Spielfilm zu Terror der baskischen ETA: Alles, was wir zeigen, ist passiert

Die spanische Regisseurin Icíar Bollaín beschäftigt sich in ihrem neuen Spielfilm mit Folgen des ETA-Terrors. Ein Gespräch über Traumata und Aussöhnung.

Unter Polizeischutz: Die politisch engagierte Witwe Maixabel (Blanca Portillo) Foto: Foto: Piffl

Die spanische Regisseurin Iciár Bollaín behandelt in ihren Filmen immer wieder politisch relevante Themen, die sie auf zwischenmenschliche Konflikte herunterbricht, wie etwa im oscarnominierten Drama „Und dann der Regen“ der Konflikt um die Privatisierung der Trinkwasserversorgung in Bolivien.

Ihr neuer Spielfilm „Maixabel“ erzählt nun die wahre Geschichte von Maixabel Lasa, deren Mann Juan Marí Jáuregui von einem Kommando der baskischen Terrorgruppe ETA ermordet wurde und die sich seit Jahren für den Dialog zwischen Opfern und Tätern einsetzt, sich auch persönlich mit den Mördern ihres Mannes trifft. Ein Gespräch mit der 54-jährigen Filmemacherin über Traumata, Schweigen und den langen Weg zur Aussöhnung.

taz: Frau Bollaín, was hat Sie am ETA-Konflikt interessiert und konkret an der Geschichte von Maixabel Lasa?

Iciár Bollaín: Die ETA war 50 Jahre lang aktiv, mehr als 800 Menschen wurden landesweit bei Attentaten ermordet. Ein wichtiges Thema, aber ich wusste lange nicht, wie ich mich damit auseinandersetzen soll. Es war auch mit Angst verbunden, über ETA zu sprechen, während die Bande noch aktiv war und Menschen tötete. Vor etlichen Jahren las ich dann von Opfern, die sich mit Tätern getroffen haben. Die Vorstellung, dass sie sich an einen Tisch setzen, um miteinander zu reden, ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich fand es eine sehr menschliche und starke Geste. Als dann Jahre später die Drehbuchautorin Isa Campo mir von der Witwe des ermordeten baskischen Politikers Juan Marí Jáuregui und ihrem Einsatz für Opfer erzählte, wusste ich: Das ist der richtige Ansatz. Auch weil zu dem Zeitpunkt die ETA die Waffen niedergelegt und sich aufgelöst hatte. Es hatte nur ein paar Treffen gegeben und wenige ETA-Mitglieder bekannten sich letztlich öffentlich schuldig, aber es war ein unglaublich wichtiger Moment, der viel in Bewegung brachte. Mit dem zeitlichen Abstand war es jetzt möglich und auch notwendig, um darüber sprechen, was passiert war und wie man sich nun und in Zukunft daran erinnert.

Wie wurden diese Treffen zwischen Opfern und Tätern in der spanischen Öffentlichkeit wahrgenommen?

Sie fanden zunächst unter größter Geheimhaltung statt, um zu verhindern, dass daraus ein Medienzirkus wird. Erst zwei Jahre danach war davon in Zeitungsinterviews die Rede, die aber keine große Welle schlugen. In der Öffentlichkeit gab es und gibt es zum Teil noch immer einen großen Widerwillen, den Tätern zuzuhören, mögen sie sich noch so reumütig geben. Und auch aufseiten der ETA und ihrer Sympathisanten will man von diesen Männern nichts wissen, weil sie als Verräter wahrgenommen werden. Das allgemeine Interesse an diesen Treffen war also sehr gering. Und als dann der konservative Partido Popular an die Regierung kam, wurde das Programm schnell und leise beendet. Nach nur elf Zusammenkünften, die für alle Beteiligten selbst sehr wichtig und hilfreich waren, aber nicht in die politische Agenda passten.

Wie haben Sie das Vertrauen der Beteiligten gewonnen? Maixabels, aber auch das der Täter?

Es war erstaunlich einfach, weil Maixabel sehr offen und kooperativ ist, sie möchte ja die Versöhnung fördern. Sie weiß, dass die Aufarbeitung nicht nur den Beteiligten hilft, sondern auch den gesellschaftlichen Diskurs öffnet. Auch die beiden Täter waren schnell bereit, ebenfalls mitzuwirken. Vor allem Ibon, der Fahrer des Fluchtwagens, war sehr hilfreich. Und wir trafen uns mit den Mediatoren, die damals die Gespräche begleiteten, mit Maixabels Tochter Maria und anderen Angehörigen und sammelten so ganz unterschiedliche Blickwinkel und Meinungen, um ein möglichst rundes Bild zu bekommen.

Ein Film über reale Ereignisse und Menschen, von denen viele noch leben, soll diesen möglichst gerecht werden und gleichzeitig als Drama funktionieren. Wie gelingt diese Gratwanderung?

