Spanische Rechtsextreme und Corona: Brauner Autokorso in der Hauptstadt

Die faschistische Voxpartei instrumentalisiert das Coronavirus für ihre politische Agenda. Einige Anwohner stellen sich in Madrid dem Hass entgegen.

Ein langer Autokorso ist zu sehen, die Fahrerinnen und Fahrer schwenken die Spanienflagge

Anhänger der Voxpartei schwenken in Madrid Fahnen, einige davon aus der Zeit der Francodiktatur Foto: Manu Fernandez/ap/dpa

MADRID taz | Hupende Autos mit Spanienfahnen bestimmten am Samstagmittag das Bild in den Zentren der Provinzhauptstädte Spaniens. Ihre Besitzer demonstrierten gegen den Coronavirus-Alarmzustand, den sie „Amtsmissbrauchszustand“ nennen. Aufgerufen hatte dazu die rechtsradikale Partei Vox, die drittstärkste Kraft im spanischen Parlament ist. Sie wirft der linken Regierung vor, mit den Corona-Regeln das Land „in den Ruin“ zu treiben und zudem die Freiheiten der knapp 47 Millionen Bürger einzuschränken. Das Parlament hat den Notstand kürzlich bis zum 6. Juni verlängert.

Zum größten Autokorso kam es in Madrid. Hier fuhren nach Schätzungen des öffentlichen Radios RNE tausende Pkw durch die Häuserschluchten. An ihre Spitze hatte sich Vox-Chef Santiago Abascal im offenen Bus gesetzt. Die Behörden hatten die Autokorsos zuvor genehmigt. Zwar herrscht in Madrid immer noch der Alarmzustand, die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit sind aber nicht eingeschränkt.

Dazu kamen sehr viele Demonstranten zu Fuß. Viele hielten die Abstandsregeln nicht ein. Unter den Teilnehmern befand sich die gesamte Führungsriege der Rechtsextremen. Spanien setze sich gegen die neuen Kommunisten durch, sagte der Vox-Chef Santiago Abascal in einer Rethorik, die bewusst an den Spanischen Bürgerkrieg und die Francodiktatur erinnert.

Die Autokorsos sind keine Aluhut-Aktionen, wie sie etwa in Deutschland zu beobachten sind. Die langen Fahrzeugschlangen sind der vorläufige Höhepunkt von koordinierten politischen Protesten, die bereits vor zehn Tagen in der Straße Nuñez de Balboa in Madrid begannen. Genau dort, wo die reichsten Hauptstädter wohnen, gehen täglich um 21 Uhr Dutzende von Menschen auf die Straße. Sie machen mit Kochtöpfen Lärm und schlagen mit Golfschlägern auf Verkehrsschilder.

Immer mehr Faschisten schließen sich den Protesten an

„Freiheit! Freiheit!“ rufen sie, tragen Spanienfahnen, einige davon aus der Zeit der Francodiktatur. Weder wahren sie die gebotene physische Distanz, noch tragen sie Masken. Nuñez de Balboa ist eine der Hochburgen der rechtsradikalen Vox und der konservativen Partido Popular (PP). Immer mehr faschistische Gruppen schließen sich den Protesten an.

Viele der Demonstrantinnen und Demonstranten fordern den Rücktritt der sozialistisch-linksalternativen Regierung unter dem PSOE-Chef Pedro Sánchez und seinem Vize Pablo Iglesias. Für die Reichen handelt es sich um eine Regierung, die „Spanien zerstört“ und ein System „wie in Venezuela“ einführen will. Als Beweis dient ihnen das Vorhaben, Steuern für Besserverdienende und Unternehmen zu erhöhen. In den letzten Jahrzehnten haben sich die Besserverdienenden in Spanien an ständige Steuersenkungen gewöhnt, Normalverdienerinnen und -verdiener mussten hingegen meist mehr zahlen.

Längst haben die „Spaziergänge“, wie die Teilnehmer ihre nichtgenehmigten Aktionen nennen, auch auf andere Städte übergegriffen. Die Polizei greift nicht ein, beteiligt sich mancherort sogar an den Protesten: In Sevilla bekundete sie per Polizeisirene ihre Sympathie mit den politischen Forderungen. Selbst vor der PSOE-Zentrale in Madrid und vor dem Haus von Podemos-Chef Iglesias zogen die rechten Wutbürger auf. „Wir werden nicht ruhen, bist Du Spanien verlassen hast“, riefen sie. Im Stadtteil Moratalaz lieferten sich dutzende Neonazis Handgreiflichkeiten mit anderen Demonstrierenden.

Das digitale Topfschlagen

In Madrid kommt es mittlerweile auch in Arbeitervierteln zu solchen Protesten. Von vielen Balkonen ist das metallerne Geklapper zu hören, auch ohne Töpfe. Wie das geht? Im Netz können sich Interessierte eine App herunterladen, die das Topfschlagen simuliert, die Tageszeitung La Razón gibt sogar eine Anleitung. Ein Lautsprecher genüge, um Dutzende von „wütenden Bürgern“ auf den Balkonen vorzugaukeln.

In einigen Vierteln der Hauptstadt stellen sich Anwohnerinnen und Anwohner den Topfschlägern entegegen. Im Stadtteil Ja Concepción spielen Bewohner stets den Song Imagine von John Lennon, um das Geklapper zu übertönen. „Wir sind auf die Straße gegangen, um zu denen ‚Nein‘ zusagen, die einen Diskurs des Hasses legitimieren wollen, in dem sie diese fürchterliche Gesundheitskrise ausnutzen“, hieß es in der Erklärung, die sie am Freitagabend verlasen.

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