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Streit um Chiphersteller NexperiaAutobauer schlagen Alarm

Der niederländische Chiphersteller Nexperia steckt mitten im Handelskonflikt. Die Regierung in Den Haag hat ihn nun unter ihre Kontrolle gebracht.

Mitarbeiter der Nexperia GmbH gehen durch die sogenannten Reinräume des Halbleiterproduzenten Foto: David Hammersen/dpa

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Tobias Müller aus Amsterdam

taz | Wegen der Unruhen beim niederländischen Chiphersteller Nexperia schlägt die Autoindustrie Alarm. Am Donnerstagabend warnte der US-Lobbyverband Alliance for Automotive Innovation, der etwa Ford, General Motors, Toyota und Volkswagen vertritt, in US-Werken könnten die Chips schon im kommenden Monat knapp werden. Nexperia habe Autobauer und Zulieferer am 10. Oktober darüber informiert, dass es seine Lieferungen nicht mehr garantieren könne, heißt es beim europäischen Autoverband ACEA.

Das Chip-Unternehmen steckt mitten im internationalen Handelsstreit. Es hat seinen Hauptsitz im ostniederländischen Nijmegen und betreibt auch Werke in Großbritannien und Deutschland. Nexperia gehört aber zu dem teils staatlichen chinesischen Konzern Wingtech. Sowohl von US-amerikanischer, als auch von chinesischer Seite ist der Hersteller von Ausfuhrbeschränkungen betroffen.

Die niederländische Regierung griff zu einem außergewöhnlichen Mittel, um der Sache Herr zu werden. Ende September stellte Wirtschaftsminister Vincent Karremans Nexperia für bis zu ein Jahr unter Aufsicht seines Ministeriums, wie er diese Woche das Parlament informierte. Dabei gilt seine liberal-rechte Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD) sonst nicht gerade als Freundin staatlicher Eingriffe in den ökonomischen Sektor.

Ohne Zustimmung von Karremans' Haus dürfen nun keine Teile des Unternehmens ins Ausland verlagert oder Führungspositionen neu besetzt werden. Auch wichtige Entscheidungen kann Nexperia vorerst nicht an Den Haag vorbei treffen. Wingtech-Gründer Zhang Xuezheng wurde von einem Amsterdamer Gericht wegen schlechter Geschäftsführung als Nexperia-Chef suspendiert. Übergangsweise übernimmt der bisherige Finanzvorstand Stefan Tilger die Führung.

Produktion wird laut Niederlanden nicht behindert

Durch die Schritte der niederländischen Regierung werde der reguläre Produktionsprozess nicht behindert, heißt es in einem Schreiben von Karremans an das Parlament. Das Ministerium wolle mit seinem Vorgehen den „Erhalt einer für Europa zentralen Wertschöpfungskette“ sichern. Juristische Grundlage ist das Gesetz über die Verfügbarkeit von Waren, das 1952 für Not-Situationen eingeführt, aber noch nie angewendet wurde.

China reagierte mit einem Export-Verbot für Nexperia, was in China gefertigte Chips betrifft. Die staatliche Zeitung Global Times, die das Vorgehen Den Haags „außergewöhnlich skandalös“ nannte, riet den Niederlanden, „nicht zu unterschätzen, welche Gegenmaßnahmen China treffen kann“. Der frühere Nexperia-Manager Frans Scheper äußerte am Donnerstag gegenüber dem Wirtschafts-Sender RTL Z die Befürchtung, die Verlagerung der Chip-Produktion nach China könne nun sogar beschleunigt werden.

Chips für Autos, Kühlschränke – und Waffen

Nexperia stellt vor allem Standard-Produkte her, die in alltäglichen Gebrauchsgegenständen wie Autos, Kühlschränken, Lampen und Mobil-Telefonen enthalten sind. Daneben werden die Chips jedoch auch im Rüstungsbereich verwendet.

Die besondere Brisanz des Falls Nexperia erschließt sich auch vor dem Hintergrund, dass Mikro-Chips aus niederländischer Produktion in großen Mengen in Russland landen und dort in Waffen eingesetzt werden. Bereits Anfang 2023 berichteten niederländische Medien, die Sanktionen würden vielfach unterlaufen.

Wladyslaw Wlasiuk, Sanktionsberater des ukrainischen Präsidenten Selenski, erklärte 2024 bei einem Besuch der ukrainischen Botschaft in Den Haag: „Jede russische Rakete enthält Teile, die im Westen hergestellt sind. Wenn Russland diese nicht mehr empfängt, kann die Rakete auch nicht mehr fliegen und in der Ukraine Menschen töten.“

Das TV-Magazin Nieuwsuur veröffentlichte im vergangenen Jahr US-amerikanische Handelsdaten, denen zufolge Russland die Chips über Länder wie China, Türkei oder Thailand importiere. Wasiuk forderte damals die Fabrikanten selbst auf, „mehr zu tun, um zu verhindern, dass ihre Produkte Russland erreichen“.

Die niederländische Tageszeitung Volkskrant sieht durch das Vorgehen der Regierung gegen Nexperia den „Chip-Krieg zwischen den Niederlanden und geopolitischen Widersachern in einer neuen Phase“.

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