Spielfilm „The Souvenir“ im Kino: Wahrer geht es nicht

Der Spielfilm „The Souvenir“ fragt auf unangestrengte Weise nach der Wirklichkeit von Erinnerung. Fiktion und Realität treten darin in einen Dialog.

Anthony und Julie sitzen gelangweilt in einem traditionell vornehmen Restaurant.

Stilvoll gelangweilt: Anthony (Tom Burke) und Julie (Honor Swinton Byrne) in „The Souvenir“ Foto: A24

Erinnerung ist ein dehnbares Material. Wie man sich an die eigene Vergangenheit erinnert, welche Momente, Ereignisse oder Personen im Gedächtnis hängen bleiben, ist eine sehr persönliche Sache. In diesem immateriellen Kosmos der Erinnerung und deren Interpretationen bewegt sich Joanna Hoggs Film „The Souvenir“, und er tut es mit einer wunderbar unangestrengten Tiefe.

Honor Swinton Byrne, die Tochter der schottischen Schauspielerin Tilda Swinton, spielt darin Julie, eine junge englische Filmstudentin aus reichen Verhältnissen auf der Suche nach ihrer künstlerischen Stimme und ihrem Platz in der Gesellschaft. Keine so einfache Aufgabe. Es sind die frühen achtziger Jahre. Ihr Filmprojekt soll die Geschichte eines Jungen und seiner Mutter in der einst florierenden Hafenstadt Sunderland erzählen, einer Stadt im Nordosten Englands, die heute noch ein Symbol für den wirtschaftlichen Zusammenbruch zu Beginn der Thatcher-Ära ist.

Die ersten Bilder, die Hogg für „The Souvenir“ gewählt hat, sind dokumentarische Super 8-Momentaufnahmen von Sunderlands Tristesse in Schwarz-Weiß. Der Zuschauer wird so direkt mit einem „Film im Film“ konfrontiert: Was wir sehen, sind nämlich gleichzeitig die Bilder von Julies Filmprojekt: ein Spiel- und kein Dokumentarfilm, wie sie mehrmals den Dozenten der Filmakademie deutlich zu machen versucht.

Was sie aber eigentlich mit dem Film sagen möchte, scheint Julie selber nicht so genau zu wissen und ist etwas verstört, als einer der Prüfer sie fragt, ob es nicht doch besser sei, sich in vertrauteren Milieus zu bewegen. Der Versuch, sich mit ihrem „soft-politischen“ Projekt für ihr privilegiertes Leben zu rechtfertigen oder irgendwie zu entschuldigen, ein Leben, in dem es reicht, einmal die Mutter anzurufen, passenderweise gespielt von Tilda Swinton, um genug Geld für teure Ausrüstung zu bekommen, überzeugt die Kommission nicht wirklich.

„The Souvenir“. Regie: Joanna Hogg. Mit: Honor Swinton Byrne, Tom Burke u. a. Großbritannien 2019, 115 Min. Ab 1. 10. im FSK, Berlin

Der in „The Souvenir“ geschilderte Dialog zwischen Fiktion und Wirklichkeit hat ein reales Vorbild. Wie Hogg 2019 bei einer Pressekonferenz auf der Berlinale, wo der Film lief, sagte, basiert der Stoff auf ihren eigenen Erfahrungen als junge und naive Filmstudentin. Zudem verbindet sie seit fast fünfzig Jahren eine tiefe Freundschaft mit Tilda Swinton, und Honor kennt sie von Geburt an.

Improvisation spielte die Hauptrolle

Dieses Gefühl von kompromissloser Authentizität ist aber nicht bloß der engen Beziehung der drei Frauen im echten Leben zu verdanken. Man findet dafür auch ganz konkrete Gründe in Hoggs Arbeitsweise als Regisseurin: Bei den Dreharbeiten gab es kein Drehbuch, Improvisation spielte die Hauptrolle, und alle Szenen wurden chronologisch gedreht.

Musik benutzt Hogg nie als „Emotions-Trigger“, ganz im Gegenteil: Die Songs, die zum Teil nicht genau zu den abgebildeten Jahren passen, wurden von Hogg gewählt, weil sie der eigenen Erinnerung ihrer damaligen Gefühle heute noch entsprechen. Die Musik wird von ihr also eher „antidramatisch“ eingesetzt.

Oft wechselt Hogg zu Super 8, dem Format der Erinnerung par excellence. Ihre Kamera ist meistens statisch, die Figuren bewegen sich ins Bild hinein und wieder hinaus. Nach und nach wird dabei deutlich, dass „The Souvenir“ auch ein Film über das Kino ist. Das Kino als Möglichkeit, Erinnerung zu dokumentieren und festzuhalten, selbstverständlich die eigene, flexible Version davon.

Lüge und Ehrlichkeit

Wenn Anthony (magnetisch stark: Tom Burke) seinen unerwarteten Eintritt in Julies Leben hat, öffnet sich für sie eine andere Welt. Oder besser gesagt, öffnet sie ihm die Tür in ihr geschütztes, elitäres Studentenleben. Er zieht bei ihr ein. Anthony ist älter, hat eine Position im britischen Außenministerium, und sein Charme ist für Julie außergewöhnlich. Mieder aus Paris und Reisen nach Venedig sind für sie neue Erfahrungen.

Er schenkt ihr eine Postkarte und geht später mit ihr in ein Museum, um ihr das kleine Bild im Original zu zeigen. Es ist „Le Souvenir“ (1778) des französischen Malers Jean-Honoré Fragonard: Im Profil stehend, schnitzt eine elegante Rokoko-Dame den Namen ihres Liebhabers in einen Baumstamm. Für Julie sieht sie traurig aus, für Anthony dagegen entschlossen und sehr verliebt.

Es sei hier nicht verraten, wie sich die Beziehung zwischen Anthony und Julie verändern wird, vielleicht reicht es zu sagen, dass der Dialog zwischen Fiktion und Wirklichkeit, zwischen Lüge und Ehrlichkeit eine große Rolle dabei spielen wird.

Der von Anfang an geplante „The Souvenir: Part II“ soll schon abgedreht sein und 2021 – hoffentlich – in die Kinos kommen. Teil I hat, trotz internationaler Auszeichnungen, in Deutschland leider keinen Verleih gefunden. Dafür ist er jetzt im FSK Kino – unbedingt – zu sehen.

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