Sieg für Ecuadors Indigene: „Ein historisches Urteil“
Der Interamerikanische Gerichtshof stärkt erstmals die Rechte der freiwillig isolierten Tagaeri und Taromenane. Ihr Überleben ist aber weiter in Gefahr.

Die Tagaeri und Taromenane gehören zur indigenen Nationalität der Waorani – einer von 14 offiziell anerkannten indigenen Nationalitäten in Ecuador. Seit Ende der 1950er Jahre leben sie in freiwilliger Isolation, nachdem es erste Kontakte mit Mestizen gegeben und die Erdölförderung im Andenstaat stark zugenommen hatte. Während sich ein Teil der Waorani der Außenwelt öffnete, zog sich ein anderer tief in den ecuadorianischen Amazonasregenwald zurück. Bis heute leben die Tagaeri und Taromenane ohne jeglichen Kontakt zur übrigen Gesellschaft. Doch ihr Lebensraum ist zunehmend durch Bergbau- und Förderaktivitäten bedroht.

Der Text ist im Rahmen des Klimaworkshops Green Panter Amazonia der taz Panter Stiftung entstanden. Mehr Texte der Teilnehmenden aus 8 Ländern der Amazonas-Region auf taz.de.
Das Urteil markiert den Höhepunkt eines 19 Jahre andauernden Kampfes. „Es war ein langer Weg, den wir als indigene Völker gegangen sind, um die Entscheidung zur Isolation respektieren zu lassen“, sagt Juan Bay, Präsident der Nationalität Waorani von Ecuador (Nawe). Er ist Enkel jener ersten Generation von Waorani, die sich Ende der 1950er Jahre der westlichen Welt öffnete.
Das Urteil ist ein Meilenstein
Doch was bedeutet dieses Urteil konkret? Es verpflichtet den ecuadorianischen Staat, die Entscheidung der isolierten Völker zu achten und ihr Leben aktiv zu schützen. „Dieses Urteil ist ein Meilenstein, weil es anerkennt, dass indigene Völker in Isolation eines speziellen und verstärkten rechtlichen Schutzrahmens bedürfen, um ihr Überleben zu sichern“, erklärt Mario Melo, Rechtsbeistand der Tagaeri und Taromenane.
Seinen Ursprung nahm das Urteil bereits vor 20 Jahren. Nach zwei Massakern in den Jahren 2003 und 2006 beantragten Aktivist*innen Schutzmaßnahmen beim Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte. In beiden Fällen war es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den Tagaeri und Taromenane, illegalen Holzfällern sowie Mitgliedern des Waorani-Volkes gekommen.
Das Vordringen extraktiver Industrien in ihre Territorien schürte Spannungen und führte zu Konflikten zwischen den indigenen Gemeinschaften. „Der Vormarsch von Erdöl- und Bergbauunternehmen hat nichts als Ölverschmutzungen, Zerstörung, soziale Probleme, Krankheiten, den Verlust von Kultur und Sprache sowie Identitätskrisen hinterlassen“, kritisiert Juan Bay. „All das bedeutet den Tod für die Waorani und für die Völker der Tagaeri und Taromenane.“

Der Konflikt eskalierte 2013, als Mitglieder der Taromenane ein Waorani-Ehepaar töteten. In Vergeltung ermordeten Waorani zwischen 30 und 50 Angehörige der Taromenane und entführten zwei Mädchen im Alter von zwei und sechs Jahren, die später bei Waorani-Familien untergebracht wurden.
Anerkennung als „ökosystemische Völker“
Das Gericht stellte fest, dass der ecuadorianische Staat das „Recht auf Selbstbestimmung“ der isoliert lebenden Völker verletzt und ihre Territorien nicht ausreichend geschützt hat. Heute sind die Tagaeri und Taromenane durch das Vordringen von Bergbau, Abholzung und Erdölförderung in ihren Lebensräumen zunehmend bedroht. Ihre Existenz steht auf dem Spiel – ein zentrales Moment bei der Entscheidung des Gerichts.
Laut Urteil bedeutete diese Vernachlässigung eine Verletzung ihrer Rechte auf Gesundheit, Ernährung, Wohnraum, eine intakte Umwelt, kulturelle Identität und letztlich auf ein würdevolles Leben. „Sie sind die verletzlichste indigene Bevölkerungsgruppe, da ihre Isolation sie zum Ziel verschiedener Interessen macht“, erklärt Mario Melo. Häufig werden sie Opfer illegaler Aktivitäten oder staatlicher Politiken wie der Ausweitung des Bergbaus – ihre Fähigkeit zur Gegenwehr ist dabei stark eingeschränkt.
Ein zentraler Punkt des Urteils ist die erstmalige Anerkennung der isoliert lebenden Indigenen als „ökosystemische Völker“. Ramiro Ávila, Professor an der Universidad Andina Simón Bolívar und Mitglied des Anwaltsteams, erklärt, dass diese Einstufung bedeutet, „dass dieses Volk vollständig in seine Umwelt eingebettet ist“. Das heißt: Das Überleben der Angehörigen, ihre Weltanschauung, Kultur, Gewohnheiten und Mobilität hängen unmittelbar von ihrem natürlichen Lebensraum ab. Jede Veränderung kann ihr Leben gefährden.
Bedrohungen bestehen fort
Das Urteil verlangt außerdem, dass der Staat das Ergebnis der Volksabstimmung vom August 2023 respektiert. Damals stimmten 59 Prozent der Ecuadorianer*innen dafür, das Erdöl in einem Teil des Yasuní-Nationalparks, einem der artenreichsten Gebiete der Welt und Heimat der Tagaeri und Taromenane, dauerhaft im Boden zu belassen. „Das Gericht erkennt diesen Volksentscheid als wirksame Maßnahme zum Schutz der Gebiete der in Isolation lebenden Völker an“, sagt Ávila. Er merkt jedoch kritisch an: „Ein Jahr ist vergangen, aber nur ein Bohrloch wurde geschlossen – rund 230 sind weiterhin in Betrieb.“
Das Urteil ist für den ecuadorianischen Staat sowie für alle Mitgliedstaaten der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) bindend. Von den 34 Mitgliedsländern haben auch Bolivien, Brasilien, Kolumbien, Paraguay, Peru, Venezuela und Surinam isolierte indigene Völker auf ihrem Staatsgebiet.
Trotz dieses historischen Sieges bestehen die Bedrohungen fort – auch durch religiöse Organisationen. Am 7. Juli meldeten Umweltorganisationen einen Versuch der Kontaktaufnahme mit den Tagaeri und Taromenane durch die US-amerikanische Stiftung Come to the Rainforest. Dies zeigt einmal mehr: Das Überleben der freiwillig isolierten indigenen Völker bleibt akut gefährdet.
Ana Cristina Basantes ist eine Journalistin aus Ecuador und berichtet für Medien wie El País.
Übersetzt aus dem Spanischen von Niklas Franzen
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