Sicherheit oder Einbildung: Brauchen wir den Verfassungsschutz?

Der niedersächsische Inlandsgeheimdienst hat die Journalisten Andrea Röpke und Kai Budler beobachtet - rechtswidrig. Soll man die Institution abschaffen?

Was diejenigen, die beobachten, wirklich sehen, ist gerade die Frage. Bild: dpa

JA:

Geheimdienste ähneln religiösen Gemeinschaften: In ihrem Zentrum steht stets das Mysterium. Und so lange man daran glaubt, dass es mit diesem Mysterium etwas auf sich habe, so lange man glaubt, dass die exklusiven Geheim-Inhalte der geheimen Informationen belangvoll und wahr sind und sich in sinnvolle, politische und überprüfbare Maßnahmen transsubstantiieren lassen, die das Heil und das ewige Leben sichern – ist alles knorke. Und das kann uns ja gar nicht zu teuer sein!

Wenn nicht: tja. Dann gerät die Architektur dieser Einrichtungen ins Rutschen. Denn was feststeht, also als überprüfbar und rekonstruierbar wahr gelten kann, ist nur, dass Geheimdienste die Systeme, die sie schützen sollen, destabilisieren. Und es rechtfertigt sie nicht, dass dies, siehe DDR, ein Glück sein kann, weil sie dabei ja objektiv Schaden anrichten und Menschen ins Unglück stürzen.

Sie richten Schaden an, indem ihre – nahezu unkontrollierte – Finanzierung der öffentlichen Hand Gelder entzieht: Weil Überwachung teuer ist, gibt’s, statt einer Bibliothek für die Allgemeinheit, dann hunderte von Seiten mit Berichten und Abhörprotokollen. Inhaltlich erweisen die sich, wenn sie durch irgendeine Panne öffentlich werden, fast ausnahmslos als bestürzend banal: Paradebeispiel dafür ist sicher das „Document File #100-19o707“, in dem das FBI seine mit geheimdienstlichen Methoden gewonnenen Erkenntnisse übers „Subject Bertolt Eugen Friedrich Brecht“ gesammelt hat. Wollen Sie wissen, was die Spione über ihn rausgefunden haben? Dass er „höchstwahrscheinlich Kommunist“ war!

Aber das wäre halb so schlimm, wenn Geheimdienste nicht Menschen quälen und vernichten würden. Es ist erwiesen, dass der als Landesverräter beschuldigte französische Offizier Alfred Dreyfus infolge von Fehlinformationen des Deuxième Bureau fast als Gefangener auf der Teufelsinsel krepiert wäre. Und es ist bewiesen, dass sich Murat Kurnaz’ Guantánamo-Martyrium dank der Kolportagen des schäbigen kleinen Bremer „Verfassungsschutzes“ um Jahre verlängert hat.

Geheimdiensterfolge hingegen – da muss man schon aus grundsätzlichen Erwägungen ein dickes Fragezeichen setzen: Kann es so etwas wie einen Geheimdiensterfolg in einer Demokratie überhaupt geben? Wie soll denn ein Top-Secret-Dossier seinen Nutzen entfalten? Nur diejenigen Entscheidungen können ja demokratisch sein, deren Voraussetzungen transparent, also nachvollziehbare und überprüfbare Fakten sind. Geheimdienstliche Informationen können für die Allgemeinheit jedoch höchstens in der Struktur des Gerüchts vorliegen, als Abglanz esoterischer Lehren, die unterm Siegel des Schweigens in einem dubiosen Schutzbezirk einer eben nicht vom Volke ausgehenden Macht geoffenbart wurden.

Insofern darf man zwar der allfällig bei Zweifel vorgetragenen Schutzbehauptung, weltweit wären zahllose Anschläge verhindert worden, dankbar glauben. Es ist ja auch niemandem verboten, darauf zu vertrauen, dass sich Erdbeben, schlechte Ernten oder Blitz und Donner wegbeten lassen. Und wer so denkt, handelt rational, wenn er das Gelingen von Anschlägen, also das Versagen der Dienste, beantwortet, indem er denen noch mehr Gelder opfert: So ist das in den USA nach Pearl Harbour geschehen, so war es weltweite Praxis nach dem 11. 9. 2001.

