Spaß haben mit Helene Hegemann: Im Schatten von Madonna

Helene Hegemann und ihre alten Freunde amüsieren sich beim Spielart-Festival in München. Mit ihrem Antitheater wollen sie nichts vermitteln oder erreichen.

Für ein abendfüllendes Programm hat es nicht gereicht: Helene Hegemann. Bild: dpa

Spielart-Festival, München: Auf dem i-camp winkt ein junger Theaterabend; einer, an dem coole Musik läuft und die Hosenböden tiefer hängen. Weiße Lettern huschen atemlos über roten Grund: Irgendwas mit Jesus und vorgefertigten Erfahrungen; dann kommt das Auge nicht mehr mit. Etwas Erklärendes? Eher scheint hier jemand darauf aus, sich selbst die Worte im Mund herumzudrehen - und den Sinn- und Inhaltsuchenden unter den Zuschauern die Gedanken im Kopf.

Dieser Jemand heißt Helene Hegemann, ist 19 Jahre jung und ein Spross des Dekonstruktionstheaters, das besonders üppig an der Berliner Volksbühne blüht. Ihr Vater Carl war dort lange Dramaturg. Sie selbst war gerade 13, als sie in den Dunstkreis zweifellos faszinierender Authentizitätsrelativierer eintauchte - und 17, als ihr Debütroman "Axolotl Roadkill" zum Synonym für ungeniertes Plagiieren wurde. Hegemann nannte es Sampling und war sich kaum einer Schuld bewusst. Sie wusste ja schon, dass der Kulturbetrieb diejenigen besonders liebt, die ihm rotznäsig die Zunge rausstrecken.

Auch das Theater hat ein großes Herz und so ziemlich alles darf auf einer Bühne geschehen und angezweifelt werden. So kam Helene Hegemann dazu, Antitheater zu machen. Nicht freiwillig, wie sie betont, sondern nur, weil René Pollesch die Idee hatte, sie sollte sich in dieser Sache mit Kathrin Krottenthaler zusammentun. Und weil das Spielart-Festival zusammen mit dem Forum Freies Theater in Düsseldorf und dem Ballhaus Ost in Berlin ein Faible für ungewöhnliche Theaterformen hat und in einem Mentorenprojekt Geld dafür gab.

"Connect Connect" heißt es in diesem Jahr, weil es erstmals darum geht, zwei junge Künstler unterschiedlicher nationaler oder professioneller Herkunft zusammenzubringen. So auch bei Helene Hegemann und Christoph Schlingensiefs Kamerafrau, die vor drei Jahren bereits gemeinsam Hegemanns erstes Drehbuch verfilmt und dafür den Max-Ophüls-Preis bekommen haben. Nun also Theater, aber ohne diesen ganzen "Bretter-die-die-Welt-bedeuten-Quatsch", wie Hegemann beteuert.

Was nicht banal ist, wirkt epigonal und unreif

Ihr Projekt "Lyrics. Dieses Gedicht wurde vor ca. 20.000 Jahren geschrieben und ist immer noch aktuell" hat mit der im Titel versteckten vermeintlichen Aktualität alter Schinken gar nichts am Hut und nimmt allen Einwänden schon im Vorhinein den Wind aus den Segeln. Der Abend will nichts vermitteln und nichts erreichen, will nicht verblüffen und nicht beeindrucken. Und wenn er das an ganz wenigen Stellen doch tut, ist man sich nicht sicher, ob es nur ein Unfall war und die Akteure beleidigt sind, wenn man es erwähnt.

Denn auf der Bühne stehen Hegemann selbst und vier ihrer besten Freunde, allesamt ohne Schauspielerfahrung, dafür aber mit deutlichen musikalischen Vorlieben und einer Leidenschaft für Cupcakes. Gerade mit der Schule fertig, die die Jungautorin und -regisseurin abgebrochen hat, hatten Thomas, Jan, Henrik und Leonie Zeit, brauchten Geld und wollten gerne Spaß miteinander haben.

Das ist okay, aber leider nicht abendfüllend. So ist zwar Leonie Hahn gar nicht übel, wenn sie als abgeklärte jugendliche Darstellerin die Frage "Wie echt musst du sein" saublöd findet und darauf verzichtet, polleschmäßig, aber eben ohne Stimmtechnik, herumzuschreien. Auch Hegemann hat eine gewisse Lässigkeit, wenn sie als "Regisseurin Twopence" die x-te Metaebene eröffnend auf die Bühne springt und sich nach deftigen Flüchen dafür entschuldigt, das eklige Wort "hineinversetzen" in den Mund nehmen zu müssen.

Doch der Name "Twopence" und der Bandwurmtitel des Stücks sind nicht die einzigen Momente, an denen der Abend so auffällig seinem Mentor huldigt, dass man geneigt ist, alles, was an ihm nicht banal ist, epigonal und unreif zu finden. Lediglich Krottenthalers Videos bilden hiervon eine Ausnahme.

Ob zum Elektrosound tanzende Punkte, Stadtlandschaften in Schwarz-Weiß oder die Überblendung einer gefilmten in eine Theaterszene: Hier ist der professionelle Kontrapunkt, der dem lustigen WG-Leben von Hegemann und Co. am Ende die Schau stiehlt. Während die fünf Freunde wild gestikulierend zeigen, wie doof es ist, sich allen Ernstes mit "Hamlet" zu befassen, läuft parallel dazu ein Konzertvideo, auf dem die spärlich bekleidete Madonna ihrer Gemeinde einheizt. Da wären sie lieber, die jungen Leute. Und weiß Gott: wir auch!

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