Standpunkt Kleidungsindustrie: Das 50-Teile-Manifest

Der Preis für Klamotten ist hoch, jedoch nicht hierzulande. Ein Plädoyer, mit 50 Kleidungsstücken auszukommen.

Teil Nr. 1. Bild: dpa

DEUTSCHLAND zeo2 | Jeden Fummel mitnehmen, jeden Trend mitmachen, jeden Tag „neue“ Kleider tragen – stopp! Wir haben die Wahl. Im Schnitt kauft jede und jeder Deutsche fünf neue Teile im Monat. Jedes Jahr kommen also 60 neue Teile in den Kleiderschrank. Als sei der nicht ohnehin schon vollgestopft. 300 Teile oder mehr sind hierzulande keine Seltenheit. Und von dem, was da hängt und liegt, wird zumeist nur ein Drittel regelmäßig getragen. Das zweite Drittel sind Schrankhüter.

Sie kommen wie das Abendkleid nur zu besonderen Anlässen zum Einsatz oder haben einen emotionalen Wert. Die alte Jacke aus Studentenzeiten etwa oder die Hose, in die man eh nie wieder reinpassen wird. Der Rest im Schrank wird schlichtweg vergessen. Weg mit dem Überschuss. Doch selbst die Secondhand-Geschäfte und die caritativen Sammelstätten für Kleiderspenden sind überfüllt. Die Umwelt kann bei der Geschwindigkeit, mit der Kleidung produziert, konsumiert und entsorgt wird, auch nicht mithalten. Es muss sich etwas tun.

Der Stoff im Überangebot ist zum Greifen nah. Auf den ersten Blick ist es „billig“ spontan zuzugreifen. Die Suche nach dem wirklich benötigten, dem richtigen Teil, erscheint dagegen wenig attraktiv, zu aufwändig, zu teuer – für Kunde und Produzent. Diese ökonomische Logik des Main Streams ist verheerend. Der angepriesene Modetrend diktiert den Einkauf, nicht der Bedarf.

Alle zwei Wochen schaffen Modekonzerne ein Verlangen nach immer neuen Kleidungsstücken, sie wechseln schnell die Kollektionen, sie werben und werben. Die Unternehmer denken qua ihres Jobs an ihren Gewinn – und wecken Bedürfnisse, die reiner Überfluss sind. Die Grundbedürfnisse sind schließlich schnell gesättigt. Das Regencape erfüllt seinen Zweck, sobald es vor Nässe schützt, der Mantel, sobald er im Winter wärmt. Eine schöne Farbe für das Cape, um zu gefallen, und ein Mantelschnitt der zur eigenen Figur passt, was braucht man mehr?

Macht das Kaufen wirklich glücklich?

Immer mehr davon haben zu wollen – das ist reine Suggestion. Gummistiefel, Turnschuhe, Halbschuhe, Sandalen stehen alle schon im Regal. Doch trotzdem lässt einen der nächste Kauf glücklicher erscheinen. Und zuverlässig ploppt im nächsten Moment schon wieder der nächste Wunsch auf.

Den Preis für diese Wunschmaschine zahlen nicht die hiesigen Kunden. Sie genießen lässig die Verfügbarkeit und die Schnäppchen. Zur gleichen Zeit ist der Druck in der Textilbranche enorm. Moralische Hemmschwellen wurden längst gerissen. Das wissen die Kunden. Nach den einstürzenden Bauten in Bangladesh im April letzten Jahres empörten sich viele. Doch die unhaltbaren Zustände in der Modeindustrie irritieren in den Fußgängerzonen der hiesigen Städte wenige Monate später schon wieder kaum jemanden.

Nur zur Erinnerung: Ob billige oder teure Modelabels, das Gros der Unternehmen produziert in ärmeren Ländern, zumeist unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen. Arbeiter und Arbeiterinnen bekommen Löhne, mit denen sie kaum ihr Essen oder eine Wohnung zahlen können, vom Luxus, den wir genießen, ganz zu schweigen. Dabei schuften sie bis zu 14 Stunden am Tag, sechs bis sieben Mal die Woche.

