Sotschi 2014 – Eishockey, Frauen: Sexualität privat

Putins Anti-Homo-Gesetz sorgte für Aufregung im deutschen Team. Um den Sport aus der Nische zu holen, blenden die Eishockeyspielerin alles aus.

Susann Goetz und Maritta Becker (l). Bild: dpa

SOTSCHI taz | Da ist er wieder, der Tunnel. Wer im Tunnel unterwegs ist, kann nicht nach rechts oder links ausweichen. Der Fokus ist klar, es geht nur in eine Richtung. Für die Nationalspielerin Maritta Becker geht es während der Olympischen Spiele nur um den Sport, ihren Sport. Fraueneishockey müsse sich gut präsentieren, sagt sie. Die 33-Jährige wischt sich nach einer Trainingseinheit den Schweiß von der Stirn. Sie steckt noch in der vollen Eishockeymontur und dampft im Trainerraum der Eishalle 1 vor sich hin. Es riecht muffig – nach Eishockey eben.

Putins Anti-Homosexuellen-Gesetz habe in der Mannschaft für Diskussionen gesorgt, aber spätestens seit das Feuer im Olympiapark von Sotschi brennt, ruht die Debatte: „Wir haben in der Mannschaft beschlossen, dass wir hier sind wegen des Sports.“ Sie sagt das mehrfach. Es ist ihr Mantra. Sollen sich doch die „verantwortlichen Leute“ äußern. Sie will jetzt nur Fraueneishockey in Deutschland voranbringen „und Werbung dafür machen“. Das kann man offenbar nur, wenn man mit dem Schläger gegen einen Puck haut.

Der Deutsche Eishockey-Bund wird froh sein über diese teaminterne Entscheidung. Angeblich hat er jeder Spielerin erlaubt, sich frei zu äußern. So wie Maritta Becker, die schon 2002 in Salt Lake City bei den Winterspielen für Deutschland aufs Eis ging, denken derzeit eigentlich alle Olympioniken. Die ohnehin schon kaum vernehmbaren kritischen Stimmen sind vollends verstummt. Der olympische Sport hat wie einen Sog alles Kritische verschluckt. Der Wettkampf hat Vorrang.

Die Athleten blenden das Politische aus: Eine dezidierte Meinung zur Diskriminierung von Schwulen und Lesben in Russland gehört dazu. Beckers Teamkollegin Susann Götz hat neulich in der Zeit gesagt: „Glauben Sie wirklich, wir haben uns vorgenommen, in Sotschi demonstrierend durch die Stadt zu laufen? Nur weil einige von uns lesbisch sind?“

Das Tunnelgefühl

Maritta Becker möchte nicht näher auf dieses Thema eingehen, es sei privat. Sie hat recht: Es geht niemanden etwas an, ob jemand Frauen oder Männer mag. Trotzdem wüsste man gern etwas genauer, wie man im Team über die russischen Gesetze denkt – gerade weil doch auch Teammitglieder Lesben sind.

Könnten sie mit einer offensiven Strategie dem deutschen Eishockey nicht viel mehr nützen als mit bislang zwei Niederlagen gegen Russland und Schweden? Würde die deutsche Öffentlichkeit nicht mit großem Respekt auf eine verbale Offensive reagieren? Oder weiß Maritta Becker, dass man das Tunnelgefühl braucht, um gut zu sein?

Maritta Becker will abwarten, bis die Spiele vorbei sind – und sich dann eventuell äußern. „Man kann das ja immer noch im Nachhinein machen.“ Wäre das nicht ein wenig feige, aus der sicheren Distanz von Deutschland aus ein bisschen nachzukarten? Oder muss man respektieren, dass Becker nicht auf die Pauke hauen will? „Irgendwelche negativen Schlagzeilen können wir jetzt nicht gebrauchen“, sagt sie, nur mit Sport „identifiziere ich mich im Moment“.

Es ist ja nicht so, dass Becker nicht mit Emphase über Dinge sprechen kann, die ihr wichtig sind, zum Beispiel über die Entwicklung des Fraueneishockeys in Deutschland. „Der Männerbereich muss offener werden, um die Frauen zu unterstützen“, fordert sie, „dann können auch mehr Mädchen auf Sportgymnasien gehen.“ Das ist ihr wichtig, denn Becker trainiert auch die U18-Nationalmannschaft. 2012 war sie mit ihrem Team bei den Olympischen Jugend-Winterspielen in Innsbruck und hat die Bronzemedaille gewonnen.

Forderung: Gleiche Möglichkeiten

Im Alter von elf Jahren hat Becker angefangen, den Puck ins Netz zu hauen, und schon zwei Jahre später wurde sie ins Nationalteam berufen. Das ist jetzt zwei Jahrzehnte her, Becker hat für sieben verschiedene Vereine, auch in der Schweiz und Schweden, gespielt, sie hat sich zur Sportlehrerin ausbilden lassen, etliche Trainerscheine in der Tasche und ihre Gelenke malträtiert. „Man muss ans gesamte Eishockey in Deutschland appellieren, dass Frauen die gleichen Möglichkeiten haben wie die Männer“, sagt sie mit lauter Stimme. „Trainer und Vereine müssen sich offen zeigen.“

Belle Brockhoff, 21, Australierin, ist eine der wenigen offen lesbischen Sportlerinnen, die in Sotschi an den Start gehen. Am Sonntag beginnen ihre Rennen im Boardercross. Sie hat den Mund aufgemacht, ist aus dem Tunnel herausgegangen. „Ich hoffe, dass ich etwas dazu beitragen kann, dass sich dort etwas verbessert“, hat sie der taz im Vorfeld der Spiele gesagt. Belle Brockhoff hätte Unterstützung gebrauchen können. Warum nicht von den deutschen Eishockeyspielerinnen?

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