Steigende Leukämierate in AKW-Nähe: Bei Revision ist Urlaub angesagt

Beim Wechseln von Brennelementen wird starke radioaktive Strahlung frei, so die Ärzteorganisation IPPNW. Erklärt das die hohen Leukämieraten rund um AKW?

Brennstäbe im Abklingbecken. Dort liegen sie fünf Jahre bis zum Weitertransport. Bild: dpa

GÖTTINGEN taz | Angelika Claußen empfiehlt die Flucht. „Wenn ich kleine Kinder hätte, würde ich über Ostern in Urlaub fahren“, empfahl sie in dieser Woche Müttern aus der Umgebung des Atomkraftwerks Grohnde.

Claußen ist Vorstandsmitglied der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW und das niedersächsische AKW ist am Donnerstag zur Revision vom Netz genommen worden. Das Problem: Beim Austausch der Brennstäbe und Öffnen des Reaktordruckbehälters gelangen große Mengen radioaktiver Substanzen über den Kamin in die Umgebung.

Betreiber Eon wies Claußens Äußerungen prompt als Panikmache zurück. „Die Bevölkerung auf so offensichtlich ideologisch motivierte Weise derartig zu verunsichern, verurteilen wir aufs Schärfste“, sagte eine Unternehmenssprecherin.

Doch IPPNW verweist auf das bayrische AKW Gundremmingen. Dort sei die Konzentration an radioaktiven Edelgasen nach Zahlen des bayerischen Landesamts für Umwelt während der letztjährigen Revision 500-mal so groß gewesen wie vor der Abschaltung.

Vieteljahreszahlen statt Halbstundenwerte

„Wir gehen davon aus, dass das in Grohnde ähnlich zu werten ist“, sagt Claußen. Auch wenn es noch keine Beweise gebe: Ihre Organisation habe vom niedersächsischen Umweltministerium die Halbstundenwerte für die Revision 2011 Jahr angefordert, jedoch lediglich Vierteljahreszahlen bekommen.

Die Belastungsspitzen bei den Revisionen könnten IPPNW zufolge die erhöhten Leukämieraten bei Kindern in der Umgebung der Atomkraftwerke erklären. 2007 hatte die Studie zu Kinderkrebs um Kernkraftwerke (KiKK-Studie) in Deutschland gezeigt: Je näher ein Kleinkind an einem Atomkraftwerk wohnt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es an Krebs erkrankt. Ursachen dafür nannte die Studie aber nicht.

Der Nürnberger Umweltmediziner und Experte für radioaktive Niedrigstrahlung, Alfred Körblein, hat alle bekannten Untersuchungen zu Krebs und Atomkraft ausgewertet. Auch er hält es für möglich, dass die beim Brennelementewechsel auftretenden Emissionsspitzen der „Schlüssel zum Verständnis des erhöhten Leukämierisikos“ sind.

Die Grünen im niedersächsischen Landtag haben eine Anfrage zur Revision in Grohnde gestellt. Die Landesregierung solle die Belastung insbesondere durch Jod-131 und radioaktive Edelgase während der letztjährigen Inspektion sowie jeweils einen Monat davor und danach nennen, verlangt der Abgeordnete Christian Meyer. Er will zudem wissen, ob „insbesondere nach Öffnen des Reaktordruckbehälters beim Brennelementewechsel mit einer Erhöhung der Radioaktivität zu rechnen ist.“

Die Anti-Atom-Initiative Göttingen kündigte eine „Karawane gegen Kinderkrebs“ an, die vom 21. bis 26. April von Göttingen nach Grohnde ziehen wird – der 26. April ist der Jahrestag des Atomunfalls von Tschernobyl.

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