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Streit um WehrdienstStolpern vorm Strammstehen

Ein unklares Losverfahren und viele offene Fragen: Bei der Reform des Wehrdiensts zerstreitet sich Schwarz-Rot. Und eine Gruppe bleibt ungehört.

Nachwuchs für die Bundeswehr: Da sind noch viele Hürden zu überwinden Foto: RAINER UNKEL/imago

Quentin Gärtner will dem Verteidigungsminister endlich seine Meinung sagen. Am Freitag war der 18-Jährige zu Besuch bei Boris Pistorius im Bendlerblock, um ihm vorzuhalten, dass es mit der Gesetzgebung rund um den neuen Wehrdienst nicht so weitergehe. Er wolle dem Minister sagen, dass Verteidigungspolitik nicht dort beginne, „wo man 18-Jährigen ein Gewehr in die Hand drückt und sie durch den Schlamm robben lässt“. Das sagte Gärtner, Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, vor dem Treffen mit Pistorius der taz. Ihn ärgert, dass junge Menschen bei den Überlegungen zum Wehrdienst nicht schon viel früher eingebunden wurden.

Doch angesichts des Chaos in der Koalition ist fraglich, wie viel Gehör seine Stimme tatsächlich findet: SPD-Mann Pistorius hatte sich mit Teilen seiner eigenen Fraktion angelegt, die Union traut der SPD bei der Gesetzesreform nicht mehr richtig über den Weg, und eine Pressekonferenz wurde kurzfristig wieder abgesagt, in der eigentlich Ergebnisse präsentiert werden sollten. Selbst Bundespräsident Steinmeier (SPD) bezeichnete die bisherige Bilanz der Regierung beim Wehrdienst als „kommunikative Fehlleistung“.

Am Dienstagabend sendete das ZDF live, um über eine Einigung zwischen den Fraktionen zu berichten, die ein Losverfahren zur Musterung beinhalten sollte. Zu sehen waren dann die versammelte Hauptstadtpresse und ein Sitzungssaal ohne Gastgeber. Der Verteidigungsminister war mit der zuvor verkündeten Einigung zwischen SPD und Union nicht einverstanden.

Kein Automatismus zur Wehrpflicht

Bei dem Streit geht es im Kern um eine gesellschaftlich höchst umstrittene Frage: Unter welchen Umständen können junge Menschen für einen Dienst bei der Bundeswehr verpflichtet werden? Im Gesetzentwurf, den die Bundesregierung im August verabschiedet hatte, heißt es: Sollten sich trotz attraktiverer Konditionen nicht genügend Freiwillige für die Bundeswehr finden, kann die Regierung eine Wehrpflicht einführen. Der Bundestag soll so einem Vorhaben dann zwar noch zustimmen oder es ablehnen dürfen – nicht jedoch aktiv ein klassisches Gesetzesverfahren gestalten, wie genau die Wehrpflicht dann aussehen soll.

Schnell riefen diese Überlegungen der Regierung Ju­ris­t*in­nen auf den Plan, die argumentierten, dass eine solche Vorgehensweise verfassungswidrig sein könnte, weil der Bundestag bei einem Grundrechtseingriff wie der Einführung der Wehrpflicht mehr zu sagen haben müsste. Die Union forderte zudem einen Fahrplan für den Fall, dass die Bundeswehr nicht wie geplant genügend Freiwillige findet. Doch da steht die SPD mit dem Rücken zur Wand.

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Denn die Sozialdemokraten hatten Ende Juni auf ihrem Parteitag beschlossen, dass es keinen Automatismus hin zu einer Wehrpflicht geben dürfe, wenn es mit der Freiwilligkeit bei der Bundeswehr nicht klappt. Diesen Kompromiss hatte Verteidigungsminister Pistorius in größter Mühe den Jusos abgerungen, die eigentlich komplett gegen eine Wehrpflicht waren. Für die SPD kommt es deshalb ungelegen, dass sie sich auf Druck der Union zu einer klareren Regelung der Wehrpflicht bekennen soll.

Doch aufseiten der Union hören die Forderungen nicht auf: „Wir müssen klar, transparent und kontrollierbar einen Aufwuchspfad für die Bundeswehr im Gesetz verankern“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Norbert Röttgen, am Donnerstag im Bundestagsplenum bei der Einbringung des Gesetzes. Es gäbe einen klar definierten Bedarf von 260.000 aktiven Soldatinnen und Soldaten und 200.000 Reservistinnen und Reservisten bis Anfang der 2030er Jahre. Für den Fall, dass diese Zahlen nicht über Freiwilligkeit zu erreichen seien, müsse es den Plan für ein Pflichtmodell geben. „Da stellt sich die Frage der Wehrgerechtigkeit, und im Gesetzentwurf steht dazu nichts.“

Pistorius zeigt sich kompromissbereit

Röttgen hatte in den vergangenen Wochen in einer Arbeitsgruppe mit seinem Fraktionskollegen Thomas Erndl (CSU) und den beiden SPD-Abgeordneten Siemtje Möller und Falko Droßmann den Entwurf ausgearbeitet, der diese Woche unter dem Schlagwort der Wehrdienst-Lotterie für so viel Aufregung sorgte. Sie wollten ihre Ergebnisse eigentlich auf der am Dienstag geplatzten Pressekonferenz verkünden.

Mit dem ursprünglichen Gesetzentwurf von Pistorius haben die Pläne der Arbeitsgruppe fast nichts mehr zu tun. Gemeinsam ist beiden Ideen nur, dass junge Männer ab dem 1. Januar einen Fragebogen zu ihrer Motivation für einen Dienst bei der Bundeswehr ausfüllen müssen. Zusätzlich schlägt die Arbeitsgruppe vor, mittels eines Losverfahrens zu bestimmen, wer zu einer verpflichtenden Musterung erscheinen soll. Falls sich so nicht genügend Freiwillige finden lassen, soll dann nach einem Gesetzesbeschluss des Bundestages eine Wehrpflicht greifen, für die entsprechend der Bedarf der Bundeswehr auch wieder unter den jungen Männern gelost werden soll.

In der Bundestagsdebatte riet Linken-Abgeordnete Desiree Becker allen jungen Menschen, sich nun über eine Kriegsdienstverweigerung zu informieren. „Wir brauchen keine Kriegs- sondern eine Friedenstüchtigkeit“, sagte sie.

Scharfe Kritik äußerte auch der Verteidigungsminister, der seinen Gesetzentwurf entkernt sah und darauf pochte, dass, wie von ihm vorgeschlagen, ab Juli 2027 alle 18-jährigen Männer verpflichtend gemustert werden – so möchte er die Wehrerfassung in der Breite gewährleisten. In der Fraktionssitzung der SPD soll es deshalb zu einer heftigen Diskussion zwischen Pistorius und Siemtje Möller gekommen sein, bei der es auch darum gegangen sein soll, wie ein Losverfahren rechtlich überhaupt umgesetzt werden könne.

Etliche offene Fragen

Die SPD versuchte diese Auseinandersetzung zu befrieden, indem gleich beide Po­li­ti­ke­r*in­nen in der Bundestagsdebatte eine Rede hielten. Zudem verfassten Pistorius und Möller am Freitag noch einen Brief an die SPD-Fraktion, in dem sie ihre wiedererlangte Einigkeit demonstrieren wollten. Ist also alles wieder gut?

Pistorius zeigte sich im Bundestag kompromissbereit. „Ich finde das okay, dass es andere Vorschläge gibt, dafür ist das parlamentarische Verfahren da“, sagte er in seiner Rede. Möller lobte Pistorus dafür, einen „exzellenten Gesetzentwurf“ auf den Tisch gelegt zu haben. Gleichzeitig betonte sie noch mal, dass die Arbeitsgruppe mit der Union ein „gutes Modell“ erarbeitet habe. Auch Röttgen von der Union kündigte in seiner Rede an, nicht von dem Beschluss der Arbeitsgruppe abzurücken.

Für die zweite und dritte Lesung im Bundestag müssen Verteidigungsministerium und die Koalition einen Kompromiss finden. Ein möglicher Weg könnte sein, dass Pistorius seine verpflichtende Musterung für alle 18-jährigen Männer bekommt. Für den Fall, dass sich über die Freiwilligkeit nicht genügend Sol­da­t*in­nen finden, könnte dann eine Wehrpflicht über ein Losverfahren unter den als tauglich gemusterten Männern eingeführt werden. Hier müsste das Parlament aber noch dutzende Fragen klären: Kann, wer sich mustern lässt, danach seine Kriegsdienstverweigerung einreichen? Gibt es für diese Männer dann im Falle einer Wehrpflicht wieder einen Ersatzdienst?

Gilt im Zivildienst dann auch die von Pistorius für die jungen Sol­da­t*in­nen angedachte Bezahlung von 2.300 Euro netto, die mehr als das Gehalt vieler Fachkräfte in der Pflege und im Erziehungsbereich wären?

All das ist noch offen. Quentin Gärtner von der Bundesschülerkonferenz kann sich zumindest darüber freuen, im weiteren Gesetzesvorhaben noch ein Wörtchen mitreden zu können. Die Grünen haben ihn zu der Expertenanhörung am 10. November in den Bundestag eingeladen.

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