Shitstorm um Autorin Caroline Wahl: Lasst die Frau Ferrari fahren!
Der Shitstorm um Caroline Wahl zeigt: Frauen dürfen Erfolg haben, aber nicht protzen. Dabei sollte man genau das bei Frauen feiern.
H euchlerisch, enttäuschend, banal: Mit diesen Vokabeln wird Caroline Wahl derzeit durch Feuilletons und Social Media geprügelt. Dabei hat die 30-Jährige mit „Windstärke 17“ und „22 Bahnen“ noch vor ihrem dreißigsten Geburtstag gleich zwei Bestseller veröffentlicht, letzterer wurde sogar verfilmt. Auch ihr dritter Roman „Die Assistentin“ schoss in die Verkaufslisten – bis der Gegenwind losbrach.
Die Empörung, die aktuell von allen Seiten auf Caroline Wahl niederprasselt, zeigt aber nur, dass Autorinnen nicht an ihrem Werk, sondern an ihrem Auftreten gemessen werden: Wer als Frau über Armut schreibt, darf nicht in der Luxuskarre cruisen. Ambition ist dabei keine Tugend, sondern Heuchelei. Damit wird verkannt, dass künstlerisches Arbeiten nicht von biografischer Betroffenheit lebt und erfolgreiche Frauen keinen mittellosen Robin Hood spielen müssen. Auch wenn das vielen Kritiker*innen nicht passt: Lasst die Frau Ferrari fahren!
Die Anklageliste ist lang. Die Autorin habe die Themen, die sie in Büchern verhandelt – besonders Krankheit und Armut – nicht selbst erlebt. Das erkläre, warum die Erzählungen zu platt und wenig authentisch rüberkomme.
Mehr noch! Sie wolle sich an Geschichten über arme Leute bereichern und überhaupt, sowohl ihr Stil als auch die Handlung seien banal, besonders in „Die Assistentin“: Junge Frau erlebt Machtmissbrauch in der Verlagswelt – man kennt's, so lautet einer der vielen Vorwürfe, die in vielen Tiktokvideos und Kommentarspalten diskutiert werden. Aber auch die Handlungsstränge der Vorgängerbücher werden anlässlich der Neuerscheinung zerrissen.
Wahl ist schockiert von der Grausamkeit
Viele finden, Caroline Wahl dürfe diese Geschichten über schwierige Lebensverhältnisse zwar erzählen, aber bitte nicht so. Das Publikum wünscht sich mehr Tiefe, mehr Komplexität und keine Romantisierungen. Auch könne man eine Autorin, die über Armut schreibt, nicht ernst nehmen, wenn sie sich so benimmt. „Sie liebt Geld, sie gibt es aus, sie fährt Cabrio – sogar Ferrari“, schimpfen Leser*innen, besonders Frauen, auf Social Media, nachdem Wahl ihre Vorliebe für Sportwagen in einem Interview geäußert hat.
Sie dafür zu tadeln, zeugt davon, dass nicht nur der Literaturbetrieb Frauen klein halten will. Nein, auch das Publikum nimmt die Autorin nicht als Künstlerin wahr, die einen ernstzunehmenden Job hat, mit dem sie selbstredend Geld verdienen und erfolgreich sein will.
Sie maßen sich an, die Autorin als Projektionsfläche ihrer eigenen Erwartungen zu vereinnahmen und formulieren daraufhin Vorwürfe, gegen die sich Wahl nicht wehren kann. Eine Autorin, die über soziale Zwänge schreibt und dabei selbst weder prekär lebt, noch gelebt hat – das halten viele einfach nicht aus. Dabei ist gerade das der Beruf einer Autorin: Dinge zu beschreiben und zu verhandeln, ohne sie erlebt haben zu müssen.
Wahl selbst sagt zu den Vorwürfen nur „What the fuck“ und gibt zu, mit der Intensität und Grausamkeit, mit der sie kritisiert wird, nicht gerechnet zu haben. So kursieren auch Videos und Memes zu dem von ihr selbst eingesprochenen Hörbuch. Dabei machen sich auch viele über ihre Art des Sprechens lustig. Zu guter Letzt wird natürlich auch ihr Aussehen kritisiert.
Mächtige Frauen machen Männern und Frauen Angst
Die einzige legitime Kritik könnte sein, dass ihr Stil nicht die höchste Kunst ist, nicht allen passt – das mag stimmen. Trotzdem: Die Frau ist gerade mal 30 Jahre alt. Es ist davon auszugehen, dass noch viel kommt und vor allem, dass sie immer besser wird. Und vielleicht ist ja genau das das Problem. Eine Frau, die schon mit dreißig ungeniert Ferrari oder andere Flitzer fährt und damit nicht hinterm Berg hält, die protzt und in Zukunft noch mehr will, da schlottern vielen die Knie.
Ja, mächtige Frauen machen Männern Angst. Aber, noch schlimmer: Auch Frauen machen ferrarifahrende Frauen Angst. Der überwiegend weiblich angeführte Lynchmob auf Social Media ist das beste Beispiel dafür, dass Frauen noch immer an der vom Patriarchat auferlegten Scham und Zurückhaltung festhalten, wenn es um Geld geht, während jeder mittelmäßig erfolgreiche Mann einen Sportwagen fährt – was niemandem Anlass gibt, den Wert seiner Arbeit zu hinterfragen.

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„Auf so eine falsche Bescheidenheit habe ich gar keinen Bock“, das ist der Satz, der Wahl in Ungnade fallen ließ, nicht ihr Schreibstil. Und das sagt mehr über das Publikum als über Wahl. Die Kritiker*innen glauben, eine Heuchlerin zu entlarven, weigern sich aber in Wahrheit einfach, Autorinnen als Künstlerinnen ernst zu nehmen – als Menschen, die arbeiten und auch protzen dürfen. Dabei sollten viel mehr Frauen dem Prunk huldigen, Zigarren rauchen und ihr Geld verjubeln, solange, bis das die tatsächliche Banalität dieser Debatte wird.
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