Standpunkt Abschied vom Öl: Hanf ersetzt Schaumstoffe

Die Bundesregierung setzt auf Bio- und Nanotechnologien – um sich auf den Abschied vom Öl vorzubereiten.

Womöglich kann die Biotechnologie Lösungen für Energie- oder Rohstofffragen der Zukunft anbieten. Bild: dpa

DEUTSCHLAND zeo2 | Es ist nur eine kleine, halbtägige Konferenz in diesem Juni in Berlin, zu der das Bundesforschungsministerium einlädt. Mit zwei Handvoll Gästen aus Politik, Industrie und Wissenschaft will es eine Zwischenbilanz der Nationalen Forschungsstrategie Bioökonomie der Bundesregierung ziehen. Gestartet ist das milliardenschwere Programm im Jahr 2010, jetzt ist Halbzeit. Fraglich, wie viel Prozent der Bevölkerung sich unter dem Begriff „Bioökonomie“ etwas vorstellen können. Dabei soll das Konzept die großen Probleme der Menschheit lösen.

Gemeint ist eine Hightech-Industrie, die biologische Ressourcen, pflanzliche oder tierischen Rohstoffe nutzt. Dabei geht es vor allem um Biotechnologie, in der nach allgemeiner Definition Technik und Wissenschaft auf lebende Organismen angewendet werden.

Biotechnologische Verfahren finden sich in der Landwirtschaft, in der Medizin und in der Industrie. Sie sollen den Industriestandort Deutschland sichern, auch wenn dem das Öl ausgeht. Weil das mittelfristig der Fall sein wird und der Klimawandel eine weitere Nutzung von Kohle verbietet, ist es richtig, Alternativen zu entwickeln.

Allein, die Perspektive des Ministeriums sowie der Akteure in den entsprechenden Institutionen, etwa dem Beratungsgremium „Bioökonomierat“, ist viel zu eng. Wenn sich die Menschheit von Erdöl, Kohle und Atomkraft lossagen und die Landwirtschaft mit deutlich weniger fossilen Energiequellen betreiben, wenn sie Metalle in sinnvolle Kreisläufe führen und nachwachsende Rohstoffe nachhaltig nutzen will – dann werden sich Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend wandeln müssen.

Algen produzieren Energie

Die Industrie der Bioökonomie funktioniert nicht einfach so wie die heutige, fossile – nur mit anderen Stoffen in den Pipelines. Womöglich kann die Biotechnologie Lösungen für Energie- oder Rohstofffragen der Zukunft anbieten: Gentechnisch veränderte Algen produzieren in geschlossenen Kreisläufen umweltfreundliche Energie und werden so manipuliert, dass sie in der Natur nicht lebensfähig sind. Entsprechend veränderte Bakterien stellen Kunststoffe her oder ermöglichen ein hochwertiges Metallrecycling. 

Alte Faserpflanzen wie Hanf oder Flachs ersetzen Schaumstoffe. Und so weiter. Aber auch genveränderte Algen und Bakterien folgen dem Rhythmus ihres Stoffwechsels, und der ist ein anderer als der von Erdöl-Förderpumpen – Sonnenlicht und Zeit sind die bestimmenden Faktoren. Die Rohstoffwende wird die Art zu produzieren, zu konsumieren, zu arbeiten, zu reisen prinzipiell verändern.

Es greift die Logik der Wachstumskritiker: Ein stetiges und damit unendliches Wachstum auf einem begrenzten Planeten kann es nicht geben. Sonne, Böden und Wasser werden künftig (wieder) die Mengen und Geschwindigkeiten vorgeben, in denen produziert und konsumiert werden kann. Dieser Wandel muss keine Krise sein. Dafür müssen aber verschiedene Entwicklungspfade geöffnet und auch offengehalten werden.

