piwik no script img

Streit um Wehrpflicht per LosverfahrenSchwarz-roter Dilettantenstadl

Pascal Beucker

Kommentar von

Pascal Beucker

Anders als angekündigt erzielen Union und SPD doch keine Einigung in ihrem Streit um die Reformierung des Wehrdienstes. Aber es gibt Schlimmeres.

Bundeswehrsoldat bei einer Nato-Übung 2018 in Norwegen. Damals noch ohne Losverfahren Foto: Pascal Beucker

E s erinnert an die Endphase der Ampelkoalition: Da laden die Koalitionäre am späten Dienstagvormittag zu einer Pressekonferenz am frühen Abend ein, um dort ihre Einigung in einem langen und in aller Öffentlichkeit ausgetragenen Streit bekannt zu gegeben – um dann den wartenden Jour­na­lis­t:in­nen 20 Minuten nach dem eigentlich anvisierten Beginn ohne Begründung die Absage mitzuteilen.

Dass die vermeintlich zwischen Union und SPD erzielte Verständigung zur Reform des Wehrdienstes, die bereits an zahlreiche Medien durchgestochen worden war, kurz vor der offiziellen Verkündung geplatzt ist, zeugt von dem desaströsen Zustand der beiden Regierungsparteien, die einst mal als Große Koalition bezeichnet wurden. Sie sind offenkundig nicht in der Lage, eine vertrauensvolle und stabile Basis für ihre Zusammenarbeit zu finden.

Allerdings klang das, was die Un­ter­händ­le­r:in­nen von CDU, CSU und SPD mit dem Plazet ihrer Partei- und Fraktionsführungen da ausbaldowert hatten, auch schon ziemlich bescheuert. Auf so eine Idee, auslosen lassen zu wollen, welche jungen Männer überhaupt zur Musterung müssen, muss man erst einmal kommen. Noch kurioser ist, dass sie aus den Reihen von CDU und CSU stammt.

Die Union hatte sogar bereits eine Pressemitteilung vorbereitet, in der zu lesen war, dass künftig „mittels eines Zufallsverfahrens bestimmt“ werden solle, „wer zur verpflichtenden Musterung erscheinen muss“. Sollten sich danach nicht genügend Freiwillige finden, dann könnten „durch ein Zufallsverfahren ausgewählte Männer für den Wehrdienst verpflichtet werden“.

Das Logo der taz: Weißer Schriftzung t a z und weiße Tatze auf rotem Grund.
taz debatte

Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.

Grober Unfug

Aus militärischer Sicht würde Letzteres durchaus Sinn ergeben, weshalb ein solches Verfahren beispielsweise auch in Dänemark inzwischen praktiziert wird. Ersteres ist jedoch grober Unfug. Denn das würde zum einen dazu führen, dass es auch weiterhin keinen vollständigen Überblick gibt, auf wen die Bundeswehr im Verteidigungsfall eigentlich zurückgreifen könnte. Aus gutem Grund steht in dem vom Bundeskabinett verabschiedeten Gesetzesentwurf eine verