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Neue Stützpunkte für AtomwaffenWie Russland aufrüstet

Militärstützpunkte in Belarus bereiten Nato-Staaten Sorge. Moskaus „Iskander“-Raketen können Städte wie Berlin in wenigen Minuten treffen.

Das russische Verteidigungsministerium veröffentlichte im Mai 2024 dieses Bild einer „Iskander“-Rakete Foto: Russian Defense Ministry Press/AP

Berlin taz | Bei jeder Umlaufbahn ist ein Stück mehr zu sehen: Satellitenbilder belegen, wie eine große Radaranlage in der russischen Ostseeexklave Kaliningrad stetig emporwächst, umgeben von einem hohen Zaun. Gleiches geschieht mit zwei neuen Militärstützpunkten für mögliche russische Atomraketen in dem an drei Nato-Staaten grenzenden Belarus.

Im ehemaligen Königsberg hat Moskaus Militär „Iskander“-Raketen stationiert, die binnen Minuten Berlin und andere europäische Hauptstädte treffen könnten und deshalb laut westlichen Militärexperten bei einem Konflikt schnell ausgeschaltet werden müssten. Und Machthaber Wladimir Putin hat bereits im Dezember verkündet, Atomraketen in Belarus stationieren zu wollen und im August die Serienproduktion der Hyperschallrakete „Oreschnik“ angekündigt.

Nach dem russischen Drohnenangriff auf Polen vom Mittwoch, bei dem eines der Ziele laut Nato-Untersuchungen ein großes Lager der westlichen Allianz zur Versorgung der Ukraine mit Waffen gewesen sein soll, wächst die Sorge vor einer Eskalation. Denn zwischen Kaliningrad und Belarus liegt der maximal 91 Kilometer lange Suwałki-Korridor, der den hochgerüsteten russischen Ostseeaußenposten mit Moskaus Bündnispartner Belarus verbindet.

Diese einzige Landverbindung zwischen Polen und den baltischen Staaten auf Nato-Territorium gilt den meisten Mi­li­tär­ex­per­t:in­nen als Nadelöhr und Schwachstelle im Falle eines russischen Angriffs auf Nato-Territorium.

Simulation oder Wirklichkeit?

Polens Premier Donald Tusk warnt inzwischen, das Ziel des am Freitag beginnenden russisch-belarussischen Großmanövers „Sapad 2025“ („Westen 2025“) sei, „die Besetzung der sogenannten Suwałki-Lücke zu simulieren“. Zwar sind auf der nördlichen Seite, in Litauen, bereits Bundeswehrsoldaten stationiert und Deutschland baut dort die Litauen-Brigade auf.

Doch die Nachschublinien verlaufen genau durch diesen Korridor und der litauische Hafen Klaipeda als Versorgungslinie kann von Kaliningrad, Stützpunkt der russischen Baltischen Flotte im Hafen Baltijsk, blockiert werden.

Im Gebiet Kaliningrad stehen bereits atomar bestückbare „Iskander“-Raketen. Das neue Großradar- und Abhörzentrum soll diese laut Nato-Experten sichern. Der US-Oberkommandierende für Europa und Afrika, General Chris Donahue, hatte den Kreml im Juli gewarnt, Kaliningrad werde „in einer nie dagewesenen Zeit“ eingenommen, sollte Moskau seinen Angriffskrieg über die Ukraine hinaus ausweiten.

Denn „im Falle eines russischen Angriffs im Suwałki-Korridor könnte die strategische Bastion Kaliningrad Ausgangspunkt für hybride Angriffe, Spezialoperationen und Störungen des elektromagnetischen Spektrums sein“, heißt es bei der Bundeswehr.

Parallel zum Ausbau der Bastion Kaliningrad treibt Putin den Aufbau von Militärbasen in Belarus voran. Das belegen sogenannte Open-Source-Intelligence-Projekte zur Auswertung von Satellitenbildern, die „Schemy“, ein ukrainisches Programm von Radio Liberty, und die estnischen Medien Delfi und Eesti Ekspress veröffentlichten.

Operation „Haselstrauch“

Aufgrund dieser Aufnahmen haben die Jour­na­lis­t:in­nen eine Karte von Militärobjekten in Belarus erstellt. Sie zeigt sowohl neu gebaute, als auch modernisierte Militärstützpunkte und Übungsplätze, wo das „Sapad“-Manöver ab Freitag stattfinden soll – teilweise in unmittelbarer Nähe zu Polen und Litauen. Darunter sind neue und ausgebaute Hangars für Kampfjets sowie zwei neue Militärobjekte an der Grenze zur Ukraine.

