Staatssekretär Graichen entlassen: Habeck ist angezählt

Der Jubel über Graichens Rauswurf ist scheinheilig. Trotzdem hat der Wirtschaftsminister handwerkliche Fehler gemacht – und das nicht zum ersten Mal.

Patrick Graichen und Robert Habeck sitzen nebeneinander

Wirtschaftsminister Habeck macht jetzt ohne Staatssekretär Graichen weiter Foto: Kay Nietfeld/dpa

Nein, niemand hat sich in der Affäre um den grünen Staatssekretär Patrick Graichen, die Habeck nun spät beendet hat, bereichert. Es geht, anders als bei Maskendeals, nicht um Korruption und Gier. Dass ausgerechnet die CSU gegen „grüne Clanstrukturen“ wettert, ist bei einer Staatspartei, bei der Filz zum Geschäftsmodell gehört, fast kurios.

Richtig ist: Die Szene der Energiewende-ExpertInnen ist in Deutschland ziemlich überschaubar. Vor ein paar Jahren, vor trockenen Sommern, Fridays for Future und Ahrtal-Katastrophe, galt Klimapolitik als ein weiches Thema. Ja, wichtig, aber doch eine Art grünes special interest. Konzepte für die Energiewende entwarfen Ökoinstitute und der Thinktank Agora Energiewende, die – welches Wunder – fast alle mehr oder weniger grünennah sind.

Diese Affinität der Energiewende-Experten zu den Grünen ist die andere Seite einer zähen Ignoranz der anderen Parteien. Wo ist denn der kreative SPD-nahe Thinktank, wo sind die kraftvollen, fordernd auftretenden Kapazitäten in Sachen Energiewende aus dem Umkreis der Union, die Habeck in sein Ministerium hätte lotsen und mit Aufträgen bedenken können? CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier hat es sogar mal geschafft, den Posten des Energiestaatssekretärs monatelang unbesetzt zu lassen.

Insofern hat der Jubel über Graichens Rauswurf etwas Bigottes. Es geht nicht um Selbstbedienung oder eine Vetternwirtschaft, in der man sich gezielt Geld und Posten zugeschanzt hat. Es geht um eine Experten-Szene, die über die Jahre gewachsen ist, übersichtlich und dicht miteinander verwoben.

Allerdings erspart all das den Grünen und vor allem Habeck keineswegs ein paar sehr unangenehme Fragen. Denn dass dieses personelle Gewebe ziemlich engmaschig, dass die Gefahr zu großer Nähe real ist – das hätte man im grünen Ministerium früher und schärfer erkennen müssen. Doch offenbar hat man das Verhetzungspotenzial dieser Situation nicht recht begriffen. Es geht weniger um einen moralischen Defekt als um Unbedachtheit. Naivität aber kann man sich, wenn man regiert, nicht leisten.

Dies ist nicht der erste handwerkliche Fehler des grünen Wirtschaftsministeriums. Sondern der dritte. Die Gasumlage war angesichts explodierender Energiepreise das falsche Mittel. Die Wärmewende war miserabel vorbereitet. Weil man keine brauchbare soziale Absicherung mitpräsentierte, schuf man ein Vakuum, in das Boulevardmedien und die politische Konkurrenz Angst pumpen konnten.

Die Grünen verfügen, anders als SPD, FDP oder Union, über so etwas wie eine große Erzählung, ein Reservoir an Sinn. Sie vertreten ein hehres Ziel – die ökologische Moral. Das erlaubt es ihnen, ohne nachhaltige Glaubwürdigkeitskrise im Notfall sogar Gas in Katar zu kaufen.

Aber die Affäre Graichen, die schludrig gemachte Gasumlage und die Wärmewende sind kein Notfall, sie sind der Normalfall. Schlecht beraten sind die Grünen, wenn sie harte Kritik an Missständen wie Graichens Tölpelhaftigkeit als Angriff auf die Energiewende an sich abwehren. Diese moralische Selbstimprägnierung wirkt wie ein Abwehrreflex.

Graichen geht, aber die Affäre wirkt fort. Auch Habeck ist angezählt. Wenn er die Mühen der Ebene überstehen will, braucht er weniger moralischen Anspruch, mehr Sinn für soziale Abfederung und vor allem solideres politisches Handwerkszeug. Nicht irgendwann. Jetzt.

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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