Sprache und Aktivismus: Eine Sprache finden

Diskussionen zu Antirassismus oder postkolonialer Geschichte finden oft auf Englisch statt. Für viele Interessierte ist das eine Hürde.

Ein Demonstrant mit Megaphone im Demozug

Demonstration „Nein zu Rassismus“ in Berlin Foto: Christian Spicker/imago

Mein Englisch ist schon okay. Trotzdem nervt es mich, wenn Diskussionsrunden zu Antirassismus, Migration, postkolonialer Theorie oder Schwarzen Bewegungen in Frankfurt, Köln oder Berlin nur in englischer Sprache und ohne Übersetzung für Beteiligte und Publikum angeboten werden. Für viele, die sich für diese Themen interessieren, ist das eine Hürde. Englischkenntnisse sind oft eine Frage von Alter, Klasse, Ost oder West und des „richtigen“ Migrationshintergrunds.

Über ein Privileg wird in Schwarzen und PoC-Communities nämlich nicht gesprochen: Das Privileg des richtigen Colo­nizers. ­Eltern zu haben, die aus dem englischen Sprachraum migriert sind, macht vieles leichter. Ich weiß nicht, ob einige prominente Ak­ti­vis­t*in­nen und Wis­sen­schaft­le­r*in­nen of Color wirklich denken, dass sie mehr Menschen mitnehmen, wenn sie auf Englisch vortragen und pub­lizieren oder ob es vielmehr darum geht, die eigene Arbeit besser international vermarkten zu können. Unangenehm wird es, wenn auf einer Bleiberechts-Demo alle Redebeiträge ins Englische übersetzt werden, die beteiligten Geflüchtetenorganisationen aber hauptsächlich auf Französisch und Arabisch kommunizieren. Das hatte vorher niemand erfragt.

Realität und Kämpfe in Worte fassen

Ich bin ein Fan von Anglizismen und anderem Sprachgemisch. Sprachreinheit ist nicht mein Point. Doch um herauszufinden, wo uns die Worte fehlen, müssen wir miteinander sprechen und Leerstellen aufzeigen, anstatt sie schnell und vor allem ohne gemeinsame Definition mit Wörtern aus anderen Kontexten zu füllen. Sichtbarkeit schaffen und eine Sprache finden. Das sind wesentliche Bestandteile der Empowerment-Arbeit und der Selbstorganisation in marginalisierten Communities.

Für Leute wie mich gab es im Deutschen über Jahrhunderte nur rassistische Bezeichnungen. Mitte der 1980er Jahre organisierten sich Schwarze Menschen in Deutschland und prägten Begriffe wie afrodeutsch oder Schwarze Deutsche. Wörter in der eigenen Sprache finden, die die eigene Positionierung und Lebensrealität wiedergeben, das ist wichtig – um Erfahrungen benennen, Missstände beschreiben und solidarische Gemeinschaften bilden zu können. Der Begriff „PoC“ zum Beispiel hilft als Sammelbezeichnung für Menschen, die von Rassismus betroffen sind. So ganz lässt er sich aber nicht aus dem US-amerikanischen Kontext in den deutschsprachigen Raum übertragen. Solange der Lückenbüßer funktioniert, werden wir nicht die Energie aufbringen, eine passendere Bezeichnung zu kreieren.

Wir müssen unsere Realität und unsere Kämpfe in Worte fassen. Damit die Begriffe und Selbstbezeichnungen, die wir wählen, praktischen Einfluss auf den Alltag haben, müssen wir in der Sprache diskutieren, in der unser Zusammenleben gestaltet wird. In der Sprache, mit der Politik und Verwaltung arbeiten.

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Simone Dede Ayivi ist Autorin und Theatermacherin. Sie studierte Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis in Hildesheim. Aktuell arbeitet sie zu den Themen Feminismus, Antirassismus, Protest- und Subkultur.

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