Skandal um Organtransplantationen: Ermittlungen in Münster eingestellt

Die Staatsanwaltschaft sieht keinen hinreichenden Tatverdacht gegen die Ärzte. Der Bundesärztekammer wirft sie „nicht eindeutige“ Richtlinien vor.

Alles rechtens? Tumorleber in Hamburg 2013. Bild: Fabian Bimmer/Reuters

BERLIN taz | Im Skandal um Manipulationen bei der Vergabe lebensrettender Spenderorgane hat die Staatsanwaltschaft Münster die Ermittlungen wegen versuchten Totschlags gegen Ärzte am Universitätsklinikum Münster eingestellt. Es mangele an einem „hinreichenden Tatverdacht“ und es gebe überdies keine Anhaltspunkte dafür, dass „den Verantwortlichen strafrechtliche Vorwürfe zu machen sind“, teilte der Oberstaatsanwalt Heribert Beck am Donnerstag mit.

Prüfer der Bundesärztekammer, der Krankenkassen und der Krankenhausgesellschaft hatten den Münsteraner Ärzten zuvor im September 2013 in dem Bericht ihrer „Prüfungs- und Überwachungskommission“ vorgeworfen, bei der Meldung von Patienten für Lebertransplantationen an das Vergabezentrum „Eurotransplant“ systematisch und vorsätzlich gegen die Richtlinien der Bundesärztekammer verstoßen zu haben.

Dadurch seien Patienten des Münsteraner Lebertransplantationszentrums unberechtigt bevorzugt worden. Zugleich hätten Patienten anderer Zentren möglicherweise nicht mehr rechtzeitig ein Spenderorgan erhalten. Neben der Uniklinik Münster wurden auch die Transplantationszentren in Göttingen, München rechts der Isar und Leipzig der systematischen Manipulation beschuldigt.

Eine Auslegungssache

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft konnten diese Vorwürfe für die Klinik in Münster nicht bestätigen. Vielmehr, so der Oberstaatsanwalt Beck, sei „davon auszugehen, dass die … Richtlinienverstöße teilweise auf unterschiedlichen Auslegungen der nicht ganz eindeutig gefassten Richtlinien und teilweise auf versehentlichen Fehleintragungen be­ruhen“. Das Universitätsklinikum Münster reagierte erleichtert: „Wir sind froh, dass der Vorwurf manipulativer Richtlinienverstöße nun offiziell aus dem Weg geräumt ist“, sagte der Ärztliche Direktor Norbert Roeder.

Für die Bundesärztekammer, die die Richtlinien verantwortet und mit ihrem Prüfbericht die Ermittlungen ins Rollen gebracht hatte, ist die Einschätzung der Staatsanwaltschaft indes eine Klatsche: Vehement hatte die Kammer bislang jede Kritik von Rechtsgutachtern und Medizinexperten zurückgewiesen, wonach die Bundesärztekammer-Prüfer ihre eigenen Regelwerke fehlinterpretierten und Zentren somit teils zu Unrecht beschuldigten.

Der Ärztliche Direktor der Uniklinik Münster, Norbert Roeder, hatte zuletzt im Frühjahr in der taz kritisiert, dass die von der Bundesärztekammer ausgeschickten Experten bei der Überprüfung aller 24 deutschen Lebertransplantationsprogramme offenbar „mit zweierlei Maß“ gemessen hätten. Bei gleichen Sachverhalten – es ging dabei unter anderem um die Bewertung von Dialyseverfahren - seien sie zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt, beklagte Roeder damals. Später bestätigte diese Einschätzung sogar die Bundesregierung (taz vom 25.3.2014 und vom 15.5.2014).

Die Opposition forderte daraufhin, das System dürfe nicht länger von seinen eigenen Akteuren selbst kontrolliert werden: „Es kann nicht sein, dass in Deutschland im Wesentlichen Vereine und private Stiftungen über die Organisation des Transplantationswesens und die Verteilung der Organe entscheiden“, sagte der grüne Bundestagsabgeordnete Harald Terpe.

Richtlinien ohne Legitimation

Bei der Überprüfung der Lebertransplantationsprogramme durch die Prüfungs- und Überwachungskommission der Bundesärztekammer sei vieles intransparent geblieben, monierte Terpe. Der Münsteraner Jura-Professor Thomas Gutmann stellte bereits damals in einem Rechtsgutachten fest, unabhängig von etwaigen Verstößen seien die Richtlinien für die Organvergabe schon allein deswegen rechtswidrig, weil ihnen die demokratische Legitimation fehle.

Folgen hatte all dies bislang nicht. Auch am Donnerstag wollte sich die Bundesärztekammer auf Anfrage nicht dazu äußern, ob der Prüfbericht zu den Lebertransplantationszentren oder die bisherige Richtlinienpolitik der Kammer nun korrigiert werden müssten. Das Bundesgesundheitsministerium lehnte eine Stellungnahme zu etwaigen politischen Konsequenzen ab mit der Begründung, man kommentiere „keine Entscheidungen irgendeiner Staatsanwaltschaft“.

Anzeige gegen Montgomery

Unterdessen beschäftigt die umstrittene Richtlinienpolitik der Bundesärztekammer zur Transplantationsmedizin auch die Staatsanwaltschaft Berlin. Martin Steltner, Sprecher der Staatsanwaltschaft, bestätigte der taz, seine Behörde ermittele „unter anderem gegen den Präsidenten der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, wegen Totschlags“. Das Verfahren sei bereits seit Sommer 2013 anhängig.

Es gehe auf eine Strafanzeige des Göttinger Strafrechtlers Steffen Stern zurück, der derzeit vor dem Landgericht Göttingen einen wegen versuchten Totschlags angeklagten Transplantationschirurgen verteidigt. Der Göttinger Chirurg soll sich unter anderem deswegen strafbar gemacht haben, weil er alkoholkranke Patienten transplantierte, obwohl diese noch nicht sechs Monate trocken waren, wie es die Richtlinie fordert.

In seiner Anzeige dreht Stern nun den Spieß um und wirft seinerseits den Verantwortlichen der Bundesärztekammer für die Transplantationsrichtlinien vor, sie beschnitten alkoholkranken Patienten das Lebensrecht, indem sie von den Patienten verlangten, dass sie vor einer Transplantation eine mehrmonatige Alkoholkarenz nachweisen müssten. Auch zu diesen Vorwürfen wollte sich die Bundesärztekammer am Donnerstag auf Nachfrage nicht äußern.

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