Stephan Weil über VW und Elke Twesten: „Nicht den leisesten Hinweis“

Die Probleme bei VW hätten weit vor seiner Zeit als Aufsichtsrat begonnen, sagt Niedersachsens Landeschef. Im Fall Twesten will er Aufklärung.

Ein Mann in weißem Hemd hat eine Schutzbrille und Ohrenschützer auf und streckt beide Arme zur Seite

Hat auch bei Gegenwind Spaß: Wahlkämpfer Stephan Weil, hier im Zentrum für Windenergieforschung Foto: dpa

taz: Herr Weil, inwiefern hat VW in Ihrer Zeit als Ministerpräsident Einfluss auf die Politik genommen?

Stephan Weil: Gar nicht, das kann ich guten Gewissens sagen. Mir war immer sehr bewusst, dass ich im Landesinteresse arbeite. Und ich sehe auch keine Differenz zwischen dem Landesinteresse und dem Unternehmenswohl. VW möchte erfolgreich sein und dafür muss das Unternehmen sauber sein – das gilt für Schadstoffwerte genauso wie für die inneren Verhältnisse.

Also war die Regierungserklärung, die Sie VW vorab gezeigt haben, nicht der einzige Fall, in dem es solche Absprachen gab?

Gerade in der Anfangsphase von Diesel-Gate haben wir uns immer da abgestimmt, wo es um juristisch relevante Inhalte ging. Im Herbst 2015 befand sich Volkswagen in einer sehr bedrohlichen Situation. Bei ­politischen Wertungen allerdings hat es niemals eine Abstimmung gegeben. Auch dafür ist die Regierungserklärung ein gutes Beispiel. Sie enthält eine deutliche Kritik an Volkswagen.

Warum ist das Thema gerade wieder hochgekocht? Wer will Ihnen schaden?

Darüber will ich nicht spekulieren, aber ich sehe es schon als Teil des Wahlkampfes. Dass dieses Thema jetzt mit einer solchen Wucht, pünktlich zum Auftakt der Wahlauseinandersetzung in Niedersachsen, kommt, spricht für sich.

Auch David McAllister (CDU) und Jörg Bode (FDP) haben als VW-Aufsichtsräte Kommunikationsrichtlinien mit VW abgestimmt.

Ja, und zwar deutlich intensiver. Wir haben uns darauf konzentriert, juristisch und fachlich keine Fehlinformationen zu geben. Etwas ganz anderes sind politische Wertungen. Die müssen ganz und gar selbstständig und nur von der Landesregierung getroffen werden.

Bei VW gab es nicht nur die Abgasmanipulationen, sondern auch Kartellabsprachen mit anderen Automobilkonzernen. Haben Sie als Aufsichtsrat weggeguckt?

Nein, Diesel-Gate hatte seinen Ursprung vor mehr als zehn Jahren und hat sich danach wie ein Virus im Organismus des Konzerns von Modellgeneration zu Modellgeneration weiter fortgefressen. Und auch Gespräche zwischen den Autoherstellern gibt es seit weit mehr als zehn Jahren, also weit vor unserer Zeit.

58, ist seit 2013 Ministerpräsident von Niedersachsen. Davor war er Oberbürgermeister von Hannover. Als Landeschef sitzt er im Aufsichtsrat von Volkswagen, da Niedersachsen 20 Prozent von VW hält. Privat fährt er einen Benziner, natürlich von VW.

Das klingt nach Krankheit, war aber Manipulation.

Natürlich kam das nicht aus heiterem Himmel über Volkswagen, sondern war selbst verschuldet. Als Olaf Lies und ich 2013 in den Aufsichtsrat gekommen sind, hatten wir allerdings nicht den leisesten Hinweis darauf, dass über so viele Jahre so viel schiefgelaufen ist.

Und bei den Kartellvorwürfen?

Aktuell laufen die Untersuchungen der Kartellbehörden in Brüssel. Es gibt Gespräche, die dürfen Automobilunternehmen untereinander führen. Wenn es um technische Standardisierung geht, ist das sogar im Interesse der Kunden. Was sie definitiv nicht dürfen, sind wettbewerbsbeeinflussende Absprachen. Ob das der Fall war, ist zu klären. Wir müssen dazu jetzt die Entscheidung der Kartellbehörden abwarten.

Sie hatten im Aufsichtsrat keine Hinweise darauf, dass seit den 90er Jahren heimlich Absprachen getroffen wurden?

Nein. Das ist eine uralte Vorgehensweise innerhalb der Automobilindustrie, und zu meiner Zeit im Aufsichtsrat gab es keine Veranlassung, in dieser Hinsicht nachzufragen.

Aber wenn Sie von alledem nichts mitbekommen, warum ist es dann überhaupt sinnvoll, dass das Land im Aufsichtsrat sitzt?

Volkswagen ist für Niedersachsen von herausragender Bedeutung. Mehr als 100.000 Arbeitsplätze hängen direkt von Volkswagen ab. Ich habe ein großes Interesse daran, dass das Weltunternehmen Volkswagen seine niedersächsischen Wurzeln pflegt. Dass in Niedersachsen Autos gebaut werden, ist ja kein Naturgesetz. Deswegen verteidige ich das Landesengagement bei VW.

Würden Sie sich selbst noch einen Diesel kaufen?

Einen Euro-6-Diesel ja. Darunter nein.

18. September 2015: Das US-Umweltamt EPA deckt den Dieselbetrug auf: mit einer Software hatte VW Abgaswerte von Dieselautos gefälscht.

