Straßennamen: Kolonialherren sollen wegtreten

Im Afrikanischen Viertel im Wedding erinnern Straßen an fragwürdige Personen der deutschen Kolonialgeschichte. Initiativen fordern die Umbenennung.

Eine Straßenumbenennung mag noch so politisch korrekt sein - bei Anwohnern ist sie meist unbeliebt.

Die Luft schmeckt staubig am Nachtigalplatz. Über die karge Betonlandschaft im Afrikanischen Viertel weht aufgeheizter Wind, vierstöckige Wohnblöcke umranden das Areal. An einer Lederleine wird ein kurz geschorener Pudel Gassi geführt. Seine Besitzerin hat sich über den Namen des Platzes noch nicht gewundert: "Muss mit dem Vogel zu tun haben", so die Vermutung.

Hat es nicht. Der Platz im Weddinger Norden ehrt die kolonialpolitischen Verdienste Gustav Nachtigals. 1884 stellte der Reichskommissar das heutige Togo und Kamerun unter deutsche Schutzherrschaft und begründete deren Kolonialstatus.

Nachtigalplatz: Gustav Nachtigal (1834-1885) wurde 1884 erster Reichskommissar für Westafrika. Er gilt als Mitbegründer des deutschen Kolonialismus. Anlässlich seines 25. Todestages wurde 1910 der Nachtigalplatz nach ihm benannt.

Petersallee: 1883 entwarf Carl Peters (1856-1918) Pläne für die Begründung eines deutschen Kolonialreichs und brach ein Jahr später zu Expeditionen nach Ostafrika auf. Mit dubiosen Verträgen erwarb er Anspruch auf bereiste Gebiete. 1939 benannten die Nazis ihm zu Ehren einen Teil der Londoner Straße in Petersallee um. Seit 1986 ist sie dem CDU-Politiker Hans Peters gewidmet.

Lüderitzstraße: Der Bremer Kaufmann Franz Adolf Eduard Lüderitz (1834-1886) gründete eine Handelsniederlassung in Britisch-Westafrika und kaufte im heutigen Namibia Land. Die zu Grunde liegenden Landrechtsverträge legte er in betrügerischer Absicht aus: Anstelle von englischen rechnete er mit deutschen Meilen und beanspruchte somit das Fünffache des verhandelten Gebiets. Die Lüderitzstraße trägt seit 1902 seinen Namen.

Die meisten Straßen im Afrikanischen Viertel sind eine Hommage an den deutschen Kolonialismus. Sie beruhen auf Plänen von Carl Hagenbeck, dem Initiator des Hamburger Tierschaugeländes und gefeiertem Völkerschauausrichter. Auch im Wedding wollte Hagenbeck dauerhaft Tiere aus deutschen Kolonien zeigen. Als der erste Weltkrieg das Projekt stoppte, hatten die umliegenden Straßen ihre Namen schon weg. Noch heute heißen sie Togo-, Kongo- oder Sansibarstraße.

Die geografischen Bezeichnungen stoßen zwar nicht überall auf Anerkennung, sind aber weitgehend akzeptiert. Anders sieht es bei personenbezogenen Straßennamen aus, die deutsche Kolonisten ehren. Im Afrikanischen Viertel sind das neben dem Nachtigalplatz die Lüderitzstraße und die Petersallee. Gegen eine Verherrlichung spricht sich etwa Assibi Wartenberg aus. Der von ihr gegründete Verein Deutsch Togoischer Freundeskreis veranstaltet an diesem Wochenende das zweite Afrikafest im Wedding - auch, um für eine Umbenennung zu werben. Afrikanische Musik und kulinarische Spezialitäten sollen 2.000 Besucher anlocken, als Auftakt steht ein Umzug auf dem Programm.

"Die Geschichte der Kolonialzeit hat mich schon immer interessiert", erzählt die zierliche Frau. Und auch, wenn sie die jetzigen Straßennamen rassistisch findet, sind ihre Wünsche bescheiden. "Es wäre schön, wenn die Politiker erst mal Interesse an unserem Wunsch zeigen würden", sagt sie. Mit ihrem Anliegen ist Wartenberg nicht allein. Inzwischen mobilisieren zahlreiche Gruppen gegen koloniale Namen. Manche sind bezirksübergreifend tätig, wie der Verein Berliner Entwicklungspolitischer Ratschlag, andere setzen sich für Einzelumbenennungen ein, wie die Werkstatt der Kulturen für die Neuköllner Wissmannstraße.

Dass solche Bemühungen durchaus Erfolge verbuchen können, zeigte die Umbenennung des Kreuzberger Gröbenufers in May-Ayim-Ufer, gewidmet einer antirassistischen Aktivistin. Im Mai stimmte das Bezirksparlament für die Umbenennung. Jetzt ist Otto Friedrich von der Groeben der erste Kolonist, der aus dem Berliner Stadtbild verschwinden wird.

Im Bezirk Mitte fehlt so ein klares Votum. Bisheriger Höhepunkt bei dem Versuch, die Kolonialgeschichte aus dem Straßenbild zu tilgen, war ein halbherziger Akt im Jahr 1986: Die Petersallee, dem Begründer von Deutsch-Ostafrika Carl Peters gewidmet, ehrt seitdem CDU-Politiker Hans Peters. So konnte der Straßenname beibehalten werden. Über den Straßenschildern verweisen kleine Tafeln auf den aktualisierten Namensgeber.

"Auf diese Weise setzt man sich nicht mit der historischen Bedeutung auseinander", kritisiert Ursula Trüper das Vorgehen. Die Herausgeberin des Magazins Afrikanisches Viertel warnt aber vor kontraproduktivem Übereifer. "Wenn das Thema für den Wahlkampf instrumentalisiert werden würde, wäre das Horror." Denn dann, so ihre Befürchtung, würden gegnerische Anwohnerinitiativen aus dem Boden schießen. "Aber ohne die Anwohner geht es nicht."

Tatsächlich sind Anwohner meist gegen eine Umbenennung. Kommt es dazu, müssen Personalausweis, Stempel und Briefköpfe geändert werden - das kostet Zeit, Aufwand und Geld. Wohl auch deswegen hält sich der Bezirk Mitte zurück. Statt neuer Namen beschloss das Bezirksparlament in der letzten Legislaturperiode, im Afrikanischen Viertel eine Gedenktafel mit Informationen zur Kolonialgeschichte aufzustellen. Dem Bezirksamt aber missfiel der Text. "Er hätte als Bagatellisierung des deutschen Kolonialismus missverstanden werden können", so Stephan von Dassel (Grüne), Bezirksstadtrat für Soziales. Jetzt soll er überarbeitet werden.

"Grundsätzlich sind kommentierende Schilder sinnvoll", sagt Armin Massing vom Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlag. Bei personenbezogenen Straßennamen allerdings sei diese Lösung unzureichend. "Die Namen erinnern an Personen, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben. In einem demokratischen Gemeinwesen haben sie keine Vorbildfunktion." An einer Umbenennung führe daher kein Weg vorbei, so Massing. Doch er weiß auch, dass Parlamentarier davor zurückschrecken. "Die haben Angst, Wähler zu verlieren."

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