„Oreschnik“ (Russisch für Haselstrauch) oder im Nato-Jargon „SS-X-34“ heißen die ballistischen Raketen, die Putin im zweiten Halbjahr in Belarus stationieren will. Diese nuklear bestückbare Hyperschallrakete wurde – mit konventionellem Sprengkopf – erstmals im November 2021 von Russland für einen Angriff auf die ostukrainische Großstadt Dnipro eingesetzt. Sie soll zehnmal so schnell als Schallgeschwindigkeit fliegen können und damit nur schwer abzufangen sein.

Doch das militärische Haselgewächs ist nicht das einzige, was die russische Rüstungsindustrie derzeit wachsen lässt: Erstmals veröffentlichte jetzt der ukrainische Militärgeheimdienst Zahlen, die seine Agenten aus dem Feindesland holen konnten.

Russlands Rüstungsöfen heizen an

Demnach werden russische Waffenschmieden allein in diesem Jahr 2.500 Marschflugkörper, ballistische Raketen und Hyperschallraketen, 57 Kampfflugzeuge, 250 Kampfpanzer, 1.100 Schützenpanzer sowie 365 Artilleriesysteme produzieren. Das gab der Vizechef des Militärgeheimdienstes in Kyjiw, Wadym ­Skibitskyj, in einem Interview mit der staatlichen Nachrichtenagentur Ukrinform bekannt.

Zum Vergleich: Der deutsche Panzerbauer Krauss-Maffei-Wegmann (KMW) hat bisher pro Jahr 48 der von der Bundeswehr und anderen Armeen genutzten Leopard-2-Panzer gefertigt, will aber auf eine Produktionskapazität von 100 Stück jährlich kommen.

Polen hat als Reaktion auf den Angriff mit mindestens 19 Drohnen und einer Rakete am Donnerstag den Flugverkehr im Osten des Landes untersagt. Entlang der Grenzen zu Belarus und der Ukraine werde eine Sperrzone eingerichtet, zunächst bis Dezember. Damit solle die Sicherheit des Staates gewährleistet werden, teilte die polnische Flugsicherungsbehörde mit.

In Polen wächst die Sorge, dass das „Sapad“-Manöver für andere Zwecke als militärische Übungen genutzt werden könnte. Nach dem letzten russisch-belarussischen Manöver „Westen“ im Jahr 2021 blieben Moskaus Truppen gleich in Belarus und griffen von dort aus im Februar 2022 die Ukraine an.

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6 Kommentare

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  • Tatsächlich hatten wir für diese Problem eine sehr sehr gute Lösung:

    Den INF-Vertrag !

    Den "wir" , genauer die USA , 2019 aufgekündigt haben.

    Die USA haben sofort 3 Waffen-System-Programme öffentlich gemacht die vorher INF-verbotene Mittelstrecken Waffen waren.

    1.) Tomahawk bodengegestützt -- Stationierung in Deutschland geplant -- Reichweite bis Russland.

    2.) ATACMS Nachfoler mit 800km Reichweite

    3.) Die Dark-Eagle 3000km Hyperschall Mittelsreckenwaffen, Bodengestützt stationierung in Deutschland ab 2026.

    Die Dark-Eagle und Tomahawk in Deutschland sind militärtechnisch ideale Erstschlag-Waffen für einen "Enthauptungschlag" gegen Moskau.

    In der Ukraine "grenznah" zu Russland stationierte Dark-Eagle hätte nur gut 500km bis Moskau zu fliegen so das Moskau ca. 5min "Vorwarnzeit" bleibt.

    Je weniger Vorwarnzeit desto direkter die Bedrohung und desto höher die Eskalationsgefahr und auch die Gefahr eines "Atomkriegs aus versehen".

    P.S.:

    Wie wissen mit hoher Sicherheit das die vor 2022 stationierten Iskander kein Reichweite über 500km hatten.



    Russland dürfte fast alle bis Ende 2024 eingesetzte haben und es nicht recherchierbar das dabei mehr als 500km zurückgelegt wurden.

    • @Jörg Heinrich:

      Alles schick, nur eine Frage bleibt: warum sollte die NATO einen militärischen Erst- und Enthauptungsschlag gegen ein atomar gerüstetes Land führen?