Die Sicherheitsauflagen in den Fabriken sind oft nicht ausreichend. Arbeiterinnen und Arbeiter hantieren schon mal mit giftigen Substanzen wie Chrom, Blei und Kupfer, sie gefährden ihre Gesundheit. Schließlich werden in der Textilproduktion 8.000 verschiedene Chemikalien und rund 4.000 Farbstoffe eingesetzt. Reste der Chemikalien verharren nicht nur in den Textilien selbst, sie werden auch mit dem Abwasser in den Wasserkreislauf gespült, in Flüsse und Seen und ins Trinkwasser. Tragbar ist das für Mensch und Umwelt nicht.

Weniger Konsum ist ein Gewinn

Öko- und faire Mode zu kaufen, das ist ein guter Weg. Doch das reicht nicht weit genug. Kleine, unbedingt unterstützenswerte Modelabels mit 100 Prozent nachhaltiger Kleidung kommen nicht gegen die größeren, konventionell arbeitenden Textilunternehmen an. Wollen sie sich in der Masse behaupten, müssen auch sie den schnellen Markttrends folgen.

Und die Manager und Strategen in der konventionellen Textilbranche kreieren zwar die eine oder andere grüne Kollektion, aber umdenken tun sie nicht. An ihrem Stil wird sich nichts ändern und die Angebotsschwemme bleibt. Wer die Folgen der heutigen Fast Fashion nicht in Kauf nehmen will, muss seinen Kaufrhythmus verlangsamen! Weniger Konsum ist ein Gewinn – auch für die Verbraucher selbst.

Weniger kaufen hat nichts mit Spaßverderben zu tun. Es schafft Geld für mehr Qualität und Möglichkeiten. Es macht zufrieden, sich genau das richtige Teil leisten zu können. Und der Kauf hat einen hohen emotionalen Erinnerungswert, wenn er länger bedacht ist. Die Wertschätzung für ein Kleidungsstück und dessen Nutzung macht letztendlich glücklich – nicht der Kaufakt oder der Besitz per se.

Es befreit, wenn die Kleiderfrage weniger Raum einnimmt. Sie stehen nie mehr vor Ihrem überfüllten Kleiderschrank und sagen sich, Sie hätten nichts zum Anziehen. Sie widerstehen der Versuchung des spontanen Fehl- oder Frustkaufes. Zum Start brauchen Sie dafür nur ihre 50 liebsten und wichtigsten Kleidungsstücke.

Kleiderschränke werden kleiner

In der perfekten Modeprotest-Minimalgarderobe finden sich Basics, Lieblingsstücke und Unterwäsche. Jahreszeiten sind bedacht, auch Übergangskleidung ist dabei. Der Trick, das zeigen alle bisherigen Erfahrungen, ist, die liebsten Klamotten neu und individueller zu kombinieren. Sie begegnen so dem Modediktat mit kreativer Selbstbestimmung.

Hinter diesem reduzierten Kleiderkonsum steckt ein neues Verständnis von Freiheit und die Vision von einem neuen Modesystem: Es wird nur soviel produziert wie verbraucht wird. Die Kleidung, die verkauft wird, ist ökologisch und fair hergestellt. Und: Die Kleidung, die gekauft wird, wird auch getragen. Somit wird sich die Größe der Kleiderschränke, wie sie heute üblich sind, verändern.

Lenka Petzold, 30, ist Textildesignerin. Sie lebt in München. Zusammen mit der Modedesignerin Annika Cornelissen verantwortet sie das Projekt modeprotest.de für eine nachhaltig gekleidete Zukunft.

Der Artikel ist erschienen in der neuen Ausgabe zeo2 4/2014. Den Artikel können Sie gerne auf unserer Facebook-Seite diskutieren.