Sotschi 2014 – Bobfahren: Bolide mit Platten

Die deutschen BobfahrerInnen werden hoch subventioniert, fahren aber der Konkurrenz hinterher. Schuld sei das Material.

Francesco Friedrich und Jannis Bäcker auf dem Weg zum schlechtesten olympischen Zweierbobergebnis seit 1956. Bild: ap

BERLIN taz | Deutsche Bobfahrer sind gegen alle Widrigkeiten gefeit. Bis vor wenigen Tagen glaubte man das zumindest – und nicht nur hierzulande. Den unvorstellbaren Fliehkräften in den kurvigen Eiskanälen dieser Welt hielten die deutschen Naturburschen in der Regel besser stand als alle anderen. Erwartungsdruck? Konnte ihnen nur wenig anhaben.

Bei Winterspielen waren sie es, die neben den Rodlern die verlässlichsten Medaillensammler waren. Häufig war die goldene Plakette dabei – vom Gold-Viererbob 1976 (Meinhard Nehmer, Jochen Babock, Bernhard Germeshausen, Bernhard Lehmann für die DDR) bis zum Gold-Zweierbob 2010 (André Lange/Kevin Kuske) reihte sich Erfolg an Erfolg. Das war aber stets nicht nur eine Leistungsschau großer Athletik und Fahrkunst, sondern auch eine deutscher Ingenieurskunst. Eine unverbrüchliche Einheit, so dachte man.

In Sotschi ist jedoch die heile deutsche Bobwelt in Trümmer zerfallen. Das Team offenbarte sich als schlecht funktionierendes Zweiparteiensystem. Die eine Seite wies der anderen die Schuld zu. „Jeder Blinde hat gesehen, dass die Jungs eine gute Leistung abgeliefert haben“, schimpfte der einstige Goldgewinner und derzeitige Bundestrainer Christoph Langen, nachdem Francesco Friedrich und Jannis Bäcker im Sanki Sliding Center von Sotschi mit Platz 8 das schlechteste olympische Zweierbobergebnis seit 1956 erzielt hatten.

„Das Grundgerät“, erklärte Langen, laufe eben nicht richtig. „Nicht olympiawürdig“ nannte gar der auf Rang 11 platzierte Thomas Florschütz den deutschen Bob. Sein Anschieber Kevin Kuske lamentierte, früher hätte man in Formel-1-Wagen gesessen, heute sei man im Trabi unterwegs. Das Fazit war klar: Die Gerätebauer vom Institut für Forschung und Entwicklung (FES) hatten versagt.

Lieblingskind des deutschen Sports

Es ist jedoch eine gefährliche Debatte, die die frustrierten Athleten befeuern. Bislang war der Bobsport das verhätschelte Lieblingskind der deutschen Sportfunktionäre. Nach den Zahlen, die der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) im Sommer 2013 veröffentlichte, wurden alle olympischen Wintersportverbände vor den Spielen in Sotschi jährlich mit etwa 8 Millionen Euro alimentiert. Davon verschlang allein der Bob- und Schlittenverband gut 3 Millionen Euro.

Weil die Skeletonis und Rodler wesentlich geringere Transportkosten zu den Weltcups in Übersee haben, kommt der Bobabteilung der größte Batzen zugute. Und das zuarbeitende FES, das noch zwölf weitere Sportarten mit Materialien ausstattet, wird vom Staat jährlich mit 6,2 Millionen Euro subventioniert. Um staatliche Unterstützung musste man sich beim deutschen Bob- und Schlittenverband nie sorgen. 22 Millionen Euro spendierte die Bundesregierung 2009 aus dem Konjunkturprogramm II, um die Bahn im bayerischen Königssee zu modernisieren. Medaillen der deutschen Bobfahrer waren stets teuer erkauft.

Bleibt der Podestplatz in Sotschi aus und bringen die Athleten dieses Scheitern weiterhin mit der FES-Arbeit in Verbindung, werden diese generösen Zahlungen gewiss auf dem Prüfstand stehen. Auch die Sportpolitiker werden sich fragen, wie diese verhagelte Medaillenernte nur möglich war. Bei der WM in St. Moritz vor einem Jahr fuhr der Zweierbob mit Francesco Friedrich noch allen davon. Ebenso wie der von Maximilian Arndt gelenkte Viererbob, der von heute an um die letzte verbliebene deutsche Medaillenchance kämpft. Eine kostspielige historische Pleite ist wahrscheinlich – die ersten Trainingsfahrten in Sotschi deuten das an.

