Sozialgesetze in Österreich: Schlappe für die Konservativen

Das Verfassungsgericht kippt ein Gesetz in Niederösterreich, das die Mindestsicherung deckelt. Eine solche Regelung ist auch im Bund geplant.

Niederösterreichs ÖVP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner

Muss sich jetzt etwas einfallen lassen: Niederösterreichs ÖVP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner Foto: dpa

WIEN taz | Einer schallenden Ohfeige für die Sozialpolitik der neuen Rechtsregierung in Österreich kommt der jüngste Spruch des Verfassungsgerichtshofes gleich. In nüchternem Juristendeutsch wenden sich die 14 Verfassungsrichter gegen das Schüren von Sozialneid und Ausländerfeindlichkeit von oben.

„Unsachlich und daher verfassungswidrig“ sei Niederösterreichs Regelung, die Mindestsicherung für größere Haushalte einzuschränken. So lautet das Urteil des Verfassungsgerichtshofes, das am Montag publik wurde.

Die Mindestsicherung – laut Gesetz für Menschen ohne Einkommen oder Vermögen – dürfe „nicht nach rein politischen Gesichtspunkten eingeschränkt werden“. Auch eine Koppelung der Mindestsicherung an eine minimale Aufenthaltsdauer In Österreich sei „unsachlich und daher verfassungswidrig“. Die Bestimmungen wurden daher mit sofortiger Wirkung aufgehoben.

Niederösterreich, wo die konservative ÖVP mit einer absoluten Mehrheit ausgestattet ist, hatte im November 2016 beschlossen, die Mindestsicherung für Mehrpersonenhaushalte bei 1500 Euro zu deckeln. Getroffen werden sollten vor allem Zuwandererfamilien und Asylberechtigte mit vielen Kindern. Deswegen wurde auch ein fünfjähriger Aufenthalt als Bedingung ins Gesetz geschrieben.

Keine Überraschung

Auch diesen Passus kippten die Verfassungsrichter, denn diese Menschen seien geflüchtet wegen „wohl begründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden“.

Für Martin Schenk, Sozialexperte der Diakonie und Mitbegründer der Armutskonferenz, kommt die Entscheidung nicht überraschend: „Fast 80 Prozent der Menschen, die sich im Sozialbereich auskennen, haben das erwartet“. Überrascht hatte ihn vielmehr, dass Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ) die niederösterreichische Gesetzgebung als Zielvorstellung für eine bundesweite Regelung ins Regierungsprogramm geschrieben hatten.

Helga Krismer, Chefin der Grünen in Niederösterreich, hätte sich gewünscht, dass das Urteil noch vor den Landtagswahlen vom 28. Januar ergangen wäre. Ihre Partei habe im Landtag in St. Pölten immer auf die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes hingewiesen und dagegen gestimmt: „In den Bundesländern, wo die Grünen mitregieren, ist so etwas auch nicht durchgegangen“.

Martin Schenk glaubt auch, dass die Landesregierung mit der Aufhebung gerechnet habe. „Es geht um Symbolpolitik, nicht um Einsparungen“. Die Menschen sollten glauben, es treffe nur Ausländer. Nach einer Analyse der Armutskonferenz treffe es „Geringverdiener mit Frau und kleinen Kindern. Alleinerziehende Mütter, die sich zum Schutz ihrer Kinder von gewalttätigen Männern getrennt haben.

Schlechte Karten

Chronisch kranke Personen, die zwar als erwerbsfähig gelten, auf dem Arbeitsmarkt aber enorm schlechte Karten haben. Eltern, die mit ihren erwachsenen Kindern mit Behinderung im selben Haushalt leben. Familienväter, die sich mit schwerer Arbeit körperlich ruiniert haben und gekündigt wurden“.

In Oberösterreich, wo die ÖVP schon seit drei Jahren mit der FPÖ regiert, ist die Mindestsicherung schon vorher gekürzt worden. Dort sei man aber schlauer zu Werk gegangen, als in Niederösterreich, meint Schenk, weil dort mehrere Ausnahmen definiert worden seien.

Helga Krismer ist „gespannt, was sich die ÖVP jetzt einfallen lässt“. Die Bundesregierung hält jedenfalls an ihren Plänen fest: Man werde eine bundesweit einheitliche Lösung erarbeiten, die zwischen jenen unterscheidet, „die schon länger in das Sozialsystem eingezahlt haben und jenen Nicht-Österreichern, die neu in das Sozialsystem dazu gekommen sind“, so die Regierungskoordinatoren Gernot Blümel (ÖVP) und Norbert Hofer (FPÖ) in einer gemeinsamen schriftlichen Stellungnahme.

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