Soziale Unterschiede machen krank: Auch Besserverdienende leiden

Menschen in Skandinavien und Japan geht es im Vergleich zu anderen Staaten relativ gut. Grund dafür sind die geringen sozialen Unterschiede.

Wie weit ist die Schere zwischen Arm und Reich geöffnet? Bild: reuters

"Die Wasserwaage. Warum Gesellschaften mit größerer Gleichheit fast immer besser abschneiden". So lautet übersetzt der Titel eines neuen Buches zweier britischer Epidemiologen und er ist Programm. Richard Wilkinson war vor seiner Emeritierung Professor für Medizin an der Universität Nottingham, Kate Pickett forscht am National Institute for Health. Beide sammelten ihr Leben lang Daten über Erkrankungen aus aller Welt. Eines Tages kamen sie auf die Idee, diese zu Angaben über das Ausmaß der ökonomischen Ungleichheit in verschiedenen Ländern in Beziehung zu setzen.

Sie benutzen dafür Statistiken internationaler Organisationen wie der Weltbank, der WHO oder der Unesco. Ein Resultat: In Japan oder den skandinavischen Staaten, wo die "obersten" 20 Prozent viermal reicher sind als die ärmsten 20 Prozent der Bürger, liegt die durchschnittliche Lebenserwartung um etwa zehn Jahre höher als in den USA.

Dort sind die reichsten 20 Prozent zehnmal reicher. Probleme wie Gewalt, Drogen und überbelegte Gefängnisse verteilen sich nach demselben Schlüssel über die Welt. Die skandinavischen Staaten schneiden neben Japan am besten ab. Die westeuropäischen Länder liegen in der Mitte. In Großbritannien aber, wo die reichsten 20 Prozent der Einwohner sechsmal mehr besitzen als die Ärmsten, herrschen schon bedrohlichere Zustände.

Dies gilt wohlgemerkt unabhängig vom Durchschnittseinkommen in besagten Ländern. Das ökonomisch egalitärere Japan, wo das durchschnittliche Jahreseinkommen bei etwa 27.000 Dollar liegt, leidet unter weniger gesundheitlichen Problemen und einer viel niedrigeren Kriminalität als die USA, wo dieses Einkommen um 37.000 Dollar pendelt.

Wie aber kann es sein, dass ein armer US-Bürger unter wesentlich mehr gesundheitlichen Problemen leidet und sich in seiner Existenz bedrohter fühlt als ein Japaner mit dem gleichen Einkommen, der dort zur Mittelklasse zählt? Dieses Phänomen sehen die beiden britischen Mediziner im Stresspegel begründet, der mit zunehmender sozialer Ungleichheit wächst.

Laut Umfragen schämen sich die Ärmeren in den betreffenden Ländern ihrer selbst. Sie trösten sich eher mit Junkfood und Drogen, während die Reichen sich von den Ärmeren bedroht fühlen und sich in Gated Communities verbarrikadieren.

Der Mensch wird des Menschen Wolf. Auch die Reichen geben unter solchen Umständen Unbehagen und eine höhere Krankheitsrate zu Protokoll. So ist die statistisch erfasste Zahl an psychiatrischen Erkrankungen in den Ländern mit der höchsten Ungleichheit in allen Schichten der Bevölkerung fünfmal höher als in denen mit der geringsten.

Die beiden Autoren bezeichnen sich trotzdem als Optimisten. Statt isoliert und mit geringen Erfolgsaussichten an einzelnen Problemen herumzudoktern, so meinen sie, könnten nun Regierungen verschiedenste Missstände zusammen mit der ökonomischen Ungleichheit in ihren Gesellschaften durch Sozial- und finanzielle Förderprogramme an der Wurzel packen.

"The Spirit Level. Why More Equal Societies Almost Always Do Better." Penguin Books, London 2009. Homepage der Autoren: www.equalitytrust.org.uk

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.