Dieses Minderleistungsprinzip wird auch bei den aktuellen Skandalen befolgt: Weil Niedersachsen verbotenerweise JournalistInnen ausgespäht hat und weil alle deutschen Inlandsgeheimdienste die Terroranschläge des NSU bestenfalls ahnungslos passieren ließen, beginnen die Geheimdienstfreunde schon Forderungen nach einer besseren Ausstattung zu stellen – und in Bremen hat Rot-Grün deshalb seinem „Verfassungsschutz“ schon mal die Kompetenzen erweitert und das Budget aufgestockt, um 500.000 Euro jährlich. Sie wissen schon, Bremen, das ist dieses Kleinstland, in dem das Geld so locker sitzt und alle Kinder mit goldenen Löffeln im Arsch geboren werden. Klar, dass es sich zu deren Schutz und zur eigenen Stabilisierung einen Geheimdienst leisten muss. Tut ja der Kongo schließlich auch.  BENNO SCHIRRMEISTER

NEIN:

Der Verfassungsschutz hat einen schlechten Ruf. Ihm wird unterstellt, er sei auf dem rechten Auge blind, er sei nicht in der Lage, seine V-Leute zu führen und bediene sich dubioser Praktiken. Der Versuch, die NPD zu verbieten, scheiterte daran, dass führende Kader der Neonazipartei V-Leute waren. Mit Geld des Verfassungsschutzes wurde Neonazi-Propaganda finanziert. Bei der Aufklärung der rechtsextremistisch motivierten NSU-Morde hat er versagt - bis hin zu der Pointe, dass ein V-Mann bei einem der Morde quasi dabei war. Und als hätten sie nichts Besseres zu tun, verwenden die Ämter dann auch noch ihre Kraft darauf, Anwälte und Journalisten auszuspähen.

Bisweilen entsteht der Eindruck, der Verfassungsschutz mit seinen bisweilen rechtslastigen Führungsfiguren und Praktiken sei selbst eine größere Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung als das, was er zu bekämpfen vorgibt. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wo denn eigentlich der große Feind unserer Ordnung stehen soll, der nur von einem Geheimdienst in Schach gehalten werden kann und nicht etwa von der Polizei.

Doch dass der demokratische deutsche Staat heute stabil ist, dass ihm von innen her kein Umsturz droht, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Lage in zehn Jahren eine völlig andere sein kann. Bedrohliche Entwicklungen rechtzeitig zu erkennen, mitzuschneiden, was sich bei den Feinden unseres Rechtsstaats tut, dafür ist der Verfassungsschutz notwendig. Ein solcher Apparat kann aber ebenso wenig wie eine Armee von heute auf morgen aus dem Boden gestampft werden.

Die Mordserie der Neonazi-Truppe NSU, die Aktivitäten der Islamisten, aber auch von ausländischen Geheimdiensten sind Ausdruck einer strategischen Bedrohung, mit der sich ein Organ des Staates in grundlegend-analytischer Weise befassen sollte - und das heißt nachrichtendienstlich, also heimlich. Das gilt, so ungern das mancher hört, auch für den Linksextremismus, der bei der RAF gezeigt hat, dass er für seine Vision von einer besseren Welt ebenfalls bereit ist, über Leichen zu gehen.

Wer anerkennt, dass diese Arbeit getan werden sollte, könnte einwenden, dass das auch eine schöne Aufgabe für die Polizei wäre. Reibungsverluste, wie sie die Aufklärung der NSU-Terrorserie erschwert haben, fielen weg. Damit wäre jedoch die Trennung zwischen der Polizei und den Geheimdiensten aufgehoben. Wollen wir eine Supersicherheitsbehörde, bei der allein alle Informationen zusammenlaufen und die zudem exekutive Befugnisse hat?

Dann lieber ein reorganisierter Verfassungsschutz, in dem nicht siebzehn Behörden gegeneinander arbeiten und deren Zuständigkeit scharf geschieden wird von den Aufgaben der Polizei. Weil ihr Ruf schlecht ist, muss man eine Behörde nicht abschaffen. Man kann sie auch besser machen. GERNOT KNÖDLER

Den kompletten Themenschwerpunkt "Brauchen wir den Verfassungsschutz?" finden sie in der taz am Kiosk oder hier

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