Stimmen zum Ökumenischen Kirchentag: Jung, christlich, politisch

Was bewegt junge Menschen in der Kirche? Sechs Aktive über Inklusion, Feminismus, Rassismus, Arbeit, Klima und Gerechtigkeit.

Portraits von zwei jungen Menschen.

Sind politisch und wollen in der Kirche was bewegen: Christoph Holbein-Munske und Priya George Foto: privat

Feminismus und Kirche? Na, klar!

Meistens verbindet man ja alte weiße Männer mit Kirche. Aber die christliche Botschaft spricht im Kern von Gleichberechtigung. Und genau das will ja Feminismus. Also Gleichberechtigung ist angelegt, nur sie wird leider nicht gelebt. Über die Jahrhunderte hat sich das verfestigt. Es geht um Machterhalt und darum, Frauen kategorisch auszuschließen. Während der Coronapandemie hat sich dieses Bild leider verstärkt.

29, Dözesanvorsitzende der Deutschen Pfadfinderschaft St.Georg

Gottesdienste werden in diesen Zeiten gestreamt und meist sind nur männliche Kleriker zu sehen. Durch Corona sind Frauen und ihre Arbeit in den Kirchen noch unsichtbarer geworden. Wir brauchen aber Gleichberechtigung, um unseren Glauben zu leben. Damit, dass Frauen endlich Priesterinnen werden, ist es aber noch lange nicht getan. Die Pries­te­r:in­nen­wei­he löst nicht das Problem, sondern ist nur ein Schritt in Richtung mehr Gleichberechtigung.

Wir brauchen eine feministische Haltung in dieser Kirche, eine Haltung, dass alle Menschen gleich an Würde und Rechten sind. Das ist keine Maximalforderung, sondern eine Mindestanforderung. Sonst haben wir als Kirche keine Zukunft mehr.

Bei vielen Pfad­fin­de­r:in­nen gibt es etliche Verständnisprobleme gegenüber der Amtskirche. Wer bei uns mitmachen will, muss nicht in der Kirche oder getauft sein. Wir haben eine christliche Grundhaltung, die alle Mitglieder teilen. Das holt viele ab, unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Kirche. Ich wünsche mir, dass es keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt, dass die gläserne Decke durchbrochen wird, dass sich die Haltung innerhalb der Kirchen ändert. Auch die Bischöfe müssen feministischer denken und sich für mehr Gleichberechtigung einsetzen. Die gläserne Decke kenne ich selbst sehr gut. Im Moment wird mir sogar die Denkmöglichkeit verwehrt, dass ich Priesterin werden könnte. Diese Ungerechtigkeiten akzeptiere ich nicht.

Um eine feministische Haltung zu stärken, sind digitale Formate total wichtig, gerade auch beim Kirchentag. Schließlich bedeutet der virtuelle Zugang zu Diskussionsrunden und anderen Formaten auch mehr Teilhabe. Für die Ökumene hat die digitale Kirche auf jeden Fall für mich schon viel geleistet. Zumindest in der Theorie. Ich habe noch nie so viel mit Pro­tes­tan­t:in­nen zu tun gehabt wie jetzt über digitale Begegnungen.“ Viola Kohlberger

Nächstenliebe nicht falsch verstehen

Viele denken bei Inklusion und Kirche vermutlich an Diakonie und Caritas. Das ist natürlich ein wichtiger Bereich, aber Inklusion sollte sich wie ein roter Faden durch alle Bereiche der Kirche durchziehen. Durch Gottesdienste, aber auch durch Ausschüsse. Menschen mit Behinderung sollten etwa nicht nur als Gemeindemitglieder mitgedacht werden, sondern auch als Aktive, als Mitarbeitende und auch in Leitungspositionen zu finden sein. Da gibt es bislang kaum Vorbilder und noch viel Luft nach oben. Zwar sind sicher die wenigsten dagegen, dass Menschen mit Behinderung aktiv in der Kirche sind, aber es gibt immer wieder Barrieren. Etwa wenn Tagungen an Orten stattfinden, wo es keinen Fahrstuhl gibt. Das schließt direkt Menschen aus.

