Sion Sono Film "Love Exposure": Eine bizarre Brutstätte

In Sion Sonos avanciertem Film "Love Exposure" versucht ein Teenager hyperfromm-pervers die Liebe zu finden - und das in vier Stunden. Unwiderstehlich ist der Film trotzdem.

Wichtigstes Verbindungsstück zwischen Teenie-Burleske und Liebes-Metaphysik? Immer noch die ausgebeulte Hose! Bild: rapideyemovies

Selten, das kann man guten Gewissens versprechen, selten werden Sie sich in einem vierstündigen Film so wenig gelangweilt haben werden wie in "Love Exposure" von Sion Sono ("Hair Extensions", "Suicide Circle"). Der Mann fährt nicht nur auf, was man von avanciertem japanischem Gegenwartskino erwarten kann; also frappante Stilbrüche, bizarren Humor, Be- und Entschleunigungen aus allerneuster Achterbahn-Ästhetik und reichlich semi-ironische Einblicke in die hübsche Subkultursektenvielfalt Japans. Nein, dabei belässt er es nicht: Ein gutes Viertel des Films geht etwa für eine hyperfromme Einfühlung in das Milieu japanischer Katholiken drauf. Nicht das Milieu allerdings interessiert den Regisseur wirklich, sondern die Möglichkeit, diese bizarre Religion als Brutstätte irrer, widersprüchlicher Anrufungen und dramatischer Seelenqualen - nein: nicht zu denunzieren - sondern aufzupimpen.

Dieser so erträumte Katholizismus erscheint hier als eine gewaltige, tiefrote bis samten violette Verherrlichung einer als erotische Marienverehrung verstandenen psychotischen Minne. Yu, Sohn eines katholischen Priesters und einer Mutter/Maria/Göttin, die natürlich zu früh stirbt, ist von diesem violetten Weihrauchwahn besessen, im wirklichen Leben spielt sein reizender Darsteller Takahiro Nishijima in der J-Pop-Band AAA - Attack All Around.

Nachdem es ihm weder durch ein sündenfreies noch durch ein sündiges Leben gelingt, seinen schwachen, bigotten, melancholischen Loser von einem Vater zu beeindrucken, schließt er sich er einen reizend lächerlichen Sekte von "Perversen" an (so heißen sie wenigstens in den englischen Untertiteln).

Die Perversen lesen perverse Bücher, hören Seminare bei alten Großperversen und belästigen auch schon mal Mädchen. Vor allem aber sind sie Fotoreporter, akrobatische Foto-Voyeure. Mit Skateboards und Martial-Arts-Kunststücken wirbeln sie durch Mädchentreffpunkte und versuchen Unter-den-Rock-Perspektiven zu erbeuten, die sie mit Handys und kleinen Kameras einfangen.

Das reichlich aufwendig verfolgte Ziel ist eine Erektion beim nachträglichen Anschauen. Yu ist zwar der Akrobatischste und der Erfolgreichste von allen, aber - was ist mit ihm los? - er kriegt keine Erektion.

Nun könnte der Film etwa seine beiden Aggregatszustände, die stylish gefilmte Heteroboys-Pubertäts-Burleske, stofflich nicht weit von "Eis am Stil", und den gar nicht so weit von gewissen Momenten bei Visconti angesiedelten Katholenkitsch als zwei aufeinander bezogene Armseligkeiten derselben kapitalistischen Sexualpathologie denunzieren. Aber das wäre zu einfach.

Stattdessen investiert er in beide Genres, indem er sie erstens aufeinander bezieht und zweitens einige weitere auf sie loslässt: Wichtigstes Verbindungsstück zwischen Teenie-Burleske und Liebes-Metaphysik? Immer noch die ausgebeulte Hose! Yu kriegt eine massive, ja schmerzhafte Erektion - aber nur wenn ihm Maria erscheint, in welcher Form auch immer. Inzwischen führt er ein weibliches Doppelleben als heldische Beschützerin, Lady Scorpion - auch bekannt als Sasori, eine Figur aus einer japanischen Eine-Frau-sieht-rot-Serie der 70er-Jahre, die in den letzten Jahren auch im Rest der Welt von DVD-Kultisten rezipiert wurde -, um nun Yoko, einer realen Verkörperung der Maria, nahe zu sein.

Der Heteroteenieplot löst sich an einem Ende auf, am anderen verhärtet er sich. Eine weitere reizende, diesmal satanische Frau taucht auf und treibt mit zwei Leibwächterinnen eine religiöse Mindfuck-Sekte vor sich her. Vorgeschichten nehmen Tempo raus, Zuspitzungen drücken auf dasselbe.

Sion Sono verlässt sich auf eine im asiatischen Kino wohlbekannte Idee, die auch das westliche Kino (Tarantino!) in letzter Zeit erreicht hat: Wenn man die psychologischen Programme und die anderen Ausgeleiertheiten der Narration leid ist und trotzdem temporeich und nach vorne erzählen will, dann hilft die Rache als punkig reduzierte Minimalform der Psychologie. Rache rockt immer.

Doch auch die diversen Revancheprogramme reichen ihm nicht. Sion Sonos Film kriegt von der Spitzenidee Flügel verliehen, romantische große Liebe und unausweichliche Triebprogrammierung, individualistische, freiwillige Objektwahl und total determinierte Sexualsklaverei konvergieren zu lassen: und zwar nach und nach von jeder Ironie befreit, gesteigert zu einem Über-Pathos, das keine Gefangenen mehr macht.

Das Ergebnis ist genauso einfach und rockig wie Rache - und doch ein fulminantes Gegenprogramm, nicht nur christlich gegen die Rache, sondern auch gegen alle Leib-Seele-Spaltungen, insbesondere diejenige des hier als superexotische Spezialreligion behandelten Christentums.

Kein Wunder, dass Sion Sono an einer Verfilmung der Death-Metal-Mörder-Sekten-Chronik "Lords of Chaos" arbeitet und die Rolle des Burzum-Schlächters Varg Vikerness mit dem boyish niedlichen Jackson Rathbone besetzt. Es ist dieses Erzwingen von erstaunlichen bis bescheuerten Behauptungen unter rigoroser Ausnutzung einer hemmungslosen Übertreibungs-Schönheit, das auch "Love Exposure" so unwiderstehlich macht.

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