Nur mit großem Respekt. Maixabel, Maria und die beiden Männer bekamen das Drehbuch zu lesen und sie gaben uns ihr Einverständnis. Wir mussten manches verdichten, aber wir haben nichts dazuerfunden. Alles, was wir im Film zeigen, ist passiert. Viele Dialoge sind genau so, wie sie uns unabhängig voneinander erzählt wurden.

Sie zeigen auch den Wandel Ibons. Wie nähert man sich so einer Figur?

Für uns stand zunächst immer Maixabel im Mittelpunkt. Sie und ihre unglaubliche Fähigkeit, sich mit diesen Tätern, den Mördern ihres Ehemannes, an einen Tisch zu setzen. Als sie uns von den beiden erzählte, wurde uns klar, dass diese Männer auf einem bemerkenswerten und sehr komplizierten Weg sind. Von der Militanz und radikalen Ideologie, sie hielten sich ja wirklich für Helden und Freiheitskämpfer, hin zur Akzeptanz, sich schuldig gemacht zu haben, ihre Ideale durch Gewalt und Morden erreichen zu wollen. Dieser Prozess der Selbstkritik ist alles andere als einfach, sie machten sich damit unter ihresgleichen zu Aussätzigen. Und wie schaut so jemand jeden Morgen in den Spiegel? Über all das wurde kaum geredet, niemand wollte es hören. Auch deshalb war uns wichtig, deren Seite zu erzählen, ohne ihre Taten zu verharmlosen oder zu entschuldigen.

Wie waren die Reaktionen seit der Premiere beim Filmfest in San Sebastián letzten September?

wurde 1967 in Madrid geboren. Ihr Schauspielde-büt hatte sie 1983 in Víctor Erices „El Sur“. 1995 drehte sie mit „Hola, ¿estás sola?“ ihren ersten Spielfilm als Regisseurin. Es folgten u. a. „Öffne meine Augen“ (2003) und „Und dann der Regen“, der 2010 auf der Berlinale den Panora-ma-Publi-kumspreis erhielt.

Uns war bewusst, dass wir ein großes Risiko eingingen und dafür angegriffen werden. Im Grunde hätten alle dagegen sein können, die Separatisten, die Opferverbände, die breite Öffentlichkeit. Und dann passierte genau das Gegenteil. Für viele Menschen im Baskenland war der Film wie eine Katharsis, er hat selbst einen Dia­log angestoßen. Auch auf politischer Ebene wurde der Film erstaunlich positiv aufgenommen, selbst die radikale Linke im Baskenland hatte kaum etwas zu kritisieren. Vor der Premiere hatten wir den Film führenden Politikern des gesamten Spektrums gezeigt, nach dem Screening kamen sie miteinander ins Gespräch, das war ein magischer Moment.

Vor einigen Jahren erschien der Roman „Patria“ von Fer­nando Aramburu, der von den Folgen eines Attentats auf zwei einst befreundete Familien handelt. Das Buch wurde in Spanien zum Bestseller und später sehr erfolgreich als Serie verfilmt. Nun treffen Sie mit „Maixabel“ offensichtlich einen Nerv. Inwiefern hat sich das gesellschaftliche Klima verändert, das nun erzählt werden kann, worüber jahrzehntelang geschwiegen wurde?

Gerade der Erfolg von „Patria“ machte mich zunächst sehr skeptisch, was unseren Film anging. Wir haben in Spanien die Tendenz, Dinge schnell für abgeschlossen zu erklären. Ein Roman und eine Serie über die ETA: Thema erledigt. Dasselbe gilt für den Spanischen Bürgerkrieg. Viele wollen davon nichts mehr hören, es sei lange vorbei und alles gesagt. Aber ich lag zum Glück falsch. Wir hatten mit „Maixabel“ mehr als eine halbe Million Kinobesucher im ganzen Land und das während der Pandemie. Die Menschen sind oft neugieriger, als Politiker uns glauben machen. Auch wenn es schmerzhaft und mit Scham besetzt ist. Denn es betrifft uns im Grunde alle. Wir haben jahrzehntelang diese Morde mitangesehen, es hat uns abgestumpft. Erst mit einem gewissen Abstand können wir uns heute fragen, wie wir so lange mit dieser Situation gelebt haben.

Was muss jetzt getan werden?

„Maixabel – Eine Geschichte von Liebe, Zorn und Hoffnung“. Regie: Icíar Bollaín. Mit Blanca Portillo, Luis Tosar u. a. Spanien 2021, 115 Min.

Es ist vor allem sehr wichtig zu wissen, was passiert ist. Die junge Generation hat bereits keine genaue Vorstellung davon, was die ETA war und getan hat, selbst im Baskenland sind viele ignorant oder schlecht informiert. Sie müssen es erklärt bekommen, ohne auch nur ein Stück weit die Gewalt zu rechtfertigen. Wir müssen das verursachte Leid und die Traumata bewusst machen. Man muss darüber reden, um damit leben zu können. In den Städten und Dörfern leben Opfer oft Tür an Tür mit Menschen, die das Treiben der ETA unterstützt oder zumindest darüber geschwiegen haben und auch heute schweigen. Es ist noch ein weiter Weg.

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