Sozialdemokraten in der Krise: Kein Zoff nach der Klatsche

Angesichts ihrer Wahlergebnisse in den Ländern kommt die SPD ins Grübeln. Ihrem Parteichef Sigmar Gabriel bleibt sie aber treu.

Ein Mann im Anzug tritt aus einer blauen Tür heraus

Katerstimmung bei den SPD-Wahlverlierern. Im Bild: Nils Schmid aus Baden-Württemberg Foto: dpa

BERLIN taz | Das mit dem Bürgerdialog müssen die Sozialdemokraten noch üben. Die Fraktion hat in den Reichstag eingeladen um zentrale Zukunftsfragen zu erörtern. An diesem Mittwoch geht es um Deutschland als Einwanderungsland. Gekommen sind Rabbinerinnen und Imame genauso wie afrikanische Gemeindevertreter und asiatische Deutsche.

So kurz nach den Wahlerfolgen der AfD könnte man die Veranstaltung als Kontrapunkt sehen, aber sie wurde lange vorher angesetzt. Nicht auf dem Plan hatten die SPD-Abgeordneten, offenbar die namentliche Abstimmung im Bundestag. Jedenfalls klingelt mitten im Dialog die Bundestagsglocke, die Gastgeber eilen aus dem Saal und die Gäste diskutieren nun allein mit der Moderatorin.

„Ist Ihnen das Thema wichtig oder nicht?“, empört sich Breschkai Ferhad. Die Leiterin der Koordinierungsstelle Neue Deutsche Organisationen hat ihre Umhängetasche geschultert und steuert nun gleichfalls grimmig auf den Fahrstuhl zu. Sie hätte sich von ihrer Partei nach dem Wahlsonntag mal ein klares Bekenntnis gewünscht: „Wir sind Einwanderungsgesellschaft.“

Wie sich die SPD in Zuwanderungsfragen positionierte war in den letzten Wochen nicht so eindeutig. In Magdeburg verließ der Oberbürgermeister die Partei wegen der Flüchtlingspolitik, in Berlin stimmte die Partei in vorauseilendem Gehorsam deutlichen Asylrechtsverschärfungen zu. Dass die SPD herumeierte merkten auch die Wähler – sie straften sie in Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg ab.

Eine Gruppe linker SPD-Bundestagsabgeordneter will eine Debatte über die Ausrichtung ihrer Partei anstoßen. In einem Papier mit dem Titel "Profil schärfen - Sozialdemokratischen Aufbruch gestalten" fordern die neun Abgeordneten, die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre zu stoppen, das Rentenniveau wieder über 50 Prozent anzuheben und den Spitzensteuersatz zu erhöhen. Die Gruppe um die Gesundheits-Expertin Hilde Mattheis und den Vorsitzenden der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen, Klaus Barthel, will damit auch auf den Absturz der SPD bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt reagieren.

Der Spitzensteuersatz sollte nach Worten von Mattheis von 42 auf 52 Prozent steigen. Das Rentenniveau von derzeit 47,5 Prozent soll dem Papier zufolge "deutlich oberhalb von 50 Prozent" stabilisiert werden. Die Riester-Rente soll "bei Vertrauensschutz für bestehende Verträge" abgeschafft werden. Faktisch würden damit die Rentenreformen unter Rot-Grün wie auch der Großen Koalition von 2005 bis 2009 zurückgenommen.

Nur in Rheinland-Pfalz konnte die SPD zulegen und wurde unter Malu Dreyer stärkste Partei. „Eine klare Linie, eine eindeutige Haltung“, benennt Fraktionsvize Hubertus Heil am Dienstag die Faktoren des Erfolgs und verweist damit eben auch indirekt auf die Kriterien der Misserfolge in den Ländern, wo die SPD deutlich einbrach. Kein gutes Omen für die Bundestagswahl.

Das dominiert die Stimmung in der Woche danach. „Das war eine Klatsche, da gibt es nichts zu beschönigen“, sagt Heil. Sowohl im Parteivorstand als auch in der Fraktion lecken sich die Genossen vor allem die Wunden.

Die erste Lehre, die man aus dem Desaster zieht: Geschlossenheit. Jede Kritik am Parteivorsitzenden verbietet sich jetzt genauso wie Fragen nach seiner Eignung als Merkel-Herausforderer. „Sigmar Gabriel ist und bleibt der Vorsitzende“, sagt Heil. Stattdessen will die SPD nun die soziale Karte spielen.

„Entscheidend ist jetzt, einen Solidarpakt durchzusetzen, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu wahren, wie ihn Sigmar Gabriel angemahnt hat. Wir müssen deutlich machen, dass die SPD die Partei ist, die das Land zusammenhält“, sagt der stellvertretende Parteivorsitzende und hessische Fraktionschef Thorsten Schäfer-Gümbel der taz.

Streit mit Schäuble

Gabriel hatte kurz vor den Landtagswahlen aufgewärmt, was führende SPDlerinnen, unter ihnen auch Wahlgewinnerin Malu Dreyer, im Spätherbst vorgestellt hatten: ein Integrationspaket für mehr Kitaplätze, Sozialwohnungen und Einstiegshilfen in den Arbeitsmarkt. Fünf Milliarden Euro soll das kosten – pro Jahr. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte Gabriels neuerlichen Vorstoß, der ihn allerdings mit Verweis auf die Einheimischen formuliert hatte, als „erbarmungswürdige Politik“ abgetan.

Doch die Sozialdemokraten sind nach den Wahlniederlagen in rauflustiger Stimmung. Im Grundgesetz stünde nicht „Die Würde der schwarzen Null ist unantastbar“, sondern „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, meint Schäfer-Gümbel. „Zunächst muss beschrieben werden, was sind die Aufgaben und danach folgt die Finanzpolitik. Nicht umgekehrt.“

Er sei sehr für einen ausgeglichenen Haushalt versichert der SPD-Vize. „Aber eine schwarze Null heißt nicht, dass man die Verteilungsfragen nicht mehr aufrufen muss.“ Auch das gehöre zur Frage des gesellschaftlichen Zusammenhalts. „Meine Geduld, bei diesem Thema kommunikativ Rücksicht zu nehmen auf die Befindlichkeiten der Union ist bei null“, bekräftigt er. Die CSU müsse ihre Blockade etwa bei der Erbschaftssteuer schnellstmöglich aufgeben.

Linke SPDler wie Ernst-Dieter Rossmann wittern Morgenluft. Dass CSU-Politiker wie der bayerische Finanzminister Markus Söder mehr Geld vom Bund fordern für die Integration von Flüchtlingen, aber gleichzeitig neue Einnahmequellen, wie die Erbschaftssteuerreform blockierten, sei untragbar, sagte er der taz. Die SPD vergewissert sich also ihrer sozialen Wurzeln und will so gleichzeitig die AfD „sozialpolitisch stellen“. Die sieht sich neuerdings nämlich ebenfalls als Partei des sozialen Ausgleichs. Und derzeit glauben ihr viele Wähler mehr als der SPD.

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