piwik no script img

Smartphone-Verbote an SchulenUnd ab in die Tasche …

Zum neuen Schuljahr gelten in einigen Bundesländern strengere Smartphone-Regeln an Schulen. Mehrere Verbände sehen die Entwicklung kritisch.

Nicht erwünscht: Smartphones, die Schü­le­r:in­nen vom Unterricht ablenken Foto: Sina Schuldt/dpa

Berlin taz | Für manche Schü­le­r:in­nen hält das neue Schuljahr eine böse Überraschung parat. In Bremen, Hessen, Thüringen, Brandenburg und dem Saarland gelten nach den Sommerferien strengere Handyregeln an öffentlichen Schulen. In diesen Ländern dürfen private Smartphones nun grundsätzlich nicht mehr auf dem Schulgelände genutzt werden – auch nicht in den Pausen.

Mitnehmen dürfen die Schü­le­r:in­nen ihre Geräte aber weiterhin. Vor allem Grund- und Förderschulen sind von den Verschärfungen betroffen. In Bremen und Hessen gelten die Verbote auch an weiterführenden Schulen, Ausnahmen gibt es dort lediglich für die Oberstufe.

Die Ministerien führen als Gründe für die Maßnahmen vor allem den Schutz der Gesundheit und der Konzentrationsfähigkeit der Schü­le­r:in­nen an: „Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wie sich eine ausufernde Smartphone-Nutzung mit teilweise verstörenden Inhalten auf Social Media weiter negativ auf die psychische Gesundheit und das Lernen junger Menschen auswirkt“, begründete etwa Hessens Bildungsminister Armin Schwarz (CDU) die neuen „Smartphone-Schutzzonen“ im Land.

Auch die Bremer Bildungssenatorin Sascha Karolin Aulepp (SPD) verwies zum Schulstart Mitte August auf das Wohlbefinden der Kinder: „Handys haben an der Schule keinen Raum, keinen Sinn“, so Aulepp. Zudem könnten Smartphones zu Schlaf- und Bewegungsmangel führen und früh in der Entwicklung abhängig machen.

Immer mehr süchtige Kinder

Ähnlich äußerten sich auch Bildungsminister:innen, die bisher noch kein pauschales Verbot eingeführt haben: „Private Handys lenken im Schulalltag ab und haben gerade an Grundschulen nichts verloren“, sagte vor wenigen Tagen Conrad Clemens (CDU) aus Sachsen. Gut möglich, dass der Freistaat bald nachzieht mit strengeren Schulregeln. Ende August prüft die CDU-geführte Landesregierung auf einem „Handygipfel“ ein mögliches Verbot.

Die Verschärfungen sind eine Reaktion auf die zunehmenden Warnungen aus der Wissenschaft. Unter anderem Päd­ago­g:in­nen und Me­di­zi­ne­r:in­nen haben immer wieder vor einem ungebremsten Social-Media-Konsum gewarnt – und klare Vorgaben auch an Schulen gefordert. Nach einer am Mittwoch veröffentlichten repräsentativen Elternumfrage der Körber-Stiftung ist der Social-Media-Konsum der Kinder derzeit die mit Abstand größte Sorge.

Wie berechtigt die ist, zeigen Daten des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf: Demnach zeigt mittlerweile je­de:r vierte Teen­age­r:in zwischen 10 und 17 Jahren eine suchthafte oder riskante Mediennutzung. Doch wie die Politik am besten auf diese Entwicklung reagieren sollte, ist umstritten.

Ein Social-Media-Verbot für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahre nach australischem Vorbild, das sich unter anderem Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) und Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU) vorstellen können, sei rechtlich heikel, im EU-Kontext schwer umsetzbar und für Nut­ze­r:in­nen leicht zu umgehen, warnte kürzlich das Leibniz-Institut für Medienforschung in Hamburg. Wie leicht Jugendliche die Altersüberprüfung austricksen können, zeigen erste Erfahrungsberichte aus Australien.

Social-Media-Verbot ab 16?

Auch der Deutsche Lehrerverband ist skeptisch: „Eine gesetzliche Altersgrenze für soziale Medien klingt verlockend, ist aber weder realistischerweise umsetzbar noch sinnvoll“, sagte Verbandschef Stefan Düll. Kinder und Jugendliche müssten lernen, sich in der digitalen Welt sicher und verantwortungsvoll zu bewegen, so Düll. „­Pauschale Verbote helfen dabei nicht weiter.“

Ob und inwieweit ein Social-Media-Verbot in Deutschland kommt, ist momentan unklar. Auf Anfrage der taz teilte das Bundesbildungsministerium mit, dass die Bundesregierung „der Forderung nach einem konkreten Mindestalter für den Zugang zu sozialen Netzwerken positiv“ gegenüberstehe – eine im Koalitionsvertrag versprochene Ex­per­t:in­nen­kom­mis­si­on werde „zeitnah“ ihre Arbeit aufnehmen und Handlungsoptionen für einen „modernen Jugendmedienschutz“ ausloten.

Dabei soll es laut Prien nicht allein um die mögliche Umsetzung eines Social-Media-Verbots gehen. Die Kommission soll auch Antworten auf die Frage liefern, wie Schulen am Besten mit der Frage umgehen.

