Stillegung gefordert: Die letzte Bastion der Atomindustrie

Umweltschützer fordern ein sofortiges Ende der AKW-Brennstoffproduktion in Lingen – und mehr Engagement der Umweltminister.

Ohne Brennelementefabrik kein Atomstrom: Protest vor dem Atomkraftwerk Lingen. Bild: dpa

HANNOVER taz | Mehr als 50 Umweltverbände und Anti-Atom-Initiativen fordern die sofortige Stilllegung von Deutschlands einziger Fabrik für Atomkraftwerksbrennelemente in Lingen im Emsland. SPD-Bundesumweltministerin Barbara Hendricks und ihr grüner Amtskollege in Niedersachsen, Stefan Wenzel, seien gefordert, „die Schließung auf den Weg zu bringen“, heißt es in einer Resolution, die auch Greenpeace, Robin Wood und der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) unterstützen. Der Atomstandort Lingen könne „nicht länger toleriert“ werden.

Die Brennelementeproduktion ist Teil eines großen atomindustriellen Clusters an der Grenze zu den Niederlanden: Das AKW Lingen II soll noch bis 2022 Strom produzieren. Im wenige Kilometer entfernten Gronau läuft Deutschlands einzige Urananreicherung. Auch im niederländischen Almelo steht eine beinahe identische Anlage.

Sowohl Urananreicherung wie Brennelementeproduktion sind nicht Teil des deutschen Atomausstiegs. Beide Anlagen haben unbefristete Betriebsgenehmigungen – und weder die Sozialdemokratin Hendricks noch der Grüne Wenzel zeigen bisher Initiative, daran etwas zu ändern. „Damit kann immer neuer Atommüll produziert werden“, klagt Udo Buchholz vom Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU). „Dabei ist doch noch völlig unklar, was mit dem bis heute verstrahlten Material geschehen soll.“

Zudem seien die Brennelementefabrik und das AKW Lingen altersschwach, sagt Matthias Eickhoff vom Aktionsbündnis gegen Atomanlagen aus dem angrenzenden Münsterland: Die Brennelementeproduktion steht still, seitdem Ende Oktober Risse in Teilen der Anlage entdeckt wurden. Mittlerweile seien die Schäden behoben, die Fabrik „bald betriebsbereit“, verkündet Wenzels Ministerium. Betriebsprüfungen liefen bereits.

Zwar räumt Wenzel selbst ein, dass es mit dem Atomausstieg „spätestens 2022 keinen inländischen Bedarf mehr für die Anlage“ gebe. Bei einer Stilllegung drohten allerdings hohe Schadenersatzklagen, ist aus seinem Ministerium zu hören.

Atomkraftgegner widersprechen: Zwar steckt der französische Atomkonzern Areva, der hinter der Brennelementefabrik steht, in massiven finanziellen Schwierigkeiten. Pannen beim Bau von neuen Druckwasserreaktoren im französischen Flamanville und in Olkiluoto in Finnland dürften Millionen bis Milliarden kosten. Mit der drohenden Pleite aber sei Areva kein „zuverlässiger Betreiber“, wie vom Atomgesetz gefordert.

Erst Ende Oktober hat die taz das verstörende Ergebnis einer Katastrophenschutzübung aufgedeckt, die den gleichzeitigen Zusammenbruch von Kühlung und Stromversorgung im Reaktor Lingen II simulierte.

Die Auswertung ergab: Viel zu spät wäre vor dem Super-GAU gewarnt worden.

Aus dem AKW wäre massiv Radioaktivität ausgetreten. Die Behörden hätten dies zu lange verschwiegen - während eine strahlende Wolke über die Großstädte Osnabrück und Bielefeld bis nach Bayern gezogen wäre.

Minister Wenzel müsse das Gesetz jetzt eben „konsequent anwenden“, fordert nicht nur Atomkraftgegner Eickhoff und verweist auf den einstigen grünen Übervater Joschka Fischer: Der habe als hessischer Umweltminister schon in den Achtzigern vorgemacht, wie Brennelementeproduktionen stillgelegt werden können – anhand der verstrahlten Skandalfirmen Alkem und Nukem in Hanau.

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