Spiegel Online-Jugendseite Bento: Die Spontis aus dem Bällebad

Nun startet „Bento“, der Versuch von „Spiegel Online“ die 18 bis 30-Jährigen zu erreichen – und neue Werbefelder auszuprobieren.

Ein Hund auf einem Skateboard

So ungefähr läuft‘s auch bei „Bento“: lässig auf dem Skateboard Foto: Reuters

HAMBURG taz | Sie nennen sich das Bällebad von SpiegelOnline (Spon) und ungefähr so sieht es in den Redaktionsräumen von Bento auch aus: eine Tischtennisplatte steht zwischen Schreibtischen, ein rosanes Skateboard auf dem Boden. In der Sitzecke liegt zwischen Gummibärchen und Playmobil-Figuren ein Stapel Zeitschriften: Emma, Neon, Wired, New Yorker. Irgendwo dazwischen sieht sich auch Bento.

Mit Bento will Spon die 18- bis 30-jährigen erreichen. Das versuchen gerade viele Medienhäuser: Das ZDF hat Heute plus gestartet, ZeitOnline Ze.TT, bild.de betreibt byou, bunte.de hat Bnow . Bento ist unter diesen Angeboten wohl das größte: 12 Festangestellte sollen ab Oktober die Seite bestücken, Spon-auch Geschichten beitragen, wenn es passt.

Die Vorbilder für diese Seiten kommen aus den USA: Buzzfeed ist mit Katzenbildern und Listen groß geworden, Vice mit Provokation und Popkultur und vox.com, mit dem Ansatz, „Nachrichten zu erklären“.

All diese Plattformen zeigen eines: Wer jungen Journalismus machen will, darf nicht nur Sprache und Layout ändern. Der muss den althergebrachten Journalismus in Frage stellen: Themen, Erzählweisen, Darstellung - vor allem aber den Verbreitungsweg.

Zu den Lesern bringen

Bisher konnten sich Verlage und Sender darauf verlassen, dass ihre Leserinnen zu ihnen kamen, ihre Zeitung kauften, die Webseite oder die App lasen. Junge Leute tun das immer weniger. Sie bekommen ihre Informationen aus den sozialen Medien. Wer Journalismus für junge Leute machen will, muss ihn also zu ihnen bringen.

„Wir glauben nicht, dass Bento sofort die Browser-Startseite unserer Leser wird. Wir fragen uns vor jeder neuen Geschichte: Würde ich sie teilen – im Netz und unter Freunden? Wenn ich das mit nein beantworte, das ist das keine Geschichte für Bento„, sagt Frauke Lüpke-Narberhaus, die zusammen mit Ole Reißmann Bento leitet.

Bis Ende letzten Jahres waren beide Redakteur bei Spon, Reißmann für Digitalthemen, Lüpke-Narberhaus für Uni- und Schulspiegel. Eine Woche vor dem Bento-Start arbeiten sie mit ihrer Redaktion im Erdgeschoss des Spiegel-Gebäudes schon fast unter Echtzeitbedingungen: Das Team ist vollständig, die Seite läuft im Testbetrieb. Um den Tisch mit den Playmobil-Figuren herum sitzen zehn Redakteure, alle zwischen 20 und 35, bunte Turnschuhe, auf dem Schoß hat jeder sein Mac Book Air.

„Was machen wir mit den Flüchtlingen und dem Oktoberfest?“, fragt ein Redakteur. „Da muss jemand hin, vor allem für die Liveberichte – Fotos und Periscope“, sagt Ole Reißmann. Periscope, das ist die App, mit der man live von allen Orten der Welt Videos streamen kann, die direkt in den Twitter-Stream der Follower einlaufen. Auch das zeigt das Neue an dieser Art des Journalismus: eine Geschichte ist nicht mehr nur der 6.000-Zeichen-Text, sondern eben auch der 30 Sekunden Clip bei Periscope, die Live-Berichterstattung über Twitter oder die Fotostrecke.

