Sozialforscher Böhme über ganztägiges Lernen: „Ganztags kann offen sein“

Der Sozialwissenschaftler René Böhme untersucht Strukturen ganztägigen Lernens in Bremen. Den jetzt vorgelegten Koalitionsbeschluss zum Ausbau findet er gut.

Die Grundschule am Pfälzer Weg verwandelt sich seit 2011 allmählich in eine Ganztagsschule - 2012 erhielt sie den Schulpreis. Bild: Theodor Barth/DSP

taz: Herr Böhme, Sie haben vor einem Monat Ihre Untersuchung zu Ganztagsgrundschulen in Bremen vorgelegt und gefordert, deren Ausbau voranzutreiben. Entspricht das, was Rot-Grün am Mittwoch vorgelegt hat, Ihren Forderungen?

René Böhme: Ja, das kommt dem nahe. Ich war allerdings überrascht, dass es so viele sind, nachdem der Ausbau vor einem Jahr ganz gestoppt worden war und es im April hieß, es sei in den Jahren 2014 und 2015 nur Geld für eine da. Interessant wäre, wie der Ausbau danach weitergehen soll, welche Ziele Bremen überhaupt verfolgt. Eine Bedarfsermittlung hat es ja nie gegeben.

Es gibt Geld für sieben Schulen. An den richtigen Standorten?

Darunter sind die, die wir im Auge hatten. Dabei ist neben den Sozialindikatoren berücksichtigt worden, dass es Stadtteile gab, die unterdurchschnittlich mit Ganztagsangeboten versorgt waren. Aus Borgfeld hatten wir etwa gehört, dass viele Eltern auf ein doppeltes Einkommen angewiesen sind, um die Immobilienkredite abzahlen zu können.

Es wird aber nur zwei gebundene Schulen geben, an denen auch nachmittags unterrichtet wird. Ist das nicht zu wenig?

30, Sozialwissenschaftler am Institut für Arbeit und Wirtschaft, forscht zu ganztägigem Lernen.

Nein, wie gut eine Schule ist, hängt nicht von der Form ab.

Aber in den offenen Grundschulen ist es schwieriger, den Schultag zu entzerren.

Es ist richtig, dass der Grad der Rhythmisierung in den gebundenen Schulen höher ist. Aber solche Elemente lassen sich auch an den ungebundenen umsetzen, mit Blockstunden und offenem Anfang. Man muss einfach akzeptieren, dass es verschiedene Formen gibt. Das entspricht auch den unterschiedlichen Wünschen von Schulen und Eltern.

Was meinen Sie damit?

In vielen Schulen gab es Widerstände gegen den Nachmittagsunterricht. Zum einen, weil eine gebundene Ganztagsschule viel aufwändiger umgebaut werden muss, da gibt es ganz andere Anforderungen beispielsweise an die Mensa. Zum anderen ist es für Lehrkräfte nicht so ohne Weiteres möglich, nachmittags zu unterrichten. Viele haben ja auch Familie.

Oder sie wollen es so machen, wie sie es seit 20 Jahren kennen.

Das ist möglich. Es hat sich gezeigt, dass an Schulen, die zunächst nur ein offenes Angebot machen wollten, nach einem Jahr die Bereitschaft da war, sich jetzt in eine gebundene Form umzuwandeln.

Sie sagten, Eltern seien nicht unbedingt für die gebundene Form. Weil die Kinder dann keine Zeit mehr für Klavier- und Reitunterricht haben?

Das ist die Vermutung. Aber die neue Bremer Schulverordnung bietet die Möglichkeit, diesen Elternwünschen nach mehr Flexibilität nachzukommen, indem das Betreuungsangebot an allen Tagen bis 16 Uhr geht, an zwei Tagen aber verbindlich nur bis 14 Uhr.

Der Hintergrund für diese Regelung ist doch aber, dass zu wenig Lehrerstunden zur Verfügung stehen, um jeden Tag bis 16 Uhr zu unterrichten.

Das kann ich so nicht bestätigen. Jetzt ist sichergestellt, dass Schulen nicht mehr bereits um 15 Uhr schließen.

Die Fraktionschefin der Linken, Kristina Vogt, kritisiert, dass die Betreuungsqualität an den offenen Ganztagsschulen geringer ist als in den Horten, weil oft Studierende eingesetzt werden oder irgendwelche Leute, die eine AG anbieten. In den Horten machen das ausgebildete Erzieherinnen.

Richtig ist, dass der Betreuungsschlüssel an Horten besser ist. Aber offene Ganztagsschulen bieten die Möglichkeit, Unterricht und Betreuung besser miteinander zu verzahnen, gezielte Förderangebote zu machen und die Initiativen des Stadtteils in das Ganztagsprogramm einzubinden. Offene Ganztagsschulen erhalten genau wie gebundene Ganztagsschulen zusätzliche Lehrer- und Betreuungsstunden. Gegen den ergänzenden Einsatz von Freiwilligen oder Übungsleitern aus Sportvereinen spricht aus unserer Sicht nichts.

Wie profitieren Kinder eigentlich von den Ganztagsschulen?

Positive Effekte hat es nachweislich auf soziale Fähigkeiten gegeben und das Familienklima soll besser geworden sein, weil sich Eltern entlastet fühlen. Auch konnten teilweise bessere Noten und selteneres Sitzenbleiben aufgezeigt werden, wenn die Kinder häufig am Ganztag teilnehmen. Man muss aber dazu sagen, dass es zu viele verschiedene Formen der Ganztagsbeschulung gibt, um für alle eine Aussage zu treffen.

Aber Ganztagsschulen führen nicht automatisch zum Abitur?

Ganztagsschulen führen nicht von selbst zu besseren Bildungsergebnissen und höherer Bildungsgerechtigkeit. Es kommt auf die Qualitätsentwicklung an. Dazu zählen beispielsweise die Verbesserung der Unterrichtsqualität, mehr individuelle Förderung für die Kinder, die Zusammenarbeit mit den Eltern oder der Einbezug von sozialen Unterstützungsangeboten in den Schulalltag. Das sind Herausforderungen sowohl für gebundene als auch für offene Ganztagsschulen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.