Sklaverei-Ausstellung: "Wir sind kein neutrales Museum"

Ein neues Museum erinnert an die Sklaverei und ihre Folgen. Im Zentrum: der Widerstand der Sklaven und ihr unterschätzter Einfluss auf die westliche Kultur.

Auch Hollywood hat sich mit Sklaverei beschäftigt: Szene aus "Amistad" Bild: dpa

Im dunklen Oval ist der Betrachter von vier großen Bildschirmen umgeben. Darauf ist ein schwarzer Mann zu sehen. Er liegt nackt in Ketten auf schaukelnden, knirschenden Schiffsplanken. Sein Gesicht ist schmerzverzerrt, er stöhnt leise, übergibt sich. Diese Installation mit künstlerisch verfremdeten Blick ist der Versuch, sich einem der schlimmsten Verbrechen der jüngeren Menschheitsgeschichte anzunähern. Sie ist vergleichsweise harmlos gegenüber dem, was wirklich geschah und überlässt viel der Fantasie. "Es ist unmöglich, heute wirklich nachzuempfinden, was damals auf den Sklavenschiffen geschah", sagt Richard Benjamin, Direktor des neu eröffneten International Slavery Museum in Liverpool über eine der wichtigsten Arbeiten der Ausstellung.

Diese erstreckt sich über 1.000 Quadratmeter im dritten Stock der Maritime Museum am Albert Dock, hoch oben über dem Mersey-Fluss und dem Hafen von Liverpool. Von hier stachen einst die Schiffe mit Waren aus den Manufakturen Englands in See, um in Afrika dafür menschliche Fracht zu kaufen. Für diese bekamen sie wiederum in der Neuen Welt exotische Produkte wie Zucker, Tabak und Rum, die auf den englischen Märkten hohe Profite brachten. Zu seinem Höhepunkt im 18. Jahrhundert wurden in Liverpool 80 Prozent des britischen Dreieckshandels abgewickelt.

Das neue Museum ist ein Renommierstück, das sich Großbritannien anlässlich des 200. Jahrestags der gesetzlichen Abschaffung des Sklavenhandels leistet, mit einem Gesamtetat von knapp fünfzehn Millionen Euro für einen Zeitraum von fünf Jahren. Das politische und kulturelle Establishment, inklusive Queen, Anglikanischer Kirche und politischer Prominenz, würdigt den Anlass das ganze Jahr über mit Festakten und Veranstaltungen. Jedes Museum, das etwas auf sich hält, kramte in seinem Fundus etwas aus, das zum Thema passte oder gab Ausstellungen - wenn oft auch nur kleine - in Auftrag. Im Mittelpunkt stehen vielfach prominente Sklavereigegner, allen voran William Wilberforce, der das Gesetz im Parlament durchkämpfte. Man klopft sich also auch selbst auf die Schulter für die Leistungen derjenigen Landsleute, die, zumeist aus christlich-moralischen Motiven, die Grausamkeit der Sklaverei ablehnten. Zudem feiert man ein historisches Ereignis - es ist ja alles schon 200 Jahre her und lange vorbei.

Eiserne Fesseln, auf Sklaventransporten vielfach verwendet Bild: ap

Viele der Nachfahren der Sklaven und die Menschen in den vom Sklavenhandel verwüsteten Regionen Westafrikas sehen das allerdings anders. Nicht nur, dass die von den meisten Weißen als Unfug betrachteten Forderungen nach einer offiziellen Entschuldigung des britischen Staatsoberhaupts und gar Wiedergutmachung erneut auflebten. Sie stellten auch die Frage: Ist das nicht eine verkehrte Welt, in der sich die Täter und Profiteure als Befreier der armen Sklaven stilisieren? Vor allem schwarze Historiker haben in den letzten Jahren den Fakt untermauert, dass die Sklaven nicht nur passive Opfer waren, sondern trotz der unwürdigen Umstände und ihres geringen Handlungsspielraums aktiv für ihre eigene Befreiung gekämpft haben.

Diese Sichtweise bestimmte auch die Konzeption der Ausstellung des Liverpooler Museums - und das ist neu. Sie beginnt mit der Verpflichtung: "Wir werden uns erinnern." Das ist die Antwort auf die Aussage des ehemaligen Sklaven William Prescott, mit der die Museumstour beginnt: "Sie werden sich daran erinnern, dass wir verkauft wurden, aber nicht daran, dass wir stark waren. Sie werden sich daran erinnern, dass wir gekauft wurden, aber nicht daran, dass wir mutig waren."

