„Staatsoper für alle“: Ein scharfer Nachgeschmack

Gratiskonzerte im Freien: Daniel Barenboim, Generalmusikdirektor der Staatsoper, bekam gerade seinen Vertrag bis 2027 verlängert. Muss das sein?

Daniel Barenboim und die Staatskapelle und Menschenmassen bei der „Staatsoper für alle“

Daniel Barenboim und die Staatskapelle bei der „Staatsoper für alle“ im letzten Sommer Foto: Thomas Bartilla/imago

Hier in Berlin verlängert sich erst einmal alles. Das Warten auf die Eröffnung des Flughafens Schönefeld sowieso, desgleichen jetzt das Warten auf die Eröffnung des Humboldt Forums. Daneben verlängert sich an der Volksbühne, in Teilen zumindest, die Ära Castorf durch den jüngst ernannten Intendanten René Pollesch. Und an der Staatsoper verlängert sich der Vertrag für dessen Generalmusikdirektor Daniel Barenboim bis 2027.

Seit dem Jahr 2000 schon ist der 76-Jährige bei der in der Oper residierenden Staatskapelle Dirigent auf Lebenszeit. Wenn sein Vertrag schließlich ausläuft, wird er 35 Jahre an der Spitze des Hauses verbracht haben, das an diesem Wochenende wieder mit der „Staatsoper für alle“ zu Gratiskonzerten unter freiem, wenngleich womöglich nicht wolkenfreiem Himmel lädt.

Barenboim ist einer der bemerkenswertesten Künstler, die in Berlin wirken. Dessen ist er sich durchaus bewusst. Dass er zu den alten weißen Männern gerechnet werden muss, ändert wenig an seiner Bedeutung.

Vielmehr könnte man sogar sagen, dass es sich bei guten Dirigenten ein bisschen verhält wie bei guten Rotweinen. Sie werden über die Jahre eher noch besser. Das mag, bei den Dirigenten, mit dem Umbau des Gehirns im Alter zu tun haben, durch den man zunehmend in der Lage ist, komplexe Strukturen zu bewältigen. Und so ein Orchester und die Partitur, nach der es zu spielen hat, sind hochkomplexe Angelegenheiten, die unter anderem eine Art Multitasking beim Hören erfordern.

Verständigung im Nahostkonflikt

Barenboim ist für diese Aufgaben zweifellos geeignet. Man könnte den Rest des Artikels zum Beleg locker mit seinen diversen Preisen vollschreiben, doch das wäre keine besonders ergiebige Lektüre. Dass er 2015 in den Orden „Pour le Mérite“ aufgenommen wurde, wäre immerhin eine der aktuellsten Auszeichnungen. Vor wenigen Tagen haben ihn die Berliner Philharmoniker zudem zu ihrem ersten Ehrendirigenten ernannt.

Neben seinen Verdiensten um die Musik hat er sich wiederholt und bis heute um Verständigung im Nahostkonflikt bemüht. Das 1999 mit dem palästinensischen Intellektuellen Edward Said gegründete West-Eastern Divan Orchestra ist ein Resultat dieses Engagements, ebenso die 2015 gegründete Barenboim-Said-Akademie.

Ein scharfer Nachgeschmack bleibt dennoch, und zwar von den Vorwürfen, die frühere Musiker der Staatskapelle im Frühjahr gegen Barenboim und seinen Führungsstil erhoben hatten. Das in den Medien darauf entstandene Bild ließ an ein beständiges Klima der Angst und Demütigung unter Barenboims Taktstock denken. Es mag zwar ein bisschen Aussage (kritisch: ehemalige Orchestermitglieder) gegen Aussage (positiv: Orchestervorstand) stehen.

Das Wochenende: Am Samstag und Sonntag gibt es auf dem Bebelplatz die 13. Ausgabe der "Staatsoper für alle". Thomas Gottschalk steht als Moderator für die Opern-Live-Übertragung von Richard Wagners "Tristan und Isolde" am Sonnabend um 15 Uhr bereit. Am Sonntag folgt dann um 13 Uhr, wieder unter Gottschalks Moderation, das Open-Air-Konzert der Staatskapelle Berlin mit der Geigerin Jiyoon Lee als Solistin. Auf dem Programm stehen Felix Mendelssohn Bartholdys Violinkonzert e-Moll op. 64 und von Johannes Brahms die Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73. Dirigent ist jeweils Staatsopern-Genermalmusikdirektor Daniel Barenboim. (tcb)

Hinter alledem bloß eine Schmutzkampagne zu vermuten, wie Barenboim die Kritik charakterisierte, fällt bei der Vielzahl der Stimmen jedoch schwer. Dass Künstler mitunter schwierige Persönlichkeiten sind, ist dabei keine Neuigkeit. Wie schwierig sie sein dürfen, wenn sie Untergebene zu befehligen haben, wäre aber eine zu führende Debatte. Zumal die Ära der autoritären Führungspersönlichkeiten allmählich an ihr Ende gelangt ist.

Kleine Ironie am Rand

Der Erfolg, auch der finanzielle, den Barenboim seinem Orchester ermöglicht und jetzt noch weitere acht Jahre lang bescheren kann, hat, so lässt sich womöglich zusammenfassen, anscheinend seinen Preis. Dass ausgerechnet Kultursenator Klaus Lederer von der Linken diese kostspielige Kontinuität perpetuiert hat – seit 2001 bezieht das Orchester etwa eine von Gerhard Schröder bewilligte „Kanzlerzulage“ –, ist eine kleine Ironie am Rand. Als eines der ältesten Orchester der Welt hat man halt seine Ansprüche.

Irgendwann, irgendwann wird es selbstverständlich eine Zeit nach Barenboim an der Staatsoper geben. Manches wird für das Haus dann vielleicht schwieriger. Insbesondere, wenn sich niemand gefunden haben sollte, der Barenboim als internationales Aushängeschild ersetzen kann. Bis der Tag gekommen ist, dürfen alle erst einmal feiern.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.