Neue Stützpunkte für Atomwaffen: Wie Russland aufrüstet
Militärstützpunkte in Belarus bereiten Nato-Staaten Sorge. Moskaus „Iskander“-Raketen können Städte wie Berlin in wenigen Minuten treffen.

Im ehemaligen Königsberg hat Moskaus Militär „Iskander“-Raketen stationiert, die binnen Minuten Berlin und andere europäische Hauptstädte treffen könnten und deshalb laut westlichen Militärexperten bei einem Konflikt schnell ausgeschaltet werden müssten. Und Machthaber Wladimir Putin hat bereits im Dezember verkündet, Atomraketen in Belarus stationieren zu wollen und im August die Serienproduktion der Hyperschallrakete „Oreschnik“ angekündigt.
Nach dem russischen Drohnenangriff auf Polen vom Mittwoch, bei dem eines der Ziele laut Nato-Untersuchungen ein großes Lager der westlichen Allianz zur Versorgung der Ukraine mit Waffen gewesen sein soll, wächst die Sorge vor einer Eskalation. Denn zwischen Kaliningrad und Belarus liegt der maximal 91 Kilometer lange Suwałki-Korridor, der den hochgerüsteten russischen Ostseeaußenposten mit Moskaus Bündnispartner Belarus verbindet.
Diese einzige Landverbindung zwischen Polen und den baltischen Staaten auf Nato-Territorium gilt den meisten Militärexpert:innen als Nadelöhr und Schwachstelle im Falle eines russischen Angriffs auf Nato-Territorium.
Simulation oder Wirklichkeit?
Polens Premier Donald Tusk warnt inzwischen, das Ziel des am Freitag beginnenden russisch-belarussischen Großmanövers „Sapad 2025“ („Westen 2025“) sei, „die Besetzung der sogenannten Suwałki-Lücke zu simulieren“. Zwar sind auf der nördlichen Seite, in Litauen, bereits Bundeswehrsoldaten stationiert und Deutschland baut dort die Litauen-Brigade auf.
Doch die Nachschublinien verlaufen genau durch diesen Korridor und der litauische Hafen Klaipeda als Versorgungslinie kann von Kaliningrad, Stützpunkt der russischen Baltischen Flotte im Hafen Baltijsk, blockiert werden.
Im Gebiet Kaliningrad stehen bereits atomar bestückbare „Iskander“-Raketen. Das neue Großradar- und Abhörzentrum soll diese laut Nato-Experten sichern. Der US-Oberkommandierende für Europa und Afrika, General Chris Donahue, hatte den Kreml im Juli gewarnt, Kaliningrad werde „in einer nie dagewesenen Zeit“ eingenommen, sollte Moskau seinen Angriffskrieg über die Ukraine hinaus ausweiten.
Denn „im Falle eines russischen Angriffs im Suwałki-Korridor könnte die strategische Bastion Kaliningrad Ausgangspunkt für hybride Angriffe, Spezialoperationen und Störungen des elektromagnetischen Spektrums sein“, heißt es bei der Bundeswehr.
Parallel zum Ausbau der Bastion Kaliningrad treibt Putin den Aufbau von Militärbasen in Belarus voran. Das belegen sogenannte Open-Source-Intelligence-Projekte zur Auswertung von Satellitenbildern, die „Schemy“, ein ukrainisches Programm von Radio Liberty, und die estnischen Medien Delfi und Eesti Ekspress veröffentlichten.
Operation „Haselstrauch“
Aufgrund dieser Aufnahmen haben die Journalist:innen eine Karte von Militärobjekten in Belarus erstellt. Sie zeigt sowohl neu gebaute, als auch modernisierte Militärstützpunkte und Übungsplätze, wo das „Sapad“-Manöver ab Freitag stattfinden soll – teilweise in unmittelbarer Nähe zu Polen und Litauen. Darunter sind neue und ausgebaute Hangars für Kampfjets sowie zwei neue Militärobjekte an der Grenze zur Ukraine.
„Oreschnik“ (Russisch für Haselstrauch) oder im Nato-Jargon „SS-X-34“ heißen die ballistischen Raketen, die Putin im zweiten Halbjahr in Belarus stationieren will. Diese nuklear bestückbare Hyperschallrakete wurde – mit konventionellem Sprengkopf – erstmals im November 2021 von Russland für einen Angriff auf die ostukrainische Großstadt Dnipro eingesetzt. Sie soll zehnmal so schnell als Schallgeschwindigkeit fliegen können und damit nur schwer abzufangen sein.
Doch das militärische Haselgewächs ist nicht das einzige, was die russische Rüstungsindustrie derzeit wachsen lässt: Erstmals veröffentlichte jetzt der ukrainische Militärgeheimdienst Zahlen, die seine Agenten aus dem Feindesland holen konnten.
Russlands Rüstungsöfen heizen an
Demnach werden russische Waffenschmieden allein in diesem Jahr 2.500 Marschflugkörper, ballistische Raketen und Hyperschallraketen, 57 Kampfflugzeuge, 250 Kampfpanzer, 1.100 Schützenpanzer sowie 365 Artilleriesysteme produzieren. Das gab der Vizechef des Militärgeheimdienstes in Kyjiw, Wadym Skibitskyj, in einem Interview mit der staatlichen Nachrichtenagentur Ukrinform bekannt.
Zum Vergleich: Der deutsche Panzerbauer Krauss-Maffei-Wegmann (KMW) hat bisher pro Jahr 48 der von der Bundeswehr und anderen Armeen genutzten Leopard-2-Panzer gefertigt, will aber auf eine Produktionskapazität von 100 Stück jährlich kommen.
Polen hat als Reaktion auf den Angriff mit mindestens 19 Drohnen und einer Rakete am Donnerstag den Flugverkehr im Osten des Landes untersagt. Entlang der Grenzen zu Belarus und der Ukraine werde eine Sperrzone eingerichtet, zunächst bis Dezember. Damit solle die Sicherheit des Staates gewährleistet werden, teilte die polnische Flugsicherungsbehörde mit.
In Polen wächst die Sorge, dass das „Sapad“-Manöver für andere Zwecke als militärische Übungen genutzt werden könnte. Nach dem letzten russisch-belarussischen Manöver „Westen“ im Jahr 2021 blieben Moskaus Truppen gleich in Belarus und griffen von dort aus im Februar 2022 die Ukraine an.
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