Strafbefehle gegen Flüchtlinge aufgehoben: Razzia in Ellwangen wohl rechtswidrig

Auch Wohnräume in Flüchtlingsunterkünften darf die Polizei nicht ohne Durchsuchungsbefehl betreten. So sieht es das Amtsgericht.

Polizisten führen einen gefesselten Mann ab

Zweifelhafte Rechtsgrundlage: Razzia in der Flüchtlingsunterkunft Ellwagen im Mai 2018 Foto: dpa

BERLIN taz | Das Amtsgericht in Ellwangen hat vorerst Strafbefehle gegen drei Flüchtlinge aus Nigeria aufgehoben. Die Männer sollten Geldstrafen in Höhe von mindestens 70 Tagessätzen bezahlen, weil sie bei einer Razzia in der Ellwanger Landeserstaufnahmestelle LEA Widerstand gegen Polizeibeamte geleistet haben sollen. Rund 500 Polizisten hatten die Unterkunft in der schwäbischen Kleinstadt am frühen Morgen des 3. Mai vergangenen Jahres durchsucht, nachdem Heimbewohner kurz zuvor eine Abschiebung verhindert hatten. Die Aktion hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt.

Im Fall der drei Nigerianer hat nun das Amtsgericht in Ellwangen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Razzia insgesamt geäußert. Das berichtete zuerst die Schwäbische Zeitung. Demnach ist das Gericht der Auffassung, dass die Zimmer in der LEA grundgesetzlich geschützte Wohnungen und die Flüchtlinge deren Wohnungsinhaber seien.

Demnach hätte es für die Razzia eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses bedurft. Genau den hatte die Polizei aber nicht. Das Gericht argumentierte nun, dass wenn die Durchsuchung nicht rechtmäßig gewesen sei, die Angeklagten sich auch nicht strafbar gemacht hätten. Es forderte laut Schwäbischer Zeitung die Staatsanwaltschaft zu weiteren Ermittlungen auf.

Nach Angaben von Rex Osa vom Verein Flüchtlinge für Flüchtlinge in Stuttgart waren mindestens zwei Männer an jenem Tag aus einem Fenster in der Unterkunft gesprungen, statt sich der Polizei zu stellen. „Alle hatten Panik, keiner wusste, wer da in ihre Räume kam und warum“, sagt Rex Osa. Die Männer wurden nach der Razzia in andere Heime in Baden-Würtemberg verteilt.

Polizei hält Vorgehen für rechtens

Die Polizei wies die Auffassung des Gerichts zurück. Nach ihrer Überzeugung sei die Razzia ohne Durchsuchungsbefehl rechtens gewesen. „Wir stützen unsere Maßnahme auf das Polizeigesetz“, sagte der Sprecher des zuständigen Präsidiums in Aalen, Robert Kreidler, der Schwäbischen Zeitung. Ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss sei nicht erforderlich gewesen. „Eigentümer der Lea ist das Regierungspräsidium Stuttgart, und von dort gab es Zustimmung zum Betreten und Durchsuchen“, so Kreidler. „Alles weitere muss die Justiz entscheiden, das müssen wir abwarten.“

Insgesamt haben nach diesem Tag nach Angaben von Osa rund 25 Flüchtlinge Strafbefehle erhalten. Vier von ihnen haben Widerspruch eingelegt, in einem Fall sei das Verfahren bereits am 24. Januar eingestellt worden. „Die anderen haben teils bezahlt, weil sie Angst hatten, dass sie ansonsten weitere Probleme bekommen.“

Laut Osa sind am 30. Januar weitere Flüchtlinge im Zusammenhang mit den Ereignissen des vergangenen Jahres in Untersuchungshaft genommen worden. Sie sollen an der Verhinderung der Abschiebung eines Togoers am 30. April 2018 aus der LEA in Ellwangen beteiligt gewesen sein. Diese hatte die Großrazzia vier Tage später ausgelöst.Es sei offensichtlich, dass die Polizeirazzia keine rechtliche Grundlage hatte, sagt Osa. Die Prozesse gegen die Flüchtlinge müssten eingestellt, die Inhaftierten freigelassen werden.

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