23 Jahre, Studentin der evangelischen Theologie.

Ich studiere Theologie, weil ich mich dafür interessiere, Pastorin zu werden. Ich möchte Menschen dabei ermutigen, ihren Weg zu gehen. Im Studium merke ich auch, dass hinter manchen theologischen Gedanken ableistische Aussagen stecken. Etwa bei dem wichtigen und großen Thema Nächstenliebe. Für mich ist Nächstenliebe falsch verstanden, wenn dadurch eine Kluft entstehen kann durch eine „Die“ – und „Wir-Erzählung: wir Chris­t*in­nen und die Obdachlosen oder behinderten Menschen. So kann der Eindruck entstehen, dass gewisse Personen ‚Objekte der Nächstenliebe‘ sind. Schnell wird dann von „den Schwächsten“ gesprochen. Das steht im Gegensatz zu der christlichen Annahme, dass alle Menschen einen gleichen Wert haben und alle gleich von Gott geliebt werden. Durch die Darstellung, dass sich ‚die Starken‘ um ‚die Schwachen‘ kümmern, wird eine Grenze geschaffen. Als ob wir nicht selbst alle auch immer auf beiden Seiten stehen würden.

Gut finde ich, wie präsent das Thema Inklusion beim Kirchentag ist. Das hat auch eine Vorbildfunktion. Trotzdem gibt es da natürlich auch eine gewisse Vorstellung, was barrierefrei bedeutet und auch da kann es wieder für Menschen Hürden geben. Es gibt dann Ge­bär­den­sprach­dol­met­sche­r*in­nen oder einen Fahrdienst für Menschen mit Rollstuhl, aber keine Organisation für Menschen, die nur eine bestimmte Strecke laufen können. Natürlich kann man nicht im Vorfeld alle möglichen Fälle mitdenken. Wichtig ist aber, dass wenn eine Person auf Barrieren hinweist, auch versucht wird, eine Lösung zu finden. Für das diesjährige Online-Format des Kirchentags gebe ich einen Workshop zur digitalen Teilhabe und spreche über Untertitel, Alternativtexte, aber auch Ableismus in der Kirche. Vor allem in der digitalen Kirche habe ich den Eindruck, dass es viele junge Menschen gibt, die sich gerade vernetzen. Sie reflektieren verschiedene Formen von Diskriminierungen und wollen Kirche noch inklusiver für alle gestalten. Das ist für mich ein großes Hoffnungszeichen, wenn ich an die Zukunft der Kirche denke. Julia Schönbeck

Raus aus der Blase

„Wir brauchen eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden in der Woche, damit alle die Möglichkeit zu guten Arbeitsbedingungen haben. Und wir brauchen ein bedingungsloses Grundeinkommen, um dem Zwang entgegen zu wirken, jede noch so prekäre Arbeit anzunehmen zu müssen und zu dulden. Kirche spielt eine wichtige Rolle dabei. Kirche ist ein Akteur, der für Überzeugung und Ideale steht. Sie kann dafür sorgen, dass wir uns fragen: Wie richten wir unsere Wirtschaft jetzt und künftig aus? Kirche kann Menschen organisieren und diese mit ihren Idealen zusammenbringen. Natürlich stoßen Ideen wie ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht nur auf Fürsprecher in der Kirche, vor allem bei Konservativen und Wirtschaftsliberalen. Aber es gibt ein wachsendes Bewusstsein dafür, dass so, wie die Wirtschaft derzeit funktioniert, dass es so nicht mehr weiter gehen kann. Kirchentage sind auch dazu da, diese innerkirchlichen Blasen aufzustechen und über neue Ansätze zu diskutieren.

32 Jahre alt, engagiert in der Christlichen Arbeiterjugend

Ich ermutige alle Menschen, in ihren Lebensrealitäten für gute Arbeitsbedingungen einzustehen. Zum Beispiel im eigenen Job. Wenn es dort ungerechte Bezahlungen gibt, dann protestiert man dagegen. Oder man steht für die Aufwertung von Care-Arbeit ein. Gerade in der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, wie wichtig solche Arbeit ist. Wir organisieren uns mit jungen Menschen, die in allen möglichen Bereichen arbeiten – und wollen sie genau dazu ermutigen. Es gibt einen großen drive für gute Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Das ist ideell Konsens.

