Soziologe über Klima als Klassenfrage: „Die Grünen haben Fehler gemacht“
Wenn Klimapolitik gesellschaftlich breiter akzeptiert werden soll, muss die Verteilungsfrage in den Fokus rücken, sagt der Soziologe Linus Westheuser.
taz: Sie schreiben in einer neuen Studie, Sorgen um die Umwelt seien in der Gesellschaft weit verbreitet. Warum triggert Klimapolitik – wie aktuell die Diskussion um das Verbrenner-Aus – trotzdem so viele Menschen?
Linus Westheuser: Wenn man ganz allgemein fragt, können sich fast alle darauf einigen, dass die Umwelt etwas Positives und Schützenswertes ist. Aber im gesellschaftlichen Alltag wird es schnell komplizierter. Transformationsfragen wie die des Klimaschutzes sind verschlungen mit den Ängsten und Wünschen, Krisen und Ungleichheiten der Gesellschaft.
taz: Was meinen Sie damit?
Westheuser: Viele Menschen erleben den Klimawandel als nur eine unter mehreren Krisen, die sie belasten: Mieten und Preise, die schneller steigen als die Löhne, Ängste vor einer Rezession und Altersarmut, Alltagssorgen um Kinderbetreuung, Zinsen, Überarbeitung und so weiter. Das ist der Kontext, in dem die Nachrichten von der Klimakatastrophe ankommen. „Auch das noch“ ist dann oft die Reaktion. Und die erste Frage ist nicht: Was wird aus der Atmosphäre? Sondern: Muss ich dafür jetzt auch noch blechen? Dazu tritt heute oft noch die Frage: Wird mir irgendwas verboten?
taz: Menschen mit niedrigen Einkommen sind am stärksten von der Klimakrise betroffen. Warum wählen sie dann öfter AfD als Grüne?
Westheuser: Das liegt vielleicht auch daran, dass die Frage der ungleichen Betroffenheit von Klimaschäden nie wirklich im Zentrum der Debatte stand. Man weiß, dass Menschen, die draußen arbeiten, die in schlecht isolierten Wohnungen wohnen, oder die alt und krank sind, am meisten unter dem Klimawandel leiden. Und man weiß auch, dass es ganz überproportional die reichsten zehn Prozent der Gesellschaft sind, die den Klimawandel befeuern, während die untere Hälfte sowieso schon mehr oder minder innerhalb der planetaren Grenzen lebt. Aber der politische Konflikt wurde trotzdem gerahmt, als stünde die aufgeklärte Mittelschicht der urbanen Bioläden gegen die einfachen Leute, die zu engstirnig sind, um ihre Autos aufzugeben.
taz: Von wem?
Westheuser: Rechte und die Wirtschaftslobby haben mit viel Aufwand darauf hingearbeitet. Es gab einen anti-grünen Backlash, der aufwändig orchestriert wurde, unter anderem von Arbeitgeberlobbys wie der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Aber auch die Grünen und die Klimabewegung haben strategische Fehler gemacht und sich zu stark auf die Spielregeln ihrer Gegner eingelassen.
taz: Welche strategischen Fehler?
Westheuser: Ich denke, es hätte gelingen müssen, den Klimawandel als einen Konflikt zwischen oben und unten zu thematisieren. Auf der einen Seite hätte man über die soziale Absicherung derer sprechen müssen, die am stärksten von den Folgen der Klimakrise betroffen sind. Und auf der anderen Seite darüber, wer eigentlich von der Zerstörung des Planeten profitiert. Nicht zuletzt geht es außerdem auch darum, wer darüber entscheidet, was wir gesellschaftlich priorisieren: die Profite der Unternehmen oder das Wohlergehen der Beschäftigten und ihrer Lebensumwelt? Es gab diese Diskurse natürlich und gerade die Bewegungen haben ja stark auf den Begriff der Klimagerechtigkeit fokussiert. Aber am Ende kam bei vielen doch vor allem an, dass die Ökos mir das Tanken und Heizen teurer machen wollen.
taz: Wie geht es besser?
Westheuser: Gelungen finde ich etwa die Kampagne des New Yorker Bürgermeisterkandidaten Zohran Mamdani. Bei Mamdani dreht sich alles um die Bezahlbarkeit des Alltagslebens. Dazu gehört ganz zentral auch die Forderung nach einem kostenlosen öffentlichen Nahverkehr und einer Lebensmittel- und Energieversorgung, die kommunal organisiert ist und sich nach den Bedürfnissen der Bürger:innen und nicht nach den Profiten der Unternehmen richtet. Dieser Ansatz ist auch deshalb wahnsinnig populär, weil er grüne Zielsetzungen nicht gegen die materiellen Alltagssorgen der arbeitenden Mehrheit in Stellung bringt, sondern beide zugleich adressiert.
taz: Ist es für eine allgemeine Akzeptanz von Klimapolitik schädlich, über Lebensstile und Konsumverhalten zu sprechen?
