Streit um Stadionsicherheit: Die perfekte Ergänzung

Bei Union Berlin lassen sich Anhänger und Verein in der Sicherheitsdebatte nicht trennen. Der Zweitligist wird zur Avantgarde des Fanwiderstands.

Alte Försterei: Die Anhänger von Union Berlin mögen Querdenker. Bild: dpa

Der 1. FC Union Berlin ist unversehens zu einer Art Keimzelle des bundesweiten Fanwiderstands in Deutschland geworden. Dass nun die Anhänger des Zweitligisten ihre Leidensgenossen aus Deutschland zum Fangipfel nach Berlin am 1. November eingeladen haben, um die Kräfte gegen den Deutschen Fußball-Bund und die Deutsche Fußball-Liga zu bündeln, wirkt mittlerweile wie eine selbstverständliche Konsequenz aus der Entwicklung der letzten Monate.

Die Debatte um die von Seiten der Politik und Fußballfunktionären behauptete Eskalation der Gewalt im deutschen Fußball, der konsequenter begegnet werden müsse, hat Union Berlin zahlreiche Bewunderer beschert. Mitte Oktober dürfte der Sympathiezuwachs noch einmal einen Schub erfahren haben.

Der kleine Zweitligist wagte sich nicht nur als erster Klub aus der Deckung, indem die aktive Fanszene von Union im einträchtigen Verbund mit dem Präsidium Stellung nahm zu den verschärften sicherheitspolitischen Planspielen der Fußballverbände.

Die Kommission Sicherheit der Deutschen Fußball-Liga hat einen Maßnahmenkatalog zusammengestellt, über den auf der Vollversammlung im Dezember abgestimmt werden soll. Unter anderem ist die Einführung von Standards in der Sicherheitsausrüstung, bei der Schulung der Ordner und der Videoüberwachung vorgesehen. Zudem werden Nackt-Körperkontrollen in Erwägung gezogen. Die Klubs werden angehalten, mit ihren „Fans“ einen freiwilligen Kodex mit verbindlichem Inhalt zu erarbeiten. Eine Ausweitung der Stadionverbotsdauer von drei auf zehn Jahre soll geprüft und der Einsatz der Sportgerichtsbarkeit ausgeweitet werden. Verstöße gegen die Auflagen will die DFL künftig im Rahmen des Lizenzierungsverfahren sanktionieren.

Das neunseitige Schreiben, welches das Konzeptpapier der DFL und des DFB „Sicheres Stadionerlebnis“ gründlich auseinandernimmt, gilt bundesweit in der Fanszene als mustergültiges Konzentrat der gemeinsamen Positionen. „Da steht eigentlich alles drin“, sagt Philipp Markhardt von der vereinsübergreifenden Initiative „Pro Fans“. Inzwischen sind dem Beispiel von Union Berlin fast ein Dutzend Vereine auch der ersten und zweiten Liga gefolgt und haben das DFL/DFB-Konzept abgelehnt.

Feigenblatt der Kommerzialisierung

Der Ton der elaborierten Union-Stellungnahme lässt an Deutlichkeit gegenüber der DFL und dem DFB nichts zu wünschen übrig. Von „verfehlter Symbolpolitik“, „der Schutzbehauptung des vermeintlich angestrebten Dialogs“, von rechtsstaatlich bedenklicher „privater Strafjustiz“ ist die Rede. Dem Ligaverband wird vorgehalten, mit seiner Machtpolitik Probleme nicht zu entschärfen, sondern auf eine „beunruhigende Eskalation“ zuzusteuern.

Letztlich wird der DFL gar Doppelbödigkeit vorgeworfen. Man könne sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Art der Diskussion als Feigenblatt genutzt werde, um „die Kommerzialisierung des ’Premiumprodukts Bundesliga-Fußball‘ voranzutreiben.

Fanpolitische Radikalrhetorik, die der Vereinsvorstand von Union Berlin mit Wohlwollen durchwinkte. Jacob Rösler, der als Vorsitzender der Fan- und Mitgliederabteilung des Vereins (Fuma) am Schreiben mitwirkte, hat das selbst ein wenig verwundert: „Ich hätte nicht erwartet, dass der Vorstand sich in diesem Maße unserer Fansicht anschließt.“ Schließlich habe man einige Dinge „relativ aggressiv und geradeheraus“ formuliert.

Ein von der Fuma zusammengestellter siebenköpfiger Schreibzirkel habe das Papier innerhalb einer Woche verfasst. „Der Vorstand hat sich das Papier am Ende angeschaut und ergänzt“, berichtet Rösler. „Aber das war dann im Ergebnis nicht einmal ein Unterschied von einem Prozent.

Ungewöhnliche Symbiose

Ein verzückter Fan von Hannover 96 postete im Internet: „Als Weihnachtsgeschenk wünsche ich mir, dass das Positionspapier unserer Fans mit dem gleichen Rückhalt des Vereins an die DFL herangetragen wird.“ Die Fanklubs von 96 dürften ähnliches gedacht haben, als sie ihrem gemeinsam verfassten Ablehnungsschreiben an die Vereinsführung einfach das Union-Schreiben beilegten. „Viele schauen mit Neid auf Union“, weiß Robert Pohl von der vereinsübergreifenden Fanorganisation „Unsere Kurve“

Es ist eine ungewöhnliche Symbiose, die sich bei Union Berlin zwischen Verein und Fans gebildet hat. Der kostengünstige Stadionumbau durch die eigenen Fans 2008 ist nur ein Ausdruck dieser Verbundenheit gewesen. Strukturell Verankerung hat diese bereits 2004 gefunden.

Nach dem Abstieg aus der zweiten Liga, welche die Fans auch der damaligen Vereinsführung anlasteten, wurde mehr Mitbestimmung eingefordert. Die Fuma wurde als Abteilung des Vereins gegründet. Er sei gerade dabei, zu recherchieren, berichtet Jacob Rösler, aber eine solche institutionelle Einbeziehung der Fans gäbe es seines Wissens ansonsten in Deutschland nur beim Hamburger SV.

Diese enge Verzahnung trug wohl auch dazu bei, dass Union-Kapitän Torsten Mattuschka zwar auf Geheiß der DFL im September wie alle anderen Spielführer der Liga sich offiziell gegen Rassismus, Diskriminierung und Gewalt aussprach, als einziger aber die Passage mit der Ächtung von Böller, Rauchbomben und Bengalos wegließ, weil sich der Klub und seine Fans für ein kontrolliertes Abbrennen von Pyrotechnik einsetzen.

Druckresistent beim Sicherheitsgipfel

Auch im Sommer erwies sich der Klub im Interesse seiner Anhänger als einziger Vertreter der zum Sicherheitsgipfel eingeladenen 54 deutschen Profiklubs als druckresistent. Die Vereinsvertreter sollten bei dem Zusammentreffen, bei dem auch DFB-Präsident Wolfgang Niersbach, DFL-Chef Reinhard Rauball und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) anwesend waren, einen Verhaltenskodex unterzeichnen, den sie erst am Vortag zugesandt bekamen.

Union boykottierte die Veranstaltung mit der Begründung, ein Kodex, der sich auf das Verhalten der Fans auswirken solle, könne nur in Absprache mit diesen wirksam umgesetzt werden. Die Zeit für eine ausreichende Abstimmung habe es aber nicht gegeben. Ein Schulterschluss mit den Fans.

DFB-Präsident Niersbach lobt dagegen hernach den Schulterschluss der übrigen 53 Vereine, als Zeichen dafür, dass alle mehr für Sicherheit eintreten wollen. Wie die taz aus glaubwürdiger Quelle erfuhr, bekundete ein deutscher Vereinsvertreter nach dem Sicherheitsgipfel im Juli: „Wir waren alle überrumpelt. Wir haben alle gewartet, dass jemand anderes auftritt und protestiert.“

Spannungsfeld zwischen Verband und Fans

Markhardt, den Sprecher von „Pro Fans“, wundert das nicht: „Die meisten Vereine haben nicht den Arsch in der Hose, nach vorne zu treten und zu sagen: ’Nein so geht das nicht.‘ Die haben alle Angst vor der DFL.“ Die Klubs stehen derzeit fraglos in einem Spannungsfeld zwischen den Forderungen des Verbandes und denen ihrer treuesten Fans.

Offenkundig wird das am Beispiel von St. Pauli. Bislang galt der Zweitligist als Prototyp des rebellischen Vereins. Am DFL/DFB-Konzept wirkte aber deren Vizepräsident Gernot Stenger mit. Dieser ist nun aus der Sicherheitskommision zurückgetreten, weil – wie der Verein recht distanziert mitteilte – „im Ergebnis die große Mehrheit das Diskussionspapier ablehnt“.

Mit solch einem Statement wäre ich nicht glücklich, sagt Jacob Rösler. So eindeutig wie Union Berlin hat sich indes noch kein Klub auf die Seite seiner Fans geschlagen. Gegen Ende des Gesprächs hat Fanaktivist Rösler noch eine Bitte. Seine Zitate solle man doch bitte dem Pressesprecher von Union zur Autorisierung schicken.

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