hat eine Bande von Männern seit 1997 rund 1.400 Kinder und Jugendliche vergewaltigt und zur Prostitution gezwungen. Polizei und Behörden wussten über das Ausmaß ebenfalls seit 2005 Bescheid. Im nordenglischen Derby wurden 2010 neun Männer verurteilt, weil sie 26 Mädchen missbraucht hatten. Das jüngste Opfer war zwölf Jahre alt. Rochdale, Barnsley, Doncaster, Wales – die Liste ist lang.

Und sie sei nur die Spitze eines Eisbergs, vermutet Simon Bailey, Polizeichef in Norfolk. Er rechnet damit, dass in den nächsten Monaten weitere Fälle von systematischem Kindesmissbrauch aufgedeckt werden. Das Problem sei viel größer als bisher angenommen, sagt er. Neueste Erhebungen haben ergeben, dass bis zu 600.000 BritInnen in ihrer Kindheit missbraucht wurden.

In sämtliche bisher bekannten Fälle von systematischem Missbrauch waren britische muslimische Pakistaner verwickelt. Blyth forderte die Regierung auf, zu untersuchen, warum das so sei. Die Polizei gab allerdings zu bedenken, dass es sich in 90 Prozent der Fälle von Kindesmissbrauch um Einzeltäter aus dem Umkreis des Opfers handelt.

Premierminister David Cameron reagierte gestern auf die Veröffentlichung des Berichts und kündigte harte Strafen für Lehrer, Kommunalpolitiker und Sozialarbeiter an, wenn sie Missbrauch einfach ignorieren. Ihnen blühen dann bis zu fünf Jahre Gefängnis. Cameron sagt, alle Untersuchungen von Kindesmissbrauch haben bisher „systematisches Versagen und eine Kultur des Leugnens“ ans Licht gebracht. Deshalb sollen solche Taten künftig als „nationale Bedrohung“ eingestuft und mit organisierter Schwerstkriminalität gleichgestellt werden. Dadurch, so hofft er, werde sich das Bewusstsein verändern, das Kindesmissbrauch bisher als „Verbrechen zweiter Klasse“ abtut.

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