    • @Jörg Heinrich:

      Die USA haben den Vertrag verlassen weil Russland sich nicht daran gehalten hat, das man im Anschluss gleich Waffensysteme präsentieren könnte liegt daran das man die systeme entwickelt aber halt vertragstreu nicht gebaut und eingesetzt hat. Für einen Enthauptungsschlag sind diese konventionellen ballistische Raketen übrigens nicht geeignet. Viel zu wenig feuerkfraft, mittelfristig würden da sowieso Europäische Raketen stationiert, die sind schon in Entwicklung.

      Und dass de theoretisch in der Ukraine stationiert werden könnten ist ein Strohmann Argument sie könnten auch in Belarus stationiert werden genauso unwahrscheinlich.

      Verträge wie der INF funktionieren nicht mehr weil die USA eine Weltmacht und Russland eine Regionalmacht sind daher sind die jeweiligen geopolitischen Interessen und Zwänge zu unterschiedlich um zu einer Einigung zu kommen. USA müssen bei jeder Einschränkung ihrer Fähigkeiten Iran, Nordkorea und insbesondere. China mitbedenken, nur um einen Vertrag mit Russland zu haben lohnt sich das nicht.

      • @Machiavelli:

        Zitat Machiavelli btr. Tomahawk und Dark Eagle:

        "Für einen Enthauptungsschlag sind diese konventionellen ballistische Raketen übrigens nicht geeignet."

        BTr der Aussagen "konventionelle ballistische Rakete"



        und Enthauptungsschlag bzw. Erstschlag.

        Zitat Wikipedia Artikel zur Tomahawk:

        " Der BGM-109 Tomahawk ist ein Marschflugkörper



        ...



        Während des Kalten Krieges waren die Tomahawk Block I-Marschflugkörper mit Nukleargefechtsköpfen sowohl für einen nuklearen Erstschlag wie auch für einen Zweitschlag vorgesehen. "

        Zitat Wikipedia-Artikel zur Dark Eagle (Long-Range Hypersonic Weapon (LRHW)):

        "The Long-Range Hypersonic Weapon (LRHW), also known as the Dark Eagle, is an intermediate-range surface-to-surface boost-glide hypersonic weapon"

      • @Machiavelli:

        Btr. Zitat:

        "Für einen Enthauptungsschlag sind diese konventionellen ballistische Raketen übrigens nicht geeignet."

        Weder Tomahawk noch Dark Eagle sind "konventionelle Raketen" im Sinne klassicher belistischer Raketen.

        Tomahawk ist ein tief-fligender Maschflugkörper und keine "konventionelle Rakete" die im Tiefflug die Radar-Überwachung der Luftabwehr "unterfliegen" und so "überraschend" eingesetzt werden können.



        Das Quelifiziert sie für Erstschläge, Zitat Wikipedia:

        "Während des Kalten Krieges waren die Tomahawk Block I-Marschflugkörper mit Nukleargefechtsköpfen sowohl für einen nuklearen Erstschlag wie auch für einen Zweitschlag vorgesehen."

        Dark Eagle ist ein manevierfähiges Hyperschall-System mitlerer Reichweite und damit ebenso keine "konventionelle Rakete" im Sinne klassicher belistischer Raketen, Zitat Wikipedia dazu:

        "... für die US-Streitkräfte entwickelte Hyperschallwaffe größerer Reichweite."

      • @Machiavelli:

        Btr. Zitat:

        "Die USA haben den Vertrag verlassen weil Russland sich nicht daran gehalten hat, "

        Das ist letztlich eine unbelegte Behauptung.

        Die Fakten:

        Die USA hatten behauptet das Iskander, vor allem der Iskander Marschflugkörper 9M729 , über 500km Reichweite habe.



        (Quelle: "Stiftung Wissenschaft und Politik" 2018, Titel:



        "INF-Vertrag vor dem aus".

        Russland hat das dementiert und Inspektionen vor Ort am Waffensystem angeboten und öffentlich Details vor Ort gezeigt westlichen Militärataches und Jornalisten, Zitat Tagesschau 2019 :

        "Russische Militärs stellten im Januar 2019 Journalisten und verschiedenen Militärattachés anderer Staaten das Raketensystem 9M729 vor..."



        (Fotos des Waffensystem mit Jornlisten im Artikel)

        Es wurde von 2022 bis 2024 keine Flugbahn einer Iskander mit mehr 500km Reichweite festgestellt zumindest nicht soweit recherchierbar.

        Das spricht sehr dafür das die bis 2022 gebauten Iskander INF-Konfrom waren also unter 500km Reichweite hatten.

        Das sind die Fakten.