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Streit um VerfassungsgerichtsbesetzungKlingbeil fordert von Union Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf

Die Kandidatur von Brosius-Gersdorf für einen Richterposten am Bundesverfassungsgericht entzweit weiter die Regierung. CSUler empfehlen ihren Rückzug.

Noch hält SPD-Chef Lars Klingbeil an der von der SPD nominierten Juristin Brosius-Gersdorf fest Foto: Kay Nietfeld/dpa

Berlin rtr/dpa/taz | Der Eklat um die missglückte Wahl der Ver­fas­sungs­rich­te­r:in­nen im Bundestag hallt in der schwarz-roten Koalition weiter nach. SPD-Chef und Vizekanzler Lars Klingbeil versichert, an der Kandidatur von Frauke Brosius-Gersdorf für das Bundesverfassungsgericht festzuhalten, und fordert eine Wiederholung der Richterwahl. Die Bedenken seitens der Union gegen die Juristin wegen angeblicher Plagiatsvorwürfe seien aus seiner Sicht ausgeräumt: „Deshalb können wir die Wahl wieder auf die Tagesordnung des Bundestags setzen“, sagte Klingbeil der Bild am Sonntag.

Nach einer rechten Hetzkampagne war die für den 11. Juli angesetzte Ver­fas­sungs­rich­te­r:in­nen­wahl am Widerstand innerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gegen die von der SPD nominierte Kandidatin Staatsrechtlerin gescheitert. Die Unionsvertreter hatten die Potsdamer Rechtsprofessorin zwar im Richterwahlausschuss des Bundestags mit nominiert und die Unionsfraktionsführung hatte sich für ihre Wahl ausgesprochen. Die Wahlen von Brosius-Gersdorf und zweier weiterer neuer Rich­te­r:in­nen für Karlsruhe mussten dann kurzfristig trotzdem von der Tagesordnung abgesetzt worden, weil die Fraktionsführung die mit dem Koalitionspartner verabredete Unterstützung nicht mehr garantieren konnte.

Brosius-Gersdorf hatte sich in einer persönlichen Erklärung und im Fernsehen gegen Vorwürfe zur Wehr gesetzt, sie sei eine Aktivistin, „linksextrem“ oder plädiere für ein unbeschränktes Recht auf Abtreibung. Klingbeil sagte zum Festhalten an der Kandidatur der Juristin, für ihn sei es „eine prinzipielle Frage, ob man dem Druck von rechten Netzwerken nachgibt, die eine hoch qualifizierte Frau diffamiert haben“. CSU-Chef Markus Söder hatte der SPD einen Austausch ihrer Kandidatin nahegelegt.

Der SPD-Parlamentsgeschäftsführer Dirk Wiese sagte der Rheinischen Post vom Montag laut Vorabbericht: „Es wäre gut, wenn einige aus der Union ihren offenen Widerstand gegen die gemeinsame Verabredung aufgeben und aktiv das Gespräch mit Professorin Brosius-Gersdorf suchen würden.“ Die schwarz-rote Koalition habe bereits viele wichtige Beschlüsse in den ersten Wochen ihrer Amtszeit auf den Weg gebracht. „Die gebrochenen Absprachen vonseiten der Union bei der Richterwahl trüben aber diese ordentliche Bilanz“, sagte Wiese.

„Keine Meisterleistung“

Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) kritisierte unterdessen auch die eigene Partei für das Vorgehen bei der missglückten Wahl: „Wie die Besetzung der Richterstellen bislang gelaufen ist, war zweifellos keine Meisterleistung“, sagte Wegner im Gespräch mit der Welt. Solche wichtigen Personalien müssten im Vorfeld vertraulich besprochen werden. Die Verabredungen müssten anschließend auch gelten. „Das hat in diesem Fall leider nicht funktioniert“, konstatierte der Unionspolitiker.

Er sei aber sicher, dass die Vorsitzenden der Fraktionen von Union und SPD eine einvernehmliche Lösung finden würden. Wegner warnte die Koalition davor, die Personalien den Interessen der Parteien unterzuordnen. „Es geht hier um die Besetzung des Bundesverfassungsgerichts – also einer Institution von herausragender Bedeutung in diesem Land. Das Bundesverfassungsgericht sollte nicht in parteipolitische Auseinandersetzungen hineingezogen werden“, mahnte Wegner.

Der frühere CSU-Chef und langjährige Bundestagsabgeordnete Horst Seehofer bekundete gegenüber der Augsburger Allgemeinen, er hätte Frauke Brosius-Gersdorf seine Stimme im Parlament gegeben. „Wenn die gesamte Führung von CDU und CSU einem Abgeordneten die Wahl empfiehlt, so wie geschehen, hätte ich sie gewählt“, sagte der ehemalige bayerische Ministerpräsident.

Bisher keine Lösung in Sicht

Eine Lösung in dem Streit ist derzeit nicht in Sicht. Die SPD hält an ihr fest. Der heutige bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte dem Stern hingegen, dass er „kaum mehr eine Möglichkeit“ für eine Wahl Brosius-Gersdorfs sehe. Es gebe durch die politische Debatte eine Art „Befangenheit“ bei der Personalie, die dem Gericht schaden könne. Mit Blick auf die SPD sagte er: „Mit dem Kopf durch die Wand zu gehen – da ist die Wand am Ende stärker.“

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) legte der Juristin indirekt einen Verzicht auf ihre Kandidatur nahe. „Frau Brosius-Gersdorf macht sich bestimmt Gedanken, wie sie mit dieser Situation umgeht“, sagte Dobrindt der Augsburger Allgemeinen auf die Frage, wie es nun weitergehe. „Als Bewerberin für eine Position im Verfassungsgericht hat man wohl kaum die Intention, die Polarisierung in der Gesellschaft weiter zu befördern.“

Sollte der Bundestag sich nicht über die Richter-Nachbesetzungen einigen können, geht die Entscheidung an den Bundesrat über. Davon hält Bundestagsvizepräsident Omid Nouripour nichts. „So aufgeladen wie die politische Stimmung derzeit ist, wird es im Bundesrat nicht zwingend besser. Darüber hinaus wäre dies ein fatales Signal hinsichtlich der Handlungsfähigkeit des Bundestags“, sagte der Grünen-Politiker dem Handelsblatt.

Der Linken-Abgeordnete Gregor Gysi äußerte im Reutlinger General-Anzeiger die Hoffnung, „dass die SPD hart bleibt und zu ihrer Kandidatin steht.“ Gysi warnte: „Sonst macht man die Tür auf, dass künftig immer CDU und CSU über die Besetzung der von der SPD nominierten Verfassungsrichter entscheiden“.

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11 Kommentare

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  • Liebe Kommune, Danke für Eure Beiträge! Wegen des hohen Kommentaraufkommens haben wir die Kommentarspalte nun geschlossen.

  • Die »Polarisierung in der Gesellschaft« von der Herr Dobrindt faselt gibt es überhaupt nicht. Die weit überwiegende Mehrheit von >80% der Bevölkerung(*) ist dafür und nur eine kleine, laute, radikal autoritäre und durch internationale Drecksorganisationen gepimperte Minderheit ist dagegen. Eine Polarisierung gibt es nur in der cDU/cSU-Fraktion, die der Parteivorstand nicht im Griff hat.

    Unbedingt hart bleiben, Herr Viezekanzler!

    (*)taz.de/Umfrage-zu-...tschland/!6004352/

  • "Klingbeil fordert"



    ich lach mich scheckig.

  • Ist deren Mann nicht wegen rechter Verbindungen aufgefallen? Das sollte man genau prüfen bitte.

  • Das Verhalten der cSU ist empörend. Liegt es daran, dass sie der AgD deutlich näher stehen als allen anderen Parteien??

  • Markus Söder war schon immer eine äußerst hinterhältige Personalie. Befangen sind die Abgeordneten der Unionspartei, nicht eine fehlerlose Staatsrechtlerin dessen einziger „Fehler“ die Aufmerksamkeit rechtsextremer Agitateure war. Saskia Ludwig (CDU) etwa.

  • Hajo Schumacher, Helene Bubrowski, Robin Alexander, Wiebke Hollersen und Cornelius Pollmer, die "Journalisten-Elite" im radio eins Kommentatoren-Talk glaubt nicht mehr daran, dass Brosius-Gersdorf für die Wahl zur Verfassungrichterin nominiert werden kann, da zu viele CDU/CSU-Abgeordnete dagegen seien.

    Was für ein Trauerspiel, denn die Vorwürfe gegen Brosius-Gersdorf sind zusammengefallen, was also liegt näher, als dass eben diese Journalisten jene CDU-CSU-Abgeordnete genau zu den Gründen befragen, die noch gegen eine Wahl vom Brosius-Gersdorf sprechen? Oder wollen diese in einer feigen Anonymität verharren?

    Die Journalisten im ARD-Presseclub mussten sich von einer empörten Zuschauerin vorhalten lassen, dass keine Vorwürfe mehr gegen BG mehr vorhanden seien, da diese in sich zusammengefallen seien, wie auch Stellungnahmen der katholischen Kirche zeigen.

    Dies zeigt, dass die Debatte um BG nicht beendet ist, sondern erst am Anfang steht, wenn denkfaule Journalisten ihren Job machen. Auch die SPD und die Grünen und die Linke sollten in diese Diskurs mit Fragen einbezogen werden.

  • Ist das geil !



    Wenn es unsere Demokratie nicht so eklatant beschädigen würde könnte man sich auf die Schenkel schlagen !

    Aber leider ist es ein unsägliches Trauerspiel.

    Die Parteien, egal welcher Coleur, stellen ihr Parteiinteresse vor das Interesse des Staats und der Bevölkerung.



    Und das ist perfide, infam und zutiefst unehrlich.

  • Wie kann Herr Klingbeil anderen Abgeordneten vorschreiben, diese Richterin bei einer demokratischen Wahl zu wählen? Es stehen drei Richterinnen zur Wahl. Und eine Wahl kann halt auch das Ergebnis haben, dass gegen die Ernennung einer Richterin gestimmt wird. Genau das macht doch eine Demokratie aus. Und dann muss halt eine andere Richterin zur Wahl gestellt werden.

  • Markus Söder ist ein riesengroßes Sommerloch. Bereit selbst dazu, dass die demokratieprinzipiell notwendige Unabhängigkeit der Justiz in ihm verschwinde. Das ist eine Schande für Deutschland.

  • Man betreibt erst Rufmord, stellt dann fest, dass es alles Lügen waren und trotzdem soll die Person, die Ziel der ganzen Schweinerei war, jetzt freiwillig verzichten, denn die habe „wohl kaum die Intention, die Polarisierung in der Gesellschaft weiter zu befördern.“



    Perfider geht es kaum. Mit der Methode könnte zukünftig alles verhindert werden, der Stillstand wäre vorprogrammiert.