Sozialproteste in Israel: "Wir sind die neuen Israelis"

Trotz gegenteiliger Prophezeiungen haben die Sozialproteste nichts von ihrer Stärke eingebüßt. 450.000 Menschen gingen am Samstag in mehreren Städten auf die Straße - so viele wie noch nie.

Demonstrant in Tel Aviv. Bild: dpa

TEL AVIV dpa/afp | Bei den größten Sozialprotesten in der Geschichte Israels haben am Samstag etwa 450 000 Menschen landesweit eine gerechtere Gesellschaftsordnung gefordert. Das waren zwar weniger, als die eine Million Teilnehmer, auf die die Organisatoren gehofft hatten. Aber für das kleine Land mit nur 7,7 Millionen Einwohnern war es dennoch ein beispielloser Erfolg, an dem viele der Teilnehmer gezweifelt hatten.

"Herr Ministerpräsident, sehen sie uns gut an: Wir sind die neuen Israelis", sagte der Vorsitzende des nationalen Studentenbundes, Itzik Schmueli vor den etwa 300 000 Teilnehmern der größten Einzelkundgebung in Tel Aviv. "Lassen Sie uns in diesem Land leben", forderte der Studentenführer. "Man hat uns gesagt, dass sich die Bewegung abschwächt", rief Schmueli den Teilnehmern zu. "Heute Abend beweisen wir das Gegenteil."

Sprecher der Protestbewegung bezeichneten es als Riesenerfolg, dass so viele Menschen dem siebten Aufruf in Folge zu den Samstagsprotesten gefolgt seien. "Die genauen Zahlen sind ganz egal, die sind sowieso nur für die Medien", sagte ein Demonstrant in Tel Aviv.

Die Atmosphäre bei den Kundgebungen war wie schon an den früheren Wochenenden äußerst friedlich und hatte Volksfestcharakter. In Tel Aviv mischten sich Musikgruppen, Pantomimen und Schauspielergruppen unter die Demonstranten, die mit Tröten, Kochtopfschlagen und Gesängen ihren Forderungen Nachdruck verliehen.

Viele Demonstranten riefen Parolen wie "Das Volk fordert soziale Gerechtigkeit." Andere warfen der größten israelischen Supermarktkette Preistreiberei vor. Auf einem Transparent stand "Das Land, in dem Milch und Honig fließen, aber nicht für jeden."

Bürger wollen mehr Staat

In Jerusalem kamen den Schätzungen zufolge mehr als 30.000 Menschen vor der Residenz von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zusammen. Ebensoviele Teilnehmer waren es demnach in Haifa im Norden des Landes. Die Teilnehmer hatten über Plakate, aber auch über soziale Netzwerke wie Facebook sowie über die linke Tageszeitung Haaretz von dem Aufruf erfahren. Die Demonstranten wurden mit dutzenden Bussen zu den Orten der Kundgebungen gefahren.

Die Protestbewegung hatte Mitte Juli spontan mit einem Zeltlager aus Ärger über hohe Mieten in Tel Aviv begonnen. Die Bewegung schwoll jedoch von Wochenende zu Wochenende an und breitete sich auch im ganzen Land aus. Inzwischen sind die Forderungen viel umfassender und zum Teil auch unübersichtlicher geworden. Es geht nicht mehr nur um das Wohnungsproblem, sondern auch um die Lebensmittelpreise, die Gesundheitsversorgung, das Bildungssystem und vor allem auch die Steuerlast. Generell wird eine stärker lenkende Rolle des Staates verlangt.

Netanjahu, der eine liberale Wirtschaftspolitik betreibt, hatte Anfang August unter dem Eindruck der Massenproteste ein Expertenteam unter Leitung des ehemaligen Vorsitzenden des Nationalen Wirtschaftsrats, Professor Manuel Trajtenberg, eingesetzt. Er kündigte Vorschläge zur Lösung der Krise für Ende September an. Bis dahin wurden vorerst keine weiteren Großdemonstrationen mehr erwartet.

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