Westheuser: Ja. Klimapolitik ist umso machtvoller, je unterschiedlicher die Menschen sind, die sich mit ihr identifizieren. Lebensstil und Konsum unterscheiden sich aber sehr stark zwischen sozialen Milieus. Je mehr linke Klimapolitik nur mit bestimmten Lebensstilen verbunden wird, desto mehr verzwergt ihr politischer Einzugsbereich. Das ermöglicht es rechten Klimabremsern dann, so zu tun, als sei ihre Verteidigung von Fossilinteressen eigentlich eine Verteidigung der einfachen Leute und ihrer Lebensweise. Die Thüringer CDU hat letztes Jahr auf ein Plakat geschrieben: „Grillen muss erlaubt bleiben!“ Natürlich wollte niemand das Grillen verbieten. Aber es erschien plausibel, weil ökologische Politik ohnehin schon als etwas gesehen wird, das einem von oben auferlegt wird – durch Leute, die der eigenen Lebensform indifferent bis feindlich gegenüberstehen.
taz: Im Surplus Magazin haben Sie Klimapolitiker*innen und Klimabewegung gemeinsam mit der Politökonomin Johanna Siebert ans Herz gelegt, mehr auf „Klimapopulismus“ zu setzen. Was meinen Sie damit?
Westheuser: Das ist ein Strategievorschlag, der skizziert, wie man den Klimakonflikt anders rahmen könnte. Nämlich indem man die ungleiche Verursachung und Betroffenheit ins Zentrum stellt und Wirtschaftseliten ins Visier nimmt. Wir stützen uns auf Studien, die zeigen, dass es die Akzeptanz für Klimaschutzmaßnahmen erhöht, wenn diese als Frage von oben und unten politisiert werden. Forschung von Pariser Kollegen etwa zeigt, dass sich die Zustimmung für ein Tempolimit von 110 Kilometern pro Stunde auf der Autobahn deutlich erhöht, wenn es mit einem Verbot von Privatjets verbunden und Minister:innen vorgeschrieben wird, mit dem Zug zu fahren, statt zu fliegen. Die symbolische Seite von Politik ist sehr wichtig. Man kommuniziert: Wann immer den einfachen Leuten etwas zugemutet wird, schlägt man zuallererst und am allermeisten bei den Reichen und Mächtigen zu. Das ist ein Baustein für eine populäre Klimapolitik jenseits der Innenstadtringe.
taz: Sie wollen also die im rechten politischen Spektrum übliche Rhetorik vom „einfachen Volk“ gegen die „bösen Eliten“ übernehmen?
Westheuser: Die Idee ist es, diesen ganzen Konfliktstoff und die Arbeit mit politischen Emotionen eben nicht einfach den Rechten zu überlassen. Zurzeit sind es vor allem sie, die Ungerechtigkeiten in der Klimapolitik skandalisieren und sich als Verteidiger der einfachen Leute gerieren. Das könnten Linke besser, wenn sie es zum Zentrum ihrer Politik machen würden. Schaut man auf die Zahlen, wer wie viel Klimaschäden verantwortet, dann wäre es tatsächlich unfair, wenn ausgerechnet der Lebensstil der einfachen Leute als erstes eingeschränkt würde. Denn das Problem sind nicht „wir alle“, sondern vor allem die Reichen. Beispielsweise verursacht die ärmere Hälfte Deutschlands weniger Klimaschäden als selbst die oberen 10 Prozent in einem Schwellenland wie Indien. Die Klimafrage ist in allererster Linie eine Klassenfrage.
taz: Es fehlt den Menschen also nicht einfach an Klimabewusstsein?
Westheuser: Nein. Aber unsere Studie zeigt, dass die Wahrnehmungen rund um den Klimawandel sich zwischen den sozialen Klassen deutlich unterscheiden. In der Erzählung der ökologisch sensibilisierten Mittelklasse ist der Klimawandel die Rechnung dafür, dass wir heute in Saus und Braus leben, zu viel haben, zu viel wollen und zu viel konsumieren. Wir leben in den fetten Jahren, aber bald sind sie vorbei, wenn wir uns nicht zügeln. In der Wahrnehmung der Arbeiterklasse dagegen ist schon die Gegenwart prekär und man beschränkt sich sowieso schon die ganze Zeit. Da ist das Ende des Monats manchmal näher als das Ende der Welt. Wenn einem dann jemand schmackhaft machen will, dass es doch eigentlich ganz schön wäre, weniger zu haben, klingt das einfach nur weltfremd. Klimaschutz wird dann als eine zusätzliche Last oder gar eine Bedrohung des eigenen Lebensprojekts wahrgenommen. Das führt zu einer Blockade in der Klimapolitik, die man vermeiden könnte.
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