15. Oktober: Das Kraftfahrt-Bundesamt ordnet einen Pflichtrückruf aller VW-Dieselautos mit Betrugs-Software an. In ganz Europa müssen 8,5 Millionen, in Deutschland 2,5 Millionen Wagen in die Werkstatt.

22. April 2016: Mit 1,6 Milliarden Euro erzielt VW den größten Verlust aller Zeiten.

27. Juli 2017: Illegale Abgas-Software auch beim Porsche-Geländewagen Cayenne.

2. August: Auf dem Dieselgipfel in Berlin einigen sich Bund, Länder, Kommunen und Autohersteller auf Maßnahmen: Software-Updates und die Einzahlung von 250 Millionen Euro in einen Fonds, mit dem den Kommunen bei der Modernisierung ihrer Verkehrssysteme geholfen werden soll. Umwelt- und Verbraucherschützer sind empört.

Ein zweiter Dieselgipfel soll folgen.

Der niedersächsische CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann hat sich dafür ausgesprochen, dass statt des Wirtschaftsministers zukünftig ein externer Experte im VW-Aufsichtsrat sitzen soll. Was halten Sie davon?

Reiner Wahlkampf. In Sachen Aufklärung war das Land von Anfang an die treibende Kraft. Und wir gehen sehr gut vorbereitet in die Sitzungen.

Die Grünen hätten gerne einen Experten für Luftreinheit im Aufsichtsrat.

Ich würde empfehlen, über die Verteilung von Posten erst dann zu reden, wenn die Wählerinnen und Wähler in Niedersachsen am 15. Oktober entschieden haben, wie es weitergeht.

Sind Sie noch sauer wegen der Neuwahl?

Sauer ist das falsche Wort. Natürlich ist das nicht an mir abgeprallt, aber wenn man eine Einstimmenmehrheit hat, muss man auch so etwas für möglich halten. Ich finde jedoch die Umstände und den Zeitpunkt schlimm. Elke Twesten hat kein einziges politisches Argument für ihren Wechsel ­genannt. Es ging nur um ihre Person. Das reicht nicht für eine so weitreichende Entscheidung.

Sie befürchten einen schmutzigen Wahlkampf, aber ist es nicht auch schmutzig, dass Sie der CDU immer noch eine Intrige vorwerfen, obwohl die Fraktion das schon mehrfach dementiert hat?

Nein, das finde ich nicht. Elke Twesten selbst hat verschiedenen Personen gegenüber von einem unmoralischen beziehungsweise unseriösen Angebot gesprochen. Das schreit nach Aufklärung.

Glauben Sie, dass die CDU ihr ein Angebot gemacht hat?

Ich spekuliere über so etwas nicht. Sie selbst hat davon gesprochen, jetzt muss sie selbst auch sagen, wer ihr wann welches Angebot gemacht hat.

Haben Sie von ihrer Unzufriedenheit gewusst?

Ja, ebenso wie fast der ganze Landtag. Es war hinlänglich bekannt, dass Frau Twesten unglücklich darüber war, dass die Basis ihr das Vertrauen entzogen hat.

Auf Facebook schreibt Elke Twesten, dass Sie ihr gesagt hätten, sie solle „Verwendungsmöglichkeiten“ aufschreiben und an Ihr Büro schicken. Wollten Sie ihr einen Posten zuschanzen?

Nein. Ich habe sie auch nicht um eine solche Liste gebeten. Das wäre ein absurder Vorgang. Es hat aber ein Gespräch gegeben, bei dem ich mich bei Frau Twesten nach ihrem Befinden erkundigt habe. Sie selbst hat nach dem Gespräch einem Dritten gegenüber gesagt, ich habe nur quatschen wollen.

Wie beurteilen Sie persönlich den Wechsel?

Ein Fraktionswechsel gehört zum freien Mandat dazu, das ist so. Aber hier war er verbunden mit dem Wechsel einer Parlamentsmehrheit. Mehrheiten werden in der Demokratie aber nur von den Wählerinnen und Wählern und nur durch Wahlen bestimmt. Und gegen diesen Grundsatz ist hier massiv verstoßen worden.

Elke Twesten hat den Grünen gegenüber mehrfach von anderen Perspektiven gesprochen, die haben das aber nicht ernst genommen. Machen Sie Ihrem Koalitionspartner einen Vorwurf?

Nein. Ich habe nichts am Umgang der grünen Fraktion mit Frau Twesten zu kritisieren.

Rot-Grün ist weiter Ihre Wunschkoalition?

Ja, dafür kämpfe ich. Wir haben zusammen erfolgreiche Politik in Niedersachsen gemacht. Wir sind das Energieland Nummer eins, und zwar auf der Basis erneuerbarer Energien, haben das Turboabi abgeschafft ebenso die Studiengebühren und wir haben den Haushalt saniert. Da würde ich gerne weitermachen, wenn die Wählerinnen und Wähler hinter uns stehen. Der Wahlkampf hat jetzt erst angefangen. Das wird ein heißer Tanz werden und ich will mittanzen.

Es gab massive Fehler bei der Vergabe öffentlicher Aufträge.

Ja, das stimmt leider in Einzelfällen. Wenn man viel macht, macht man auch Fehler. Wir haben Konsequenzen daraus gezogen.

Ist eine Koalition mit der CDU jetzt vom Tisch?

Die war noch nie sonderlich realistisch. Und durch die letzten Tage ist sie nicht realistischer geworden.

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