Aber dort wo Kirche Arbeitgeber ist, sieht es manchmal anders aus. Vor allem das kirchliche Arbeitsrecht stößt bei vielen außerhalb eines kirchlichen Kontextes auf Widerstand. Immer wieder gibt es Fälle, dass auch kirchliche Arbeitgeber prekäre Arbeitsplätze anbieten oder von Arbeitsverdichtung berichtet wird. Zum Beispiel in der Pflege. Da ist was im Argen. Nicht nur, aber auch in kirchlichen Einrichtungen. Überall wo Pflege geleistet wird, muss es auch menschenwürdige Arbeit geben. Das gehört für mich zusammen. Die Pflegenden müssen ausreichend Zeit haben, um sich um die Menschen zu kümmern. Es ist die Aufgabe aller kirchlichen Akteure dafür zu sorgen, dass diese Voraussetzungen auch erfüllt werden. Fatal ist, wenn das nicht passiert.“ Christoph Holbein-Munske

Auf Solidarität setzen

Natürlich ist Rassismus auch in der Kirche ein Problem, weil er in unserer Gesellschaft vorkommt und rassistische Strukturen existieren. Es ist wichtig, das zu erkennen und dann die Bereitschaft zu haben, sich damit auseinanderzusetzen. Die Kirche positioniert sich gegen Rassismus, aber es gibt noch weiterhin einen großen Handlungsbedarf. In meinen Augen ist das gerade eine spannende Zeit, weil viel angestoßen wird und sich verändert.

25 Jahre alt, ehrenamtliche Verbandsleiterin der Gemeinschaft Christlichen Lebens – Mädchen und Frauen (GCL-MF).

Konkret könnte die Kirche stärker schauen, über welche Wegen neue Mitglieder gewonnen werden, wer da explizit adressiert wird und ob dies nicht erweitert werden kann. Das gilt auch für Angebote in der Kirche. Neulich habe ich von einem Workshop-Wochenende des Landesjugendring NRW gelesen, wo es ein Angebot für weiße Personen gab und zeitgleich eines für People of Colour. Später haben die beiden Gruppen dann gemeinsam an den Themen weitergearbeitet. Ich finde das einen guten Weg, weil manche Themen die Gruppen unterschiedlich betreffen, aber der gemeinsame Austausch sehr wichtig ist. Klar, zunächst steckt da der scheinbare Widerspruch drin, dass man die Unterschiede extrem hervorhebt. Ich denke aber, dass um die trennenden Strukturen zu überwinden, es wichtig ist, die eigenen Möglichkeiten und Privilegien zu benennen und sich derer bewusst zu werden.

Ich finde deshalb Veranstaltungen gut, in denen sich die weiße Mehrheitsgesellschaft mit den eigenen Privilegien auseinandersetzt. Ich glaube nur so kann es gelingen, strukturellen Rassismus zu erkennen und dann anzugehen. In einem Interview habe ich mal gesagt, dass die Frage, wo ich denn wirklich herkomme, unangebracht ist. Denn diese Nachfrage unterstellt, dass ich nicht aus Deutschland kommen kann bzw., deutsch sein kann. Danach kamen auch Leute aus dem Jugendverband auf mich zu und sagten: „Das habe ich dich damals auch unreflektiert gefragt. Wie war das für dich?“ In solchen Momenten findet eine Sensibilisierung statt und in dem ich das thematisiere, mache ich ein Gesprächsangebot.

Es muss aber auch klar sein, dass das nicht alle PoC Lust oder die Kraft haben, ständig über Rassismus zu sprechen und ausgefragt zu werden. Ich persönlich freue mich aber über Nachfragen, auch wenn ich weiß, dass das Thema emotional und auch schmerzhaft sein kann – für beide Seiten. Ich glaube daran, dass man gemeinsam rassistische Strukturen überwinden kann. Solidarität untereinander und weiße Menschen als Verbündete im Kampf gegen Rassismus zu wissen, ist mir sehr wichtig. Priya George

Junge Generation ist laut für den globalen Süden

„Über die Weltjugendtage habe ich kennengelernt, dass Kirche weltweit ist. Über diese Verbundenheit entsteht eine globale Verantwortung. Ich war in Brasilien, in Panama und habe dort große Armut gesehen. Der Blick auf diejenigen, die am Rand stehen, gehört für mich dazu und dass wir gegen globalisierte Ungerechtigkeiten vorgehen. Das fängt damit an, welches Handy ich nutze oder ob ich mit dem Fahrrad zur Arbeit fahre. Es sind die kleinen Fragen, die mich umtreiben.

27 Jahre alt, Kolpingjugend

Viele junge Menschen gehen in den Freiwilligendienst und sehen dann im Ausland, was auf der Welt los ist. Ein Teil der jüngeren Generation ist richtig laut, wenn es um mehr Gerechtigkeit für den globalen Süden geht. Aber natürlich gibt es auch viele für die das Thema nicht so lebensrelevant ist. Mich beschäftigt gerade sehr die Frage der Impfgerechtigkeit. Etliche Länder sind nur sehr stark auf sich fokussiert und andere Regionen geraten aus dem Blick.

