Straßenradrennen bricht Zuschauerrekorde: Die Briten im Wiggingsfieber

So viel Sonnenbrand war selten in der Londoner U-Bahn: Noch nie haben mehr Menschen ein Radrennen am Straßenrand verfolgt. Gewonnen hat ein Untoter.

Radsportparadies London Bild: dpa

LONDON taz | Für diesen Tag war keine Sonnecreme stark genug. So viel Sonnenbrand war selten in der Londoner U-Bahn. Nach dem Straßenrennen der Radprofis am Sonntag, das mehr Menschen verfolgt haben, als je ein Radrennen zuvor, sind nicht wenige erschrocken, als sie nach der Entscheidung im gedämpften Licht des Londoner Untergrunds erkannten, was die Liebe zum Radsport ihrer Haut angetan hat.

Die Briten haben das Straßenradrennen, das im historischen Herzen der Stadt, gestartet und beendet wurde, zu dem Publikumsevent der Spiele gemacht. Stundenlang harrten sie an der Strecke aus – in der Stadt, auf dem Land, den ganzen Tag. In Deutschland mag der Radsport tot sein. Auf der Insel wird er geliebt. Dort liegt das Radsportparadies.

Gewonnen hat am Ende ein Untoter, direkt aufgestiegen aus der Hölle der sinistren Pedalritter. Der Olympiasieger kommt aus Kasachstan. Doch die Briten werden sich so schnell nicht aus ihrem Paradies vertreiben lassen, auch wenn ihr Favorit an diesem Tag, Weltmeister Mark Cavendish, am Ende keine Chance hatte. Sie glauben einfach an das Gute im Radsport.

Der Sieg von Alexander Winokurow, der sieben Kilometer vor dem Ziel einem Angriff des späteren Silbermadaillengewinners Rigoberto Uran Uran aus Kolumbien als einziger hat folgen können, war nicht mehr als eine kleine Ohrfeige für die britischen Fans. Ihr Sonnenbrand wird sie länger beschäftigen als die Wiederauferstehung eines verurteilten Sportbetrügers bei den Londoner Spielen.

Wiggingsfieber kurbelt Fahrradverkäufe an

Den Briten gehört weiterhin der Sieg bei der Tour de France, für den sich Bradley Wiggins am Ende des olympischen Straßenrennens, als er abgeschlagen und alleine über die Ziellinie gefahren ist, noch einmal hat feiern lassen. Er war es, der mit seinem Triumph in Frankreich die Olympiastimmung im Land hochgehalten hat, dessen Leistungen die Debatten um Probleme im Londoner Nahverkehr und die militärische Absicherung der Spiele mit seiner Fahrt durch Frankreich überlagerten.

Er wird als Vorbild für eine ganze Nation beinahe überall vorgeführt an diesen Tagen. Sogar als Rettungsengel für die kränkelnde Wirtschaft gilt er. Weil Wiggins so gut gefahren ist, ist der Umsatz im Fahrradhandel in der letzten Woche der Tour de France um fünf Prozent gestiegen, wie Zahlen der Kreditkartenfirma Visa belegen. Fünf Prozent Wachstum! Ein wahre Traumzahl im Krisenland Britannien.

Kein Wunder, dass so einer dazu ausersehen wird, die olympische Glocke zum Auftakt der Spiele im Olympiastadion anzuschlagen. Die Engel, die gegen Ende der Eröffnungsfeier durch das Stadion flogen, sie saßen auf Fahrrädern. Auf einem solchen sitzt auch der Fahnenträger der britischen Mannschaft für gewöhnlich, der vierfache Olympiasieger Chris Hoy, der längst von der Königin zum Ritter geschlagen worden ist.

Ein solcher soll auch Wiggins werden. Eine Initiative setzt sich bereits öffentlich für den Ritterschlag ein. Wo in Deutschland längst weggehört wird, da schenkt man auf der Insel einem wie Wiggins noch Glauben. Dopen würde er nie, hat er gesagt, das ginge gar nicht. Wie könne er sich da noch sehen lassen in seinem Dörfchen in Lancashire.

Doping? Vorbei!

„Das Doping-Kapitel liegt hinter mir“, sagte Winokurow nach seinem Olympiasieg. Bei der Tour de France 2007 war er mit fremden Blut in den Adern unterwegs. Dafür ist er zwei Jahre gesperrt worden. Er ist immer für Teams gefahren, deren Fahrern eine besondere medizinische Behandlung zuteil wurde: Bei Liberty Seguros, wo Eufemiano Fuentes seine Eigenbluttherapien früh etabliert hat, zuvor beim mittlerweile berüchtigten Team T-Mobile und schließlich beim nicht weniger umstrittenen und einmal sogar von der Tour ausgeschlossenen kasachischen Staatsteam Astana.

Am Samstag hat er gesagt: „Es ist jetzt nicht die Zeit, um über Doping zu sprechen.“ Am Mittwoch will der 38-Jährige seine schmutzige Karriere, in der er sich unter anderem den Sieg beim Frühjahrsklassiker Lüttich-Bastogne-Lüttich gekauft haben soll, endlich beenden. Das olympische Zeitfahren soll das letzte Rennen seiner Karriere sein.

Darauf freuen sich die Briten ganz besonders und werden da ganz gewiss nicht von Doping reden. Die Goldmedaille in diesem Wettbewerb haben sie schon lange fest eingeplant. Bradley Wiggins soll sie gewinnen. Auf Gelb soll Gold folgen. Und niemand wird sich wundern, wenn danach der Umsatz in den Fahrradläden wieder ansteigt. Das Wetter am Mittwoch soll übrigens nicht ganz so gut werden, wie es am Samstag war. Gut für die Haut der britischen Radsportnarren.

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