Momentan nämlich entscheidet – mit Ausnahme der neuen und der bereits bestehenden Verbote wie an bayerischen Grundschulen – nach wie vor jede Schule selbst, ob und welche Schü­le­r:in­nen Smartphones mitführen, nutzen oder abgeben müssen. In manchen Schulen kommen die Geräte bis Unterrichtsschluss in ein „Handyhotel“, an anderen dürfen die Schü­le­r:in­nen in den Pausen weiter an den Screens kleben. Viele Schulen wünschen sich hier klare Vorgaben.

Die Ministerien, die vor diesem Schritt bislang zurückschrecken, halten für sinnvoller, dass solche Regeln vor Ort entstehen –idealerweise unter Beteiligung von Lehrkräften, Eltern und Schüler:innen. Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Hamburg fordern von ihren Schulen sogar ein, verbindliche Regeln zum Umgang mit Smartphones in ihre Schulordnung zu verankern. Andere wie Mecklenburg-Vorpommern „empfehlen“ zwar ein Verbot, überlassen die Entscheidung letztlich aber trotzdem den Schulen.

Kritik von Verbänden

Ein bundesweites Smartphoneverbot, so viel steht fest, wird erst mal nicht kommen. Zwei Mal hat die Bildungsministerkonferenz (BMK) darüber diskutiert, beide Male waren die Widerstände groß. BMK-Präsidentin Simone Oldenburg (Linkspartei) begründete die Absage nach dem letzten Treffen Ende Juni mit dem Föderalismus und damit, dass die Empfehlungen für Schulen in den einzelnen Ländern „gar nicht weit voneinander entfernt“ seien. Oldenburg betonte aber, dass Kinder „Kompetenz in den sozialen Medien“ bräuchten. Dort habe Schule jedoch „nur bedingt Zugriff“. Ähnlich hatte sich auch Bundesbildungsministerin Prien geäußert – und auf die Verantwortung der Familien verwiesen.

Ein Argument, das zum Teil kritisch gesehen wird. Etwa vom Bundeselternrat, der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur, dem Deutschen Kinderhilfswerk sowie dem Verein D64, der sich für eine progressive Digitalpolitik einsetzt. In einem offenen Brief an die bildungspolitischen Ent­schei­dungs­trä­ge­r:in­nen im Land fordern sie, die Eltern mit dem Social-Media-Konsum der Kinder nicht allein zu lassen.

Wörtlich heißt in dem Brief, der am Mittwoch Vormittag veröffentlicht worden ist: „Viele Eltern empfinden die frühe Smartphone-Nutzung ihrer Kinder als Überforderung – nicht zuletzt, weil sie kaum echte Wahlfreiheit haben. Wenn Schule hier keinen klaren, pädagogisch begleiteten Rahmen setzt, werden Eltern mit dieser Verantwortung allein gelassen.“ Das schaffe Unsicherheit, verstärke sozialen Druck und vertiefe bestehende Ungleichheiten.

„Vor allem für Kinder aus benachteiligten Familien ist Schule oft der einzige Ort zur Förderung ihrer digitalen Medienkompetenz“. Ein Verbot, so fürchten die Vereine, würde diese Jugendlichen „von wichtigen Lern- und Teilhabechancen ausschließen“.

Wenig Zeit für Medienbildung

Ähnlich äußerte sich die Potsdamer Bildungsforscherin Katharina Scheiter. Die Schulen dürften Kinder und Jugendliche mit den Gefahren von Tiktok & Co nicht alleine lassen, sagte Scheiter kürzlich der taz. „Die Hälfte der Eltern lässt ihre Kinder ohne Einschränkungen im Netz surfen.“

Die Professorin für Digitale Bildung sieht noch eine weitere Gefahr, wenn Smartphones aus dem Unterricht verbannt würden. Weil immer noch nicht alle Schulen ausreichend mit digitalen Geräten und WLAN ausgestattet seien, könnte durch ein pauschales Handyverbot vielerorts kein digitaler Unterricht mehr stattfinden. Nach der jüngsten ICILS-Studie müssen sich im Schnitt vier Schü­le­r:in­nen ein digitales Endgerät teilen.

Das bestätigen auch die Jugendlichen, die tagtäglich in der Schule sind. Ein generelles Smartphone-Verbot würde Schü­le­r:in­nen „gerade dort ausbremsen, wo sie ohnehin schon mit unzureichenden Ressourcen zu kämpfen haben“, warnt die Bundesschülerkonferenz. Sie fordert, dass im Unterricht stärker und früher als bislang auf Fake News, Datenschutz, Cybermobbing und Suchtgefahren in der digitalen Welt hingewiesen wird – vor allem in den unteren Klassenstufen.

Medienbildung steht zwar in allen 16 Bundesländern in den Lehrplänen, fällt aber im Unterricht oft hinten rüber. Einige Länder handeln das Thema über einen „Medienführerschein“ oder „Medienkompass“ ab – ein eigenständiges Fach haben bislang nur wenige Länder, darunter Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Baden-Württemberg. Ob der Rest der Republik hier nachziehen sollte, ist – wie bei der Frage des Smartphone-Verbots – umstritten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare