Streit bei Konservativen: Seltenes Chaos regiert Japans Politik
Sanae Takaichi schien gesetzt als Japans erste Premierministerin. Nun kündigt der Juniorpartner die Koalition mit der langjährig regierenden LDP auf.

Damit kann die 64-jährige Konservative nur Regierungschefin werden, wenn die Opposition keinen gemeinsamen Gegenkandidaten aufstellt. Der Politologe Hiroshi Shiratori von der Hosei-Universität sprach gegenüber der japanischen Nachrichtenagentur Kyodo von einer „völlig neuen und ungewissen Situation für Japans Demokratie“.
Das Ende der Allianz zwischen LDP und Komeito, die Takaichi als „die Grundlage der Grundlagen“ bezeichnete, stellt die Machtverhältnisse im Parlament auf den Kopf, weil keine einzelne Partei und keine bisherige Allianz an eine Mehrheit heranreicht. Die LDP bleibt zwar die größte Partei in beiden Kammern, aber ohne die Stimmen der Komeito nützt ihr das wenig. Der frühere LDP-Generalsekretär Nobuteru Ishihara schätzte die Wahlchancen für Takaichi trotzdem auf 80 Prozent, das sei jedoch „eine optimistische Prognose.
Der Chef der kleinen Demokratischen Volkspartei (DPFP), Yuichiro Tamaki, erklärte als erster Oppositionspolitiker seine Bereitschaft zu einer Gegenkandidatur. Jedoch müsste sich die größte Oppositionsgruppe, die Konstitutionell-Demokratische Partei (CDP), dem Programm der DPFP annähern. Ein Streitpunkt ist der Bau neuer Atomkraftwerke.
Hitoshi Komiya, Aoyama-Gakuin-Universität
Möglicher Gegenkandidat der Opposition
„Es ist eine große Chance für das Oppositionslager, wenn die LDP so verwundbar erscheint“, sagte Hitoshi Komiya von der Aoyama-Gakuin-Universität gegenüber Kyodo. „Die LDP muss Kompromisse eingehen oder eine Übergangsregierung bilden, um die Stabilität wiederherzustellen“, so Komiya.
CDP-Chef Yoshiko Noda signalisierte am Sonntag die Bereitschaft zu Zugeständnissen. Er gehe „mit einer gewissen Flexibilität in die Gespräche“ mit der DPFP. Noda und Tamaki gehörten in der Vergangenheit derselben, inzwischen aufgelösten Partei an. Auch Takaichi wollte Tamaki als Partner gewinnen. Aber inzwischen sprach er sich gegen eine Koalition mit der LDP aus.
Komeito-Chef Tetsuo Saito begründete den Koalitionsbruch unmittelbar nach einem Treffen mit Takaichi damit, dass die LDP die Affären um „Politik und Geld“ nicht ernsthaft aufarbeite und die Regeln für die Parteienfinanzierung nicht verschärfen wollte. Takaichi will einen Schlussstrich unter den Skandal um schwarze Abgeordnetenkassen ziehen. Nach ihrer Wahl zur LDP-Chefin berief sie Koichi Hagiuda, der wegen des Skandals ein Jahr von allen LDP-Posten suspendiert war, als kommissarischen Generalsekretär.
Als „saubere“ Partei könne man solche „schmutzigen“ LDP-Politiker aber nicht unterstützen, hieß es aus der Komeito. Auch die rechtskonservativen Einstellungen von Takaichi zu Verteidigungs- und Frauenfragen spielten eine Rolle bei dem Ausstiegsbeschluss. Die Komeito grummelte schon länger über die Machtallüren der LDP. Der führende LDP-Politiker Taro Aso hatte die Komeito öffentlich mit einem „Krebsgeschwür“ verglichen.
Auf der Plattform X machte zwar der Hashtag „vorgezogene Neuwahlen“ die Runde. Aber in diesem Fall droht die LDP nach einer Schätzung der Zeitung Nikkei jeden fünften Abgeordneten zu verlieren. Die buddhistische Laienorganisation Soka Gakkai, die hinter der Komei-Partei steht, forderte nämlich bisher ihre Mitglieder in vielen städtischen Direktwahlkreisen auf, für den LDP-Kandidaten zu stimmen. Dort stellte die Komeito dann keinen eigenen Kandidaten auf. Diese Verabredung mit der LDP für Wahlkämpfe ist nun ebenfalls beendet.
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