Stillstand in Algerien: Der kranke Mann am Mittelmeer

Während Präsident Bouteflika wegen den Folgen eines Schlaganfalls behandelt wird, liegen wichtige Reformen auf Eis. Ein Nachfolger ist nicht in Sicht.

Turbulenzen gibt's auf den ersten Blick in Algerien keine. Bild: imago/Xinhua

MADRID taz | Trotz aller Krisen und Aufstände in der arabischen Welt ist es merkwürdig ruhig geblieben in Algerien. Das Land scheint von allen Turbulenzen unberührt. Und für die politische Lähmung des Landes steht stellvertretend sein Präsident. Der altersmüde Abdelaziz Bouteflika ist erst im vergangenen Monat nach 81 Tagen aus dem Pariser Hospital, wo er wegen eines Schlaganfalls behandelt wurde, im Rollstuhl in seine Heimat zurückgekehrt.

Längst geht es nicht mehr darum, ob Bouteflika nach 14 Jahren an der Spitze des nordafrikanischen Landes eine vierte Amtszeit anstrebt. Viele seiner Landleute zweifeln, dass er überhaupt bis zu den Wahlen im April 2014 durchhält. Bouteflika brauche „einige Zeit für Behandlungen und Rehabilitation“, heißt es in einem Kommuniqué aus dem Präsidialamt.

Das bedeutet weiteren Stillstand der Politik. Wichtige Gesetze wie die Öffnung von Fernsehen und Radio für weitere Privatsender liegen seit Monaten in den Schubladen, ohne dass der Präsident sie unterzeichnet hätte. Selbst ein wichtiger Zusatzhaushalt für 2013 wurde nicht verabschiedet. Bouteflika machte sich schon lange vor seinem Schlaganfall rar. Seit einer Operation 2005 – offiziell ein Magengeschwür, inoffiziell Magenkrebs – tritt Bouteflika kaum noch an die Öffentlichkeit. Mit Ausnahme der Gipfeltreffen der Arabischen Liga reiste er nicht mehr in Ausland.

Die Vorbereitungen für die Nachfolge Bouteflikas laufen hinter den Kulissen auf Hochtouren. Eine Amtsenthebung aus Gesundheitsgründen mit anschließenden Neuwahlen binnen 60 Tagen, wie sie die Verfassung vorsieht, wird es erst einmal nicht geben. Dazu wäre ein Zweidrittelmehrheit im Parlament nötig. Während Teile der Opposition einen solchen Prozess einfordern, sind die beiden Regierungsparteien, die Nationale Befreiungsfront (FLN), deren Ehrenvorsitzender Bouteflika ist, und deren Abspaltung, die Nationale Demokratische Versammlung (RND), unsortiert.

Vor dem Schlaganfall: Abdelaziz Bouteflika empfängt Premierminister David Cameron im Januar in Algier. Bild: dpa

Beide Parteien stecken in einer tiefen Krise. Weder die FLN noch die RND haben derzeit einen Generalsekretär. Beide Formationen sind durch innere Machtkämpfe tief gespalten. Eine Einigung auf jeweils einen Kandidaten oder gar auf einen gemeinsamen Anwärter auf das Präsidentenamt scheint schier unmöglich.

Ex-Präsident will Generationenwechsel

Zwei der Schwergewichte der algerischen Politik, die von der Presse als Präsidentschaftskandidaten gehandelt werden, der ehemalige FLN-Generalsekretär, Abdelaziz Belkhadem, und der langjährige RND-Chef und ehemalige Regierungschef unter Bouteflika, Ahmed Ouyahia, sind Opfer dieser Krise. Dabei hätten beide einen guten „offiziellen“ Kandidaten abgegeben.

Der Blick ist deshalb einmal mehr rückwärtsgewandt. Bouteflikas Vorgänger Liamine Zéroual, der das Land in den 1990er Jahren im Konflikt mit den bewaffneten Islamisten stabilisierte, gäbe einen guten Kandidaten ab. Der General im Ruhestand genießt nach wie vor ein hohes Ansehen unter seinen Landleuten. „Dass ihr mich nach einer neuen Amtszeit fragt, ehrt mich sehr“, nahm er vor Enkeln der Gefallenen im Befreiungskrieg zu dieser Idee Stellung.

„Eigentlich müsste ich vor Freude in die Luft springen. Stattdessen bin ich sehr traurig wegen Algerien. Meine Kinder, ich bin 72 Jahre alt. Algerien hat viele junge Leute. Es ist an der Zeit, dass sie die Macht übernehmen“, fügt Zéroual hinzu. Und er fordert ein Ende der „vorausgesuchten Präsidenten“. Genau dies hatte Bouteflika unter dem Eindruck des Arabischen Frühlings 2011 versprochen. Getan hat sich seither jedoch nichts.

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