Ohne „Spiegel“-Label

Reißmann und Lüpke-Narberhaus sind durch die USA und Deutschland gereist um Anregungen für Bento zu sammeln. „Bei der Arbeit am Konzept haben wir festgestellt, dass wir kreativer, freier und schlagkräftiger denken, wenn wir bento als komplett eigenständiges Angebot entwickeln“, sagt Spon-Chefredakteur Florian Harms. Nur im Impressum soll noch erkennbar sein, dass Bento ein Spiegel-Produkt ist.

Statt viel Text sollen auf der Startseite von Bento vor allem große Fotos und Grafiken zu sehen sein, so wie bei Instagram, dem sozialen Netzwerk für Bilder.

Eine Art Frage-Antwort-Text soll den Nutzerinnen erklären, wie Journalismus funktioniert: Was ist ein Kommentar, eine Nachricht, das Zwei-Quellen-Prinzip? Transparenz, das haben Lüpke-Narberhaus und Reißmann auf ihrer Tour durch deutsche Schulen gelernt, ist wichtig, weil viele Jugendliche den klassischen Medien nicht vertrauen.

Politik soll bei Bento nicht über „Köpfe“ erzählt werden, also Minister X sagt das, Abgeordnete Y verlangt jenes. „Junge Leute sind nicht zu doof die Griechenlandkrise zu verstehen, aber sie wollen sie anders präsentiert bekommen“, sagt Lüpke-Narberhaus. Deswegen wird Bento politische Themen grundsätzlicher behandeln. Lieber: „Die neun Fragen zur Ukrainekrise“ anstatt jede Drehung in Berlin oder Brüssel zu vermelden.

Radikal?

Nur, sind diese Ansätze radikal? Verlangen nicht auch ältere Nutzerinnen eine transparente Redaktion und die Erklärung von komplexen Themen? „Selbstverständlich“, sagt Florian Harms. Deswegen arbeite die Redaktion permanent auch an der Weiterentwicklung von Spiegel Online und habe beispielsweise das Format „Endlich verständlich“ eingeführt. „Aber was Bento anders macht, ist, dass es den jungen Lesern in jedem einzelnen Text vermittelt, wieso er genau für sie relevant ist. Das erwartet ein Spiegel Online-Leser nicht unbedingt.“

Nachrichten sollen auf Bento nur in einem kleinen Kasten stattfinden. Alle anderen Geschichten, „Storys“ genannt, werden über Hashtags geordnet: #Musik, #Fühlen, #Queer, #Haha – statt Ressorts.

Und noch einen fundamentalen Unterschied wird es zu Spon geben: die Werbung. Bento soll mit Native Ads bestückt werden, also gesponsorten Beiträgen. Grün umrandet und mit einem Markenlogo versehen sollen sie als Werbung erkennbar sein, im Artikel selbst gibt es auch das Markenlogo und einen Link zur Erklärung, was ein Sponsored Post ist. Reicht das? Reißmann ist sich sicher: „Junge Leute kennen den Unterschied zwischen redaktionellen und Werbetexten.“ Der US-Comedian John Oliver hat in seiner Show an den Beispielen von Buzzfeed und der New York Times gerade das Gegenteil bewiesen.

Nichts für “SpiegelOnline“

Und so sicher scheint man sich in der Geschäftsführung der Hamburger damit auch noch nicht zu sein. „Bei Spiegel Online sind wir traditionell verhaltener, was native Werbeformen angeht“, sagt Katharina Borchert, Geschäftsführerin von Spiegel Online. „Aber Bento ist ein Ort, an dem wir das ausprobieren und Erfahrungen sammeln können.“ Das werden im Haus trotzdem für Diskussionen sorgen, glaubt Borchert.

Aber sicher nicht nur das. Ob man die Flüchtlingskrise in Gifs, also animierten Bildern erzählen darf, ob ein Spiegel-Produkt mit einem Text über Pornos aufmachen darf, werden vermutlich nicht alle RedakteurInnen gut finden.

Die Frage ist nur: Was passiert, wenn die Bento-Generation aus dem Bällebad herauswächst und zur Spon-Generation wird? Vielleicht wird bis dahin einiges von dem was Bento und Co versuchen weniger „radikal“ geworden sein.

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