Im ersten Teil wird die Reichhaltigkeit der Kultur in Westafrika vor und zur Zeit des transatlantischen Sklavenhandels dargestellt. Vitrinen mit Produkten der Handwerkskunst, aber auch Verweise auf das intellektuelle Leben - vor allem unter dem Einfluss des Islam - sind um den Nachbau einer Hütte des Ibo-Stammes geschart.

Der zweite Raum, in dessen Mitte die Installation der Schiffspassage steht, beschäftigt sich mit der Zeit der Versklavung und ist das Kernstück der Ausstellung. Das Leben auf den Plantagen wird in zeitgenössischen Bildern und Modellen gezeigt. Schaukästen sind mit Artefakten gefüllt, die den Reichtum symbolisieren, den die Europäer anhäuften. Auf der anderen Seite sind die Folgen zu sehen, den der Menschenraub für Wirtschaft und Kultur in Westafrika hatte.

Ein wichtiger Diskussionspunkt in der gegenwärtigen Debatte aber bleibt ausgespart: die Rolle schwarzer Stammesfürsten, die ihre eigenen Landsleute gegen europäische Waren eintauschten. Dabei hätte man denjenigen, die mit dem Verweis hierauf die europäische Schuld an diesem Verbrechen relativieren wollen, mit einer geschichtlich korrekten Darstellung durchaus den Wind aus den Segeln nehmen können.

Der dritte Raum befasst sich mit dem Erbe der Sklaverei. Das ist der mutigste Teil der Ausstellung, weil er sich mit umstrittenen Themen wie Rassismus in der gegenwärtigen britischen Gesellschaft und Wiedergutmachungszahlungen auseinandersetzt. Eine Figur in offensichtlich getragenem Ku-Klux-Klan-Outfit ist dazu verdammt, für die Existenzzeit der Ausstellung auf eine Wand zu starren, auf der die Befreiung Afrikas aus dem Kolonialjoch und die Emanzipation der Afroamerikaner dargestellt wird. Der Schwerpunkt liegt aber auf den kulturellen Leistungen, mit denen die afrikanische Diaspora die westliche Kultur verändert hat. Lateinamerika kommt dabei allerdings etwas zu kurz. Wie in der gesamten Ausstellung übrigens. Die Rolle Südafrikas ist prominenter dargestellt als etwa die von Brasilien - an diesen Stellen kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Museumsmacher sich eher am britischen Empire orientierten, denn an den realen Handelsrouten der britischen Schiffe.

In der formalen Gestaltung ist die Ausstellung sehr modern - mit vielen audiovisuellen Medien, mit denen man sich stundenlang beschäftigen kann -, aber auch sehr pädagogisch. Das kann nerven, wenn man älter als zwölf und mit einem zumindest durchschnittlichen IQ gesegnet ist. Allerdings ist dieser Ansatz wichtig angesichts der Tatsache, dass bis heute der transatlantische Sklavenhandel kein verpflichtender Teil des Unterrichts an den hiesigen Schulen ist, was nun geändert werden soll. Viele Briten mit schwarzen karibischen oder amerikanischen Wurzeln erfuhren im Zusammenhang mit dem Jahrestag zum ersten mal Details aus ihrer eigenen Vergangenheit.

Direktor Richard Benjamin, der in Yorkshire aufwuchs und dessen Vater in den Fünfzigerjahren aus Guayana einwanderte, hat auch vor kurzem eine schwarze Arbeitsgruppe eingerichtet. Es bestehe auch Kontakt zur Schwarzen Gemeinde in Liverpool, sagt er, die regelmäßig über die Entwicklung im Museum informiert und um ihre Meinung gebeten würde.

Die Frage, inwiefern schwarze Wissenschaftler bei der Konzeption des Museums beteiligt waren - Benjamin selbst ist erst im vergangenen November als Leiter berufen worden -, beantwortet er diplomatisch: "Wir haben sicher nicht alles richtig gemacht. Wir sind offen, Sachen hinzuzufügen und zu verändern. Wichtig ist, dass wir Diskussionen anregen, Leute in ihrem vorgefertigten Denken herausfordern. Wir sind kein neutrales Museum."

International Slavery Museum, Albert Dock, Liverpool, Großbritannien; Öffnungszeiten tgl. 10-17 Uhr,

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