Techniker am Pranger

Doch ist all das wirklich das missratene Werk der jahrelang so erfolgreich arbeitenden Ingenieure vom FES? Vertreter des Instituts hüllen sich in Schweigen. Gezwungenermaßen. Vertraglich sei das so mit dem deutschen Bob- und Schlittenverband festgelegt, heißt es. Eine undankbare Klausel für die nun am Pranger stehenden Institutsmitarbeiter. Fraglos sei einiges schlecht gelaufen, räumt man hinter vorgehaltener Hand ein.

Woran es liegt, versucht man derzeit fieberhaft zu ermitteln. So flinke Antworten wie von den Athleten bekommt man von Wissenschaftlern sowieso nicht. Grundsätzlich müssen sie immer drei Entwicklungsfelder im Blick haben: die Aerodynamik, das Fahrwerk und die Tribologie, die Lehre von der Reibung. Ersteres steht – noch – nicht zur Debatte. Der möglichst geringe Luftwiderstand der Bobs wurde vor der Saison im Windkanal getestet und für gut befunden. Schnittiger als die derzeitigen Modell 208 und 408 war noch kein Zweier- und Viererbob. Beim Fahrwerk und den Kufen stimmt offenkundig einiges nicht.

Die vier Stahlkufen, auf denen ein Bob steht, eignen sich gut, um die Komplexität der FES-Arbeit zu veranschaulichen. Jede einzelne Kufe wiegt bis zu sechs Kilogramm, ist über einen Meter lang, misst aber in der Breite nur 14 Millimeter – so viel wie eine feingliedrige Halskette. Und bis zu 630 Kilogramm Gewicht drücken beim Viererbob aufs Eis. Der Stahl, an dem die FES-Experten arbeiten, ist vom Weltverband gestellte Einheitsware. Vorteile gegenüber der Konkurrenz ergeben sich vor allem durch geometrische Optimierungen. Ob man etwa die Kufen an der Unterseite eher elliptisch oder kreisförmig abrundet, ist witterungsabhängig. Wobei zudem auch noch die unterschiedlichen Kurvenradien des Eiskanals mitberechnet werden müssen.

Ein gutes Fahrwerk macht den Bob indes besser lenkbar. Mit elektronischen Messvorrichtungen wird genau austariert, welchen Belastungen das Material im Kanal ausgesetzt wird. Datenanalyseprogramme offenbaren den Verbesserungsbedarf.

Meckernde Sportler

Allerdings lassen sich die Ergebnisse der Computerprogramme nur durch die Vermittlung der Athleten gewinnbringend auf die Eisbahn bringen. Der empfindliche Lenkapparat des neuen Bobs war bereits vor Sotschi von den SportlerInnen moniert worden. Nachbesserungen konnten scheinbar nicht bewerkstelligt werden. Das Zusammenspiel von Theorie und Praxis, das bei den allesamt golddekorierten Rodlern, die ebenfalls mit dem FES kooperieren, bei diesen Winterspielen wieder einmal vortrefflich glückte, missglückte bei den Bobfahrern gänzlich.

Hader gab es auch schon früher. André Lange kehrte bereits 2009 einmal dem FES-Bob verärgert den Rücken zu, um vor Vancouver 2010 reuig zu dieser Tüftelinstitution zurückzukehren. Doch angesichts des mittlerweile Formel-1-ähnlichen Technikwettbewerbs, bei dem gar die Protagonisten sich gleichen – BMW unterstützt das Bobteam der USA, McLaren das englische und Ferrari das italienische –, kann man sich solche Reibungsverluste nicht mehr erlauben.

Beim FES ist man über mancherlei, zu dem man sich ja eigentlich nicht äußern darf, verwundert. Zum Beispiel über den Vorwurf, dass die Olympiabobs viel zu spät geliefert worden seien. Der Bob, heißt es im Berliner Institut, sei nicht später fahrbereit gewesen als bei den Winterspielen zuvor. Womöglich wird an einem wesentlichen Problem vorbeigeredet. Der deutsche Bobsport benötigt vielleicht koordinative Kompetenz. Sicher scheint: Ein Selbstbewusstsein, das sich von der Realität abgekoppelt, steht jedem Erfolg im Weg.

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