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Springsteen-Biopic im KinoBikerstiefel, Jeans und Lederjacke

Der Film „Springsteen: Deliver Me From Nowhere“ erzählt von den inneren Kämpfen des „Boss“. Anfang der Achtzigerjahre steht er vor dem Durchbruch.

Der „Boss“ (Jeremy Allen Walker) unterwegs zu sich selbst in „Deliver Me From Nowhere“ Foto: Walt Disney Germany

Freehold, New Jersey, 1957: Ein stiller, etwas eingeschüchterter Junge wird von seiner Mutter vorgeschickt, seinen betrunkenen Vater in der Kneipe abzuholen. Der kleine Junge soll später einer der größten Rockstars und Singer-Songwriter der USA werden, der mit seinen Songtexten, wie kein anderer wohl, die Geschichten der amerikanischen Working Class erzählt. Es ist Bruce Springsteen.

Die in Schwarz-Weiß gedrehte Anfangsszene von „Springsteen: Deliver Me From Nowhere“ lässt zunächst einen weiteren klassischen Biopic über das Leben eines Superstars vermuten, wie er schon oft für die große Kinoleinwand verfilmt worden ist. Doch der Film des US-amerikanischen Regisseurs Scott Cooper, dessen erfolgreicher Debütfilm „Crazy Heart“ sich schon um einen Musiker drehte, ist anders, besonders. Ein Biopic, der keiner ist, sozusagen.

Es ist nicht die Story über das Sich-Durchringen bis zum großen Durchbruch wie beim Bob-Dylan-Biopic „A Complete Unknown“ (2024) oder über den Kampf des aufstrebenden Musikers mit Managern, Plattenfirmen und dem Umgang mit Fans, Alkohol und Drogen wie bei „Elvis“ (2022) zum Beispiel.

Es ist stattdessen ein persönlicher, fast intimer Auszug aus Springsteens Zeit vor seinem großen Durchbruch mit „Born in the USA“ im Jahr 1984. Eine sinnierende, unaufgeregte Nacherzählung der Schaffensphase seines sechsten Albums: „Nebraska“. Während der übrigens gleichzeitig auch einige Songs entstanden, die später Teil von „Born in the USA“ werden sollten.

Der Film

„Springsteen: Deliver Me From Nowhere“. Regie: Scott Cooper. Mit Jeremy Allen White, Jeremy Strong u.a. USA 2025, 103 Min. Ab 23.10. im Kino

Der Film hat dabei die Fans des „Boss“ als Zielgruppe. Nicht nur, was den Soundtrack angeht. Denn je mehr man über dessen Leben und Werk schon weiß, desto mehr erkennt man im Film wieder: Da tauchen zum Beispiel sein langjähriger Manager, Produzent und guter Freund Jon Landau (gespielt von Jeremy Strong) auf, und natürlich auch die E-Street Band oder Orte wie das legendäre „The Stone Pony“ in Asbury Park, New Jersey. Alles ohne große Einordnung.

Unsicher, wo er eigentlich hingehört

Darüber hinaus ist es die Geschichte eines Musikers Anfang Dreißig, der auf dem Weg zum Ruhm mit Depressionen, Angstzuständen und der Frage kämpft, wo er eigentlich hingehört. Im Leben, doch ebenso musikalisch.

„Ich weiß, wer du bist“, sagt der Autoverkäufer, bei dem er sich zu Beginn des Films seinen ersten eigenen Sportwagen kauft – einen Chevrolet Camaro. „Wenigstens einer von uns“, antwortet Springsteen.

„Deliver Me From Nowhere“ beruht auf dem gleichnamigen Buch des Musikjournalisten Warren Zanes und spielt 1981: Bruce Springsteen hat schon fünf Alben veröffentlicht, Plattenfirma, Manager und das Team um ihn herum wittern bald den ganz großen Durchbruch zum Rockstar. Doch Springsteen kehrt nach seiner erfolgreichen „The River“-Tour erst mal wieder in die Nähe seiner Heimatstadt in New Jersey zurück. Und nimmt dort in seinem Schlafzimmer mit Akustikgitarre und Bluesharp ein Demo-Tape auf einem Vierspur-Tonbandgerät auf.

