Strategie des „Islamischen Staates“: Die Koexistenz als Gegner

Mit ihren Anschlägen wollen die Dschihadisten europäische Gesellschaften spalten. Davon erhoffen sie sich eine Ausgrenzung der Muslime.

Ein Künstler tritt vor einer Menschenmenge auf

Das mögen Dschihadisten gar nicht: der „Karneval der Migranten“ am 20. März in Berlin Foto: reuters

KAIRO taz | Mit Anschlägen wie am Dienstag in Brüssel und zuvor in Paris verfolgen die Dschihadisten des „Islamischen Staates“ (IS) vor allem ein ideologisches Ziel. Sie wollen in Europa eine Welt in Schwarz und Weiß schaffen, in der die, wie sie es nennen, „Grauzone“ eliminiert wird. Gemeint ist die Koexistenz zwischen Muslimen und Nichtmuslimen. Ziel des IS ist die Polarisierung der Gesellschaften europäischer Staaten, in der Hoffnung, dann die Muslime mit ihrer Hassbotschaft mobilisieren zu können.

Ausführlich wurde diese Idee der „Eliminierung der Grauzone“ unter dem gleichen Titel im IS-Onlinemagazin Dabiq nach den Anschlägen gegen die Satirezeitung Charlie Hebdo im Februar 2015 diskutiert, also lange vor der Anschlagsserie in Paris im vergangenen November und der jetzigen in Brüssel.

In dem englischsprachigen Artikel wird die Welt in zwei Lager eingeteilt, das des Islam mit seinem Kalifat und das Lager der Ungläubigen und der „Kreuzfahrerstaaten“. Zitiert wird auch der ehemalige Al-Qaida-Chef Osama bin Laden, der einmal sagte, dass George W. Bush recht hatte mit seiner Aussage, „Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns und mit den Terroristen“. Entweder, so bin Ladens Retourkutsche, „seid ihr mit dem Islam oder mit den Kreuzfahrern“.

Muslime, die nicht in dieses Bild passen und die „der Grauzone angehören“, sollen laut diesem Artikel „ausgelöscht“ werden. Erstmals sei die Grauzone von den Anschlägen des 11. September 2001 ins Wanken gebracht worden. Später sei die angestrebte Spaltung europäischer Gesellschaften durch den Arabischen Frühling noch einmal in Gefahr geraten. Ein Arabischer Frühling, der von Apostaten getragen worden sei, also von Menschen, die ihrer Religion abtrünnig geworden seien, aber etwa auch von Schiiten, wie bei den Protesten in Bahrain.

Drohung an Muslime

Doch spätestens mit der Entstehung des IS und des Kalifats, argumentiert Dabiq, gäbe es für Muslime keine Ausrede mehr, nicht am Krieg gegen die Ungläubigen teilzunehmen. Der Aufbau des Kalifats habe jedem individuellen Muslim das Gefühl gegeben, zu etwas Größerem zu gehören.

Ergo: Muslime, die sich in dieser Polarisierung neutral verhalten oder ihre Unabhängigkeit vor der Dschihad-Ideologie bewahren, werden als „Sünder“ gebrandmarkt. Wer sich als Muslim nicht im Sinne des IS zuordnen lässt, müsse als Abtrünniger von seiner Religion behandelt werden.

Für den IS gibt es keine Ausrede mehr, nicht am Kampf teilzunehmen

Anschläge wie in Brüssel oder Paris haben also das Ziel, Europa zwischen Muslimen und Nichtmuslimen zu spalten und die Muslime zu einer Entscheidung zu zwingen, sich der Ideologie des IS anzuschließen. Dabei hoffen die Dschihadisten auf eine Reaktion, mit der Muslime ausgrenzt werden, in der Hoffnung, dass sie sich dann einfacher rekrutieren lassen.

Lagerspaltung: Gläubige und Ungläubige

Der Führer des „Islamischen Staates“, Abu Bakr al-Bagdadi, hatte im Mai 2015 Mai in einer Audiobotschaft die Muslime weltweit aufgefordert, sich zu bewaffnen. „Die Kreuzfahrer behaupten, sie wären nicht gegen die muslimische Öffentlichkeit als solche, sondern gehen nur gegen diejenigen vor, die bewaffnet sind“, erklärte al-Bagdadi.

Aber, fügte er an die Muslime gerichtet, hinzu: „Ihr werdet bald sehen, dass sie gegen alle Muslime vorgehen. Und wenn die Kreuzfahrer in den Ländern des Kreuzes die Muslime überwachen, festnehmen und verhören, werden sie bald beginnen, sie zu deportieren, sie werden tot sein, gefangenen oder ohne Heimat. Sie werden niemanden in Ruhe lassen, außer jene Muslime, die von ihrer Religion abtrünnig geworden sind und die ihrer folgen.“

Der Artikel im IS-Magazin hat eine klare Schlussfolgerung. „Irgendwann wird die Grauzone ausgestorben sein, dann wird es keinen Platz mehr für die Grautöne und ihre Bewegungen, sondern nur noch das Lager der Gläubigen gegen das der Ungläubigen geben.“

Pegida als bester Freund

Manche der Aussagen des IS finden bei rechtspopulistischen europäischen Bewegungen ihre Entsprechung, die Europa auch gerne in zwei Lager aufteilen und die die Muslime im Namen der Rettung des Abendlandes ausgrenzen wollen. In diesem Sinne sind Pediga und die Ihren wahrscheinlich der beste Freund des IS in Europa. Und ein Online-Manifest des norwegischen Attentäters und Islamhassers Anders Breivig liest sich fast wie eine IS-Streitschrift von der andern Front im „Kampf der Zivilisationen“.

Nach jeder Anschlagserie wird diskutiert, wie sich Europa schützen und verteidigen kann. Auch jetzt wird über neue Sicherheitsmaßnahmen gesprochen, die notwendig seien, die letztlich aber keine ultimative Sicherheit schaffen werden. Gerade diese Sicherheitsmaßnahmen bedürfen des Fingerspitzengefühls, wenn sie nicht zu einer Radikalisierung einer weiteren Generation junger Muslime in Europa führen sollen.

Wichtigste politische Aufgabe aber ist, nicht in die Schwarz-Weiß-Falle zu tappen, die der IS ausgelegt hat. Das beste Gegenmittel gegen dieses ideologische Gift bleibt die vom IS so verhasste Grauzone gelebter Koexistenz.

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