Starkes deutsches Schach: Besondere Nervenstärke
Beim Weltcup im indischen Goa feiern deutsche Schachspieler einmal mehr große Erfolge. Alexander Donchenko zieht gar ins Viertelfinale ein.
Es bleibt ein sehr besonderes Jahr im deutschen Schach. Nachdem es in den letzten Monaten und Wochen perfekt lief für die hiesigen Großmeister, droht nun beim Weltcup im indischen Goa das Ende des Höhenflugs. Doch die sieben deutschen Vertreter beim mit zwei Millionen US-Dollar dotierten Wettbewerb konnten an die großen Erfolge der letzten Monate anknüpfen. Die vier Ratingbesten des qualifizierten Septetts überstanden die dritte Runde. Dabei sorgten die deutsche Nummer drei und vier für gleich zwei Sensationen. Und als letzter Verbliebener steht nun völlig überraschend Alexander Donchenko im Viertelfinale. Er gewann seine Partie am Sonntag im Tiebreak gegen Quang Liem Le.
Für die erste große Überraschung sorgte Frederik Svane, der Weltmeister Dommaraju Gukesh eliminierte. Zunächst hatte der Lübecker damit gehadert, dass er im ersten Duell seine Vorteile mit den weißen Steinen gegen den Inder nicht nutzen konnte und sich mit einem Remis zufriedengeben musste. Doch dann überspielte der 21-Jährige den Weltmeister in der zweiten Partie, obwohl der scheinbar übermächtige Kontrahent den „Aufschlag“ mit Weiß hatte. Trotz der schwarzen Figuren spielte Svane nervenstark eine Glanzpartie und ließ Gukesh kein zweites Mal entkommen.
Für den zweiten Paukenschlag sorgte Alexander Donchenko: Der 27-Jährige aus Gießen schaltete den Weltranglistenfünften Anish Giri aus. Der Niederländer hatte zuvor beim Grand-Swiss-Turnier aufgetrumpft und sich vor Einzel-Europameister Matthias Blübaum für das WM-Kandidatenturnier 2026 auf Zypern qualifiziert. Dort wird der Herausforderer von Gukesh ermittelt. In Zeitnot stellte der Baden-Badener Bundesligaspieler seinen Mannschaftskameraden vor enorme Probleme, die Giri mit verbleibenden 110 Sekunden Bedenkzeit in der Defensive nicht lösen konnte.
Den „denkwürdigen Tag fürs deutsche Schach“, wie eine englischsprachige Webseite kommentierte, machten Vincent Keymer und Blübaum mit den Einzug in die vierte Runde perfekt. Von Keymer hatten die Experten nichts Anderes erwartet, stürmte doch der am Wochenende 21-jährige deutsche Spitzenspieler zuletzt bis auf Platz vier der Weltrangliste vor. Daher hofften seine Fans, dass er beim Weltcup einen der letzten drei Plätze für das Kandidatenturnier ergattert – dort siegt und sich gegen Gukesh zum zweiten deutschen Weltmeister nach Emanuel Lasker, der von 1894 bis 1921 auf dem Schach-Thron saß, krönt.
Blübaum ohne Druck
Bereits für Zypern qualifiziert war Blübaum mit seinem sensationellen zweiten Platz beim Grand-Swiss-Turnier hinter Giri. In Indien konnte der zweimalige Einzel-Europameister entsprechend locker antreten. Der 28-Jährige machte sich keinen Druck, „kam ich doch beim Weltcup noch nie über die dritte Runde hinaus“. Nach dem Abschluss seines Mathematik-Studiums gelang dies zwar Blübaum diesmal in Goa – aber danach war für ihn nach einer Niederlage gegen Favoritenkiller Donchenko Schluss.
Bitterer war die Pleite für Keymer, weil sie das WM-Aus besiegelte. In der vierten Runde musste er nach zwei Remis in den Turnierpartien gegen Andrej Esipenko in die Verlängerung. Der Weltranglisten-41. aus Russland hielt auch im Schnellschach zunächst zweimal dagegen. Bei weiter verkürzter Bedenkzeit patzte Keymer und verlor beide Blitzpartien zum 2:4-Endstand. Trotz des Knockouts enttäuschte der 21-Jährige keineswegs und steigerte seine Elo-Zahl in der Weltrangliste um fünf weitere Zähler auf 2.778 Elo. Platz drei ist in Sichtweite.
So halbierte sich das deutsche Quartett vor dem Achtelfinale. Neben Donchenko zog Svane in der Schnellschach-Verlängerung gegen den Armenier Shant Sargsjan in die Runde der letzten 16 ein. Die unverhoffte Chance auf die Qualifikation für das WM-Turnier auf Zypern konnte er allerdings nicht ergreifen. Frederik Svane unterlag dem starken Usbeken Jawochir Sindarow. Der Weltranglisten-25. verteidigte in der zweiten Begegnung zäh das Remis und seine Führung.
In die Verlängerung gelangte derweil Donchenko. Gegen den Weltranglisten-22. Quang Liem Le hielt er erstaunlich gut mit und remisierte zweimal. Nach dem 4,5: 3,5 Sieg bei verkürzter Bedenkzeit in einem nervenaufreibenden Tiebreak am Sonntag lebt nun die Hoffnung auf noch größere deutsche Schacherfolge. Im Viertelfinale trifft Donchenko auf den Usbeken Nodirbek Yakubboev.
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