Die düstere, reduzierte Aufnahme mit DIY-Charakter überzeugt ihn schließlich so sehr, dass daraus direkt sein Album „Nebraska“ werden soll. Die Songs, die Springsteen im Film etwas zu sauber mit Filzstift auf weißem Papier und kaum mit Korrekturen runterschreibt, sind eine Suche nach Identität. Und wie so oft bei ihm ein einziger Roadtrip durch den verlorengegangenen American Dream.

Auf dem Teppichboden im Wohnzimmer

In der restlichen Zeit fährt Springsteen in seinem Heimatort umher, geht selten ans Telefon, fasziniert sich für den Serienkiller Charles Starkweather, dessen Geschichte er dann im Song „Nebraska“ erzählt, oder liegt gedankenverloren auf dem Teppichboden im Wohnzimmer, während eine Platte den Synthpop von „Suicide“ abspielt. „Why?“ schreibt Springsteen einmal doch etwas platt in seine Notizen.

Es ist halt eben nicht einfach, einen Film zu drehen, der vor allem von inneren Kämpfen und Zweifeln handelt. Ganz schön bedrückend ist die Szenerie, wären da nicht ein paar Freunde um ihn herum, die an ihn glauben und ihm seinen Raum lassen, aber in ihrer Verzweiflung auch für den ein oder anderen humorigen Moment sorgen. Und doch ist „Deliver Me From Nowhere“ kein explosives Drama mit starkem Spannungsbogen, sondern ein Film, auf den man sich einlassen muss.

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Gespielt wird Springsteen von Jeremy Allen White („The Bear: King of the Kitchen“). Und auch, wenn der „Boss“ eben doch für die meisten Fans wohl unersetzlich ist, macht White einen echt guten Job. Bemerkenswert ist vor allem, dass er die Springsteen-Songs im Film selbst einsingt und interpretiert. Und das erstaunlich gut: Als er sich bei einer Konzertszene auf der Bühne die Seele aus dem Leib schwitzt und mit der Telecaster um den Hals ins Mikro singt, kann man meinen, es sei eine Originalaufnahme.

Die Wahrheit ist nicht immer schön

Selbst der „Boss“ höchstpersönlich scheint zufrieden mit der filmischen Darstellung zu sein. Denn Springsteen, der sich wohl immer gegen einen Film über sich gewehrt hat, war diesmal nicht nur einverstanden mit dem Dreh, sondern – und das macht den Film zusätzlich besonders – er soll sogar oft am Set vorbeigekommen sein und Anmerkungen gemacht haben, wie es damals aussah in dem Schlafzimmer, in dem er lebte, schrieb und aufnahm.

Während der Dreharbeiten soll er zu Scott Cooper gesagt haben: „Die Wahrheit über dich selbst ist nicht immer schön, zeig sie.“ Das versucht der Film und greift unter anderem die schwierige Beziehung zu seinem Vater auf. Eine Liebesgeschichte gibt es selbstverständlich auch, aber die ist nicht kitschig, sondern zeigt Springsteen zerrissen, bindungsängstlich, abweisend und nicht unbedingt von seiner besten Seite.

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Trailer „Deliver Me From Nowhere“

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Zugleich gehört zu diesem Kapitel seines Lebens auch eine der produktivsten Phasen seiner Karriere. Im Film sagt der junge Springsteen, dass er auch nicht weiß, wo all die „Nebraska“-Songs herkommen. So nah lässt er den Zuschauer dann doch nicht an sich herankommen. Auch die immer wiederkehrenden Rückblenden in Schwarz-Weiß in die Kindheit Springsteens wirken etwas gewollt, gar kitschig und dadurch distanziert.

Ebenfalls kitschig ist die stereotype USA-Ästhetik des Films: Es gibt Filterkaffee im Diner, Kleinstadtrummel, einen Motorradschrauber, Chevys auf Parkplätzen sowie gecoverte Songs von Little Richard. Und nicht zu vergessen: Cowboystiefel, Jeans und Lederjacke. Das ist so klischeehaft, dass es vermutlich extrem nah an der Realität ist.

Es verhält sich mit dem Film in dieser Hinsicht wohl ähnlich, wie mit Springsteens Songs; auch „Born in the USA“ mit seiner Stars-and-Stripes-Ästhetik ist alles andere als USA-verherrlichend.

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