Die Lage in Indien oder auch in Lateinamerika ist noch schwieriger geworden durch die Corona-Pandemie. Wenn die Menschen dort einen Arbeitsausfall haben, gibt es eben keine staatliche Unterstützung, wie in den Industriestaaten. Dafür wünsche ich mir eine stärkere Öffentlichkeit. Kirche muss hier politisch sein und auf die Entscheidungsträger einwirken. Ich kann mir ein Leben ohne Kirche gar nicht vorstellen. Für mich ist es keine Option auszutreten. Natürlich beschäftigen mich die großen Themen und ich hadere mit den vielen Problemen. Aber die Solidarität unter den Gemeinschaften weltweit überwiegt für mich. Für mich zählt die Verbundenheit, trotz der Schäden und der zum Teil schlechten Strukturen, die leider auch ein Zeugnis der Kirche sind. Veränderung ist möglich, auch in der Kirche. Das muss schneller und auch sorgfältiger passieren. Ich will mit der Kirche etwas verändern. Aber wenn ich das will, muss ich mich auch beteiligen.“ Paulina Hauser

Hoffen auf einen Mutausbruch

Die Kirche tut schon einiges im Bereich Klimaschutz und beschäftigt sich natürlich schon seit sehr vielen Jahren damit, genau wie wir als Jugendverband. Das ist auch nicht nur ein Thema von jungen Menschen in der Kirche, aber besonders die junge Generation ist da aktuell mit starkem Nachdruck dabei. Das Bundesverfassungsgericht hat gerade die Sorge vor einem starken Einschnitt in unsere Zukunft und Freiheit durch die Klimakrise bestätigt. Als Jugendverbände fordern wir, dass die Kirche noch lauter wird für den Klimaschutz.

27 Jahre alt, Politologin und Bundesvorsitzende der Katholischen Landjugendbewegung Deutschlands.

Eine lebendige Kirche bedeutet für uns, politische Verantwortung zu übernehmen. Ich glaube, dass die Kirche im positiven Sinne da eine große Macht hat, weil sie sehr viele unterschiedliche Ebenen durchdringt. Sie ist einerseits persönlich, weil Glaube sehr persönlich ist. Die Kirche kann also mit dem Appell in der Gemeinde, dass wir Schöpfungsverantwortung haben, viele Menschen erreichen. Zweitens besitzt die Kirche viel Land, sehr viele Gebäude. Die Kirche ist der zweitgrößte Einkäufer nach der öffentlichen Hand. Da passiert schon einiges, doch es müssen alle Häuser klimaneutral gebaut werden und das Land an Menschen verpachtet werden, die es im Einklang mit der Natur/nachhaltig bewirtschaften. In diesem Bereich kann man in jedem Schritt zeigen, dass man als Kirche Verantwortung für den Klimaschutz übernimmt. Drittens ist die Kirche natürlich auch ein politischer Player. Der Vatikan ist auch bei Klimaverhandlungen dabei.

Auf dem diesjährigen Ökumenischen Kirchentag werde ich auf einem Hauptpodium unter anderem mit Angela Merkel und Luisa Neubauer über das Thema Klimaschutz und Generationengerechtigkeit sprechen. Es ist ein starkes Zeichen, dass es das einzige Podium ist, an dem die Kanzlerin teilnimmt. Da soll auch noch mal deutlich werden, welche Tragweite das Thema hat. Wir erwarten nun, dass das Klimaschutzgesetz so angepasst wird, dass das 1,5 Grad-Ziel realistisch wird. Ich hoffe, es passiert im letzten politischen halben Jahr von Angela Merkel noch ein Mutausbruch – und sie wird doch noch zur Klimakanzlerin. Die junge Generation braucht jetzt eine mutige und ambitionierte Klimapolitik.

Natürlich habe ich ein stückweit Angst, dass ein digitaler Kirchentag nicht so viele Menschen erreicht wie eine Präsenzveranstaltung. Ein Kirchentag lebt von der Gemeinschaft, das ist digital schwierig widerzuspiegeln. Auch da kann es eine Generationenfrage geben. Vielleicht werden durch ein Online-Format ältere Menschen abgehängt. Auch für uns im Jugendverband war es schwierig, die Motivation für einen digitalen Kirchentag hochzuhalten. Wir haben aber auch gemerkt, dass andere Sachen dafür möglich sind. Menschen, die sonst hätten weit anreisen müssen, können leicht zugeschaltet werden. Lieber digital als gar nicht ­– das würde ich für den Kirchentag unterschreiben. Daniela Ordowski

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