Für technische und soziale Innovationen muss es immer Platz geben. Dabei auf lokale Wirtschaftskreisläufe in überschaubaren Gemeinschaften zu setzen, auf geldlose Tauschwirtschaften, das könnte für einige ein Weg sein. Eine Perspektive für alle stellt dieser Weg kaum dar, in den reichen Industrienationen nicht, in den ärmeren Ländern erst recht nicht. Eine postfossile Wirtschaft, die den Menschen der Industrieländer einen akzeptablen und denen der Schwellen- und Entwicklungsländer einen erstrebenswerten Lebensstandard anbietet, wird nicht ohne Biotechnologie auskommen.

Die globalen Ressourcenprobleme sind so gravierend, dass es nicht reicht, eine Minderheit für alternative Lebensentwürfe zu begeistern. Lokale Kreisläufe und ein entschleunigter, bewusster Konsum sind notwendig; aber ohne Industrie sind Gesellschaften, deren Finanz- und Sozialsysteme von Wachstum und einer hohen Wertschöpfung abhängen, schwer vorstellbar. Schade, es wäre ja so schön, aber: Es gibt ihn nicht, den einen Weg der Transformation.

Das Recht auf Teilzeitarbeit

Der Wandel zu einer anderen Rohstoffbasis und einer nachhaltigen Ressourcennutzung wird auf vielfältige Weise ablaufen, in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Bereichen. Wir werden vielmehr als jetzt verschiedene Lebensentwürfe akzeptieren und finanziell möglich machen müssen.

Dazu gehört zum Beispiel, dass die Arbeitgeber das Recht auf Teilzeit für Männer und Frauen endlich ernsthaft umsetzen und nicht derjenige als „Lame Duck“ gilt, der wirklich kürzer tritt. Nur so können Arbeitnehmer überhaupt aus dem durch lange Arbeitszeiten geprägten Konsummodell aussteigen, in dem noch immer der viel gilt, der viel arbeitet und sich viel leisten kann.

Auch in den Entwicklungsansätzen ist Vielfalt gefragt: Ein Hersteller von Naturmode reaktiviert einen lokalen Stoffkreislauf, indem er bei hiesigen Landwirten die vergessene Rohstoffpflanze Flachs nachfragt? Großartig. Aus gentechnisch veränderten Bakterien lässt sich ein künstliches Blatt erzeugen und damit aus Photosynthese Energie? Wunderbar. Für ein gutes Leben für alle werden wir beide Konzepte brauchen. Sie müssen sich auch nicht widersprechen, wenn die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen so gestaltet sind, dass beide umsetzbar sind.

Sowohl die Forschungs- und Förderpolitik der Europäischen Union als auch die der Bundesregierung konzentriert sich auf Hochtechnologielösungen, weil andere in einem Hochlohnland nicht zukunftsfähig seien. Bio-, Nano- und Informationstechnologien werden als Wachstumsträger für morgen mit Milliardensummen gefördert, doch ausschließlich auf sie zu setzen, grenzt andere mögliche Zukunftsentwürfe und Lebensmodelle aus.

Zukunftsagenturen wie der Bioökonomierat sind homogen mit Vertretern aus Wissenschaft und Industrie besetzt. Das ist zu einseitig, ihr Erkenntnis- und Erfahrungshorizont ist zu schmal. Bürgerinitiativen und Gewerkschaften, Umwelt- und Verbraucherverbände, Entwicklungsorganisationen, interessierte Bürger, Künstler – sie alle gehören in diese Gremien, um ihre Fragestellungen, Erwartungen, Bedürfnisse und Erfahrungen in den Prozess des Wandels einzubringen, und zwar an den Orten, wo Entscheidungen über zukünftige Entwicklungen getroffen werden. Die Gesellschaft muss die Rohstoffwende (er-)tragen, darum muss sie auch an ihrer Gestaltung mitwirken.

Heike Holdinghausen, der Artikel ist erschienen in der Ausgabe zeo2 4/2014. Den Artikel können Sie gerne auf unserer Facebook-Seite diskutieren.