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Sintflut, Apokalypse, Armageddon Es gibt keine Klimasünder

Ständig wirft einem jemand „Klimasünde“ vor. Das ist entpolitisierend, individualisierend und klerikalisierend. Bitte aufhören damit!

Das religiöse Motiv der „Sünde“ wird auch von der Klimabewegung gerne verwendet picture alliance/dpa

Zwar lesen vermutlich die wenigsten heute vor dem Schlafengehen in der guten alten Bibel, doch ihre Sprachbilder und Motive sind immer noch Teil der Gegenwartskultur, was sich in Sprechen und Schreiben ausdrückt. Gerade im Zusammenhang mit dem eskalierenden Klimawandel, Wasser-, Hitze-, Feuerkatastrophen, wird fast reflexhaft auf biblische Bezüge rekurriert, werden „Apokalypsen“ beschworen, gern auch „biblischen Ausmaßes“, die „Sintflut“ oder gleich „Armageddon“. Was immer letzteres war, es war nicht schön, das spüren auch aufgeklärte Religionslaien. Recherchen ergeben, dass Gott in der Offenbarung des Johannes seine Engel sieben endzeitliche Plagen über die Erde ausgießen lässt, unter anderem trocknen Flüsse aus, wird es unerträglich heiß und vernichten Erdbeben alle Berge und Inseln. Ziel dieser Gottesaktion ist es, die Ungläubigen zur Umkehr zu bewegen, vermutlich meint das dann ein paar Post-Endzeit-Hanseln, die das alles überleben. Naja.

Der globale Klimawandel entsteht nicht durch Gottes Zorn, sondern durch Konzentration von Treibhausgasen wie CO2 und anderen in der Atmosphäre, verursacht ist diese vor allem durch das Verbrennen fossiler Stoffe durch den Menschen in den letzten 250 Jahren, dazu kommen Abholzen von Wäldern, Viehzucht und so weiter.

Klimawandel ist eine Veränderung der physikalischen Realität, das zentrale Instrument der Herangehensweise daran ist die Wissenschaft, die Physik. Trotzdem benutzen wir Medien und auch Leute im Alltag sehr häufig diese religiösen Bilder und sogar Ideologien. Das zentrale Wort in diesem Kontext ist „Sünde“, genauer „Klimasünde“. Fliegen, Verbrenner-Autos, Schnitzel essen wird regelmäßig als „Klimasünde“ bezeichnet, der mobile oder sich ernährende Mensch ist ein Sünder und lädt „Schuld“ auf sich.

Das ist kontroproduktiver Kontext. Das ist entpolitisierend, individualisierend und klerikalisierend. Es macht aus persönlichem Alltagsverhalten eine Religion und Klimakirche, in der man sich an Gebote zu halten hat oder verdammt wird. Genau diese Überhöhung spielt den Gegnern und Feinden von Klimapolitik und Zukunftsengagement in die Hände. Die ohnehin Skeptischen sehen sich bestätigt, dass „Klima“ eine Ersatzreligion zum Zwecke ihrer Unterdrückung und Freiheitsberaubung sei, wie die Anti-Zukunftspolitik-Strategen behaupten. Und die Säkularisierten, also die große Mehrheit, werden durch das religiöse Framing auch abgeschreckt oder zumindest befremdet. Zu Recht.

Weltretter und Klima-Sünder

Das Schuld- und Sündemotiv ist ein Lieblingsinstrument von Ideologien und also auch Religionen, denn es dient ja dazu, den Menschen klein zu machen und klein zu halten. Was die Sünde der Religion ist, das ist oder war die „Selbstkritik“ dem Sozialismus oder zumindest der undemokratisch herrschenden Einheitspartei. Wenn die Partei wollte, dass du dich „schuldig“ fühltest, dann bekanntest du dich schuldig und zwar frohen Herzens, denn es diente ja einem höheren Sinn. Die Erlösung gab es dann in Bautzen oder Sibirien.

Die zweite Problemebene des Sündegeredes ist das Gegenteil der Degradierung des Menschen zum Wicht, es ist die maßlose Überschätzung des Individuums und seines Alltagshandelns. Der Mensch ist hier nicht sündig und klein (und Gott groß), sondern – sündenfrei – ein Gott, der alles kann. Wie längst herausgearbeitet wurde, ist der individuelle „Fußabdruck“ ein strategisches Instrument von Big Oil und anderen fossilen Geschäftsinteressen, um die Verantwortung auf den Einzelnen zu schieben, ihn mit sich selbst und seinen Schuldgefühlen zu beschäftigen und damit konzertierte, also politische Aktion ins Postfossile zu verhindern. Gerade kosmopolitische Individualisten (also wir) sind durch ihre kulturelle Prägung und ihre ausgeprägte Ich-Bezogenheit sehr anfällig für die Vorstellung, sie könnten allein oder mit Gleichgesinnten jenseits institutionalisierter Politik „die Welt retten“.

Auch der Begriff Weltretten ist religiös aufgeladen, er ist der Leitbegriff einer informellen und unpolitischen Ökokirche. Niemand kann „die Welt retten“, das ist ein supergemütlicher Allgemeinplatz und praktisch unmöglich, deshalb wird der Begriff in taz FUTURZWEI zwar gebraucht, aber nur selbstironisch und in seiner Ambivalenz. Es geht darum, die Lebensgrundlagen für Menschen zu sichern, das ist konkret und bestimmbar. „Weltretter“ sind zwar nicht hundertprozentig das Gegenteil von „Klima-Sündern“, wie Engel und Teufel, aber es ist derselbe religiöse Formenkreis. Wenn die anderen Sünder sind und man selbst sich als Weltretter sieht, dann kann man den lieben Herrgott einen guten Mann sein lassen.

Daraus folgt: Klimasündengerede bleiben lassen!

PETER UNFRIED ist Chefredakteur von taz FUTURZWEI. Die neue Ausgabe heißt „Die Welt muss wieder schön werden – warum Weltretten ohne Kultur nicht geht“. Dieser Text hat es nicht ins Magazin geschafft, weil alle anderen noch besser sind. Deshalb jetzt das Heft bestellen.