Streit um "Stuttgart 21": Grünes Gutachten, Schwarzmalerei

Verfassungsrechtler Meyer hält die Finanzierung des Großprojekts für verfassungswidrig. Minister Ramsauer wird der Falschaussage bezichtigt. Und Merkel meint: Ohne Bahnhof kein Vorankommen.

Auf Tuchfühlung mit einem "Stuttgart 21"-Gegner: CDU-Fraktionschef im baden-württembergischen Landtag, Peter Hauk (rechts), am 9.11. im Stuttgarter Schlossgarten. Bild: dpa

STUTTGART/KARLSRUHE dpa/dpad/afp/rtr | Die Finanzierung des umstrittenen Bahnprojekts Stuttgart 21 durch das Land Baden-Württemberg ist nach einem Gutachten im Auftrag der Grünen verfassungswidrig. Sowohl der milliardenteure Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs wie auch die ICE-Trasse nach Ulm seien ausschließlich Bundesaufgaben. Baden-Württemberg habe nicht das Recht, das Projekt mitzufinanzieren, betonte der Verfassungsrechtler Professor Hans Meyer von der Berliner Humboldt-Universität am Montag in Stuttgart. Die Grünen im Landtag sehen sich in ihrer langjährigen Auffassung bestätigt.

Nach dem Grundgesetz sei die Co-Finanzierung durch Land und Stadt vor allem deshalb verboten, damit sich reiche Länder keine Bundesinvestitionen kaufen könnten, sagte Meyer. Land, Stadt und Region finanzieren das 4,1 Milliarden Euro teure Vorhaben Stuttgart 21 etwa zu je einem Drittel. Das Land steuert zu den 2,9 Milliarden Euro für die ICE-Trasse nach Ulm 950 Millionen Euro bei. Da die Verträge nichtig seien, könne etwa das Land sein Geld zurückfordern oder gar nicht erst weiter zahlen, sagte Meyer.

Nach den Worten von Grünen-Fraktionschef Winfried Kretschmann zeigt das Gutachten aus Berlin einmal mehr, wie unseriös der Bahnprojekt geplant sei. Sollten die Grünen nach der Landtagswahl im März 2011 das Sagen haben, werde man das Geld nicht zahlen beziehungsweise zurückfordern.

Im Zusammenhang mit dem umstrittenen Bahnprojekt werden Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) offenbar vom Bundesrechnungshof (BRH) Falschaussagen vorgeworfen. Dies berichtet die Stuttgarter Zeitung und zitiert dabei aus einem Brief von BRH-Vizepräsident Norbert Hauser an den Haushalts- und Verkehrsausschuss des Bundestages vom 8. November. Darin bestreitet Hauser, dass der Rechnungshof sein Einvernehmen zu den Finanzierungsverträgen für "Stuttgart 21" und die Neubaustrecke Wendlingen/Ulm erklärt hatte. Dies hatte der Bundesverkehrsminister in einem Bericht vom 28. September an den Bundestag zu der Kostensteigerung für das Gesamtprojekt "Stuttgart 21" behauptet.

Die Zeitung zitiert Hauser mit den Worten, der BRH habe nie sein Einvernehmen zur Unterzeichnung der Finanzierungsvereinbarungen beider Vorhaben erklärt. Vielmehr sehe Hauser die Kritik der Rechnungsprüfer an den Projekten durch die Kostensteigerung "grundsätzlich bestätigt".

Laut den neuen Berechnungen der Deutschen Bahn von Ende Juli gibt es bei der geplanten Neubaustrecke eine Kostensteigerung von 865 Millionen Euro. Damit steigen die Gesamtkosten der Neubaustrecke auf rund 2,89 Milliarden Euro. Dadurch kostet das Gesamtprojekt "Stuttgart 21" rund sieben Milliarden Euro.

Merkel: Juchtenkäfer darf nicht instrumentalisiert werden

Unterdessen hat Bundeskanzlerin Angela Merkel wieder einmal vor Nachteilen für Deutschland durch die Verhinderung von Großprojekten gewarnt. Wenn durch das Bahnprojekt "Stuttgart 21" bis zu 17.000 neue Arbeitsplätze entstehen, dann stärke das Baden-Württemberg und Deutschland, sagte Merkel am Montag auf dem CDU-Bundesparteitag in Karlsruhe. Das Projekt sei in deutschem Interesse. Deutschland müsse mehr und nicht weniger für eine moderne Infrastruktur tun.

Es könne nicht sein, das Juchtenkäfer und Kammmolche herhalten müssen, um Großprojekte zu verhindern, sagte Merkel. Man dürfe nicht die Risiken in den Vordergrund stellen, "so kommen wir nicht voran". Es sei auch nicht richtig, demokratisch legitimierte Entscheidungen plötzlich wieder in Frage zu stellen. "Das lassen wir nicht zu".

Sie sei für Bürgerbeteiligung und Transparenz, sagte Merkel weiter. Sie dankte mit Blick auf "Stuttgart 21" dem Schlichter Heiner Geißler, der ebenfalls am Parteitag teilnahm. Das schaffe Vertrauen und mache Projekte nachvollziehbar. Auf eine demokratische Entscheidung müsse aber Verlass sein. Für eine Arbeitsteilung nach dem Motto, erst entschieden Politiker und Parlamente, dann kämen Demonstrationen und daraufhin werde ein Projekt eingestampft, sei sie nicht zu haben.

Zuvor hatte Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus "Stuttgat 21" auf dem Parteitag in Karlsruhe verteidigt. "Stuttgart 21" sei eine "Jahrhundertchance" für Baden-Württemberg und den Schienenverkehr insgesamt, sagte Mappus. "Man kann nicht in China den Transrapid und den ICE verkaufen wollen, wenn man in Baden-Württemberg mit der Bimmelbahn durch die Gegend fährt."

Erneut übte er scharfe Kritik an den Grünen. "Deutschland darf nicht zur Dagegen-Republik werden", sagte Mappus, der vor einer Landtagswahl im kommenden März steht. Er wandte sich gegen das "Modell der Grünen-Stimmungsdemokraten", die zurzeit jeden Protest in Deutschland aufsaugten.

Ungeachtet der Worte von Merkel forderten vor dem Tagungsgebäude des CDU-Parteitags Demonstranten einen Volksentscheid über "Stuttgart 21". Mit dem Projekt versenkten Mappus und Merkel "Steuergelder in einem sinnlosen Milliardengrab", erklärte das Kampagnennetzwerk Campact, das mit zu der Kundgebung aufgerufen hatte. Das Geld werde dringender für den Ausbau des Nahverkehrs und die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene gebraucht, kritisierte Campact-Geschäftsführer Christoph Bautz.

Bautz forderte, die CDU müsse "endlich einen Kurswechsel einleiten und einen Volksentscheid über das hoch umstrittene Projekt ermöglichen." Er verwies in diesem Zusammenhang auf eine repräsentative Emnid-Umfrage vom 7. Oktober, wonach sich bundesweit mehr als 50 Prozent der CDU-Wähler für einen Baustopp und einen Volksentscheid ausgesprochen hätten.

Das umstrittene Projekt "Stuttgart 21" sieht vor, den bisherigen Stuttgarter Kopfbahnhof als Durchgangsbahnhof in den Untergrund zu verlegen. Die Kritiker warnen vor hohen Kosten, negativen ökologischen Folgen und Sicherheitsgefahren. Derzeit laufen Vermittlungsgespräche unter Leitung des Schlichters Heiner Geißler.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.