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Shortlist zum Deutschen BuchpreisRingen mit der Gegenwart

Auflösung, Zerstörung, Sprachen für Wut und das Nichts: Diese sechs Romane stehen auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis.

Der Deutsche Buchpreis wird am 13. Oktober zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse verliehen Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Eigentlich, man weiß es ja, sind Minuten immer gleich lang. Die Zeit verläuft, wie sie eben verläuft, die Zukunft ist immer gleich weit entfernt. Doch die Art und Weise, wie sich gerade die Ereignisse überschlagen, wie gestern Gesagtes heute nicht mehr gilt, hat eine merkwürdige Schieflage geschaffen: Die Welt dreht sich weiter, gleichzeitig ziehen verschiedenste Kräfte sie beharrlich in die entgegengesetzte Richtung. Wringen, das ist vielleicht die Bewegung, die diesen Zustand am besten verdeutlicht, vor und zurück, man presst und presst und presst noch den letzten Tropfen heraus.

In den sechs Romanen, die nun auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis stehen, wird kräftig gewrungen, diese unsere Gegenwart, gerungen mit der Oberfläche. Auflösungen stehen im Raum, allen voran im großartigen Roman von Dorothee Elmiger. „Die Holländerinnen“ erzählt von einer Suche im Urwald, nach zwei verschwundenen Frauen, nach Bedeutung, während das Zeichensystem über der Erzählerin zusammenbricht.

Bei Thomas Melle erfolgt der Bruch im Innern: Ins „Haus zur Sonne“ checkt ein, wer vom Leben nichts mehr erwartet. Der zum vierten Mal für den Deutschen Buchpreis nominierte Melle findet in seinem Roman eine Sprache für das Nichts.

Sprachen für Wut und Zerstörung

Eine Sprache für die Wut sucht hingegen Fiona Sironic. „Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft“ – es geht ums Festhalten und Loslassen, ums Bewahren und Zerstören. Gegenläufige Kräfte sind auch hier am Werk.

Die Katastrophe ins Auge fasst Kaleb Erdmann. „Die Ausweichschule“ geht dem Amoklauf am Erfurter Gutenberg-Gymnasium nach, den Erdmann 2002 selbst miterlebte. Jehona Kicaj greift in „ë“ ebenfalls auf ihre Jugend zurück: In ihrem Debütroman rekapituliert sie das Aufwachsen in Deutschland als Kind von aus dem Kosovo geflohenen Eltern, widmet sich dem Konflikt, der Ende der 1990er Jahre während der Jugoslawienkriege ausgefochten wurde.

Eine etwas anders geartete Rolle spielt der Tod wiederum bei Christine Wunnicke: In „Wachs“ folgt die Leserin einer Anatomin im Frankreich des 18. Jahrhunderts auf der Suche nach Leichen; um zu zerlegen, was später zerfällt.

„Psychologische, gesellschaftliche und politische Abgründe“ also, räumt Jurysprecherin Laura de Weck in einer Pressemitteilung ein, die sich in dieser Shortlist auftun. Im hohen Maße gegenwärtig, das sind die Titel in jedem Fall. Der Deutsche Buchpreis wird am 13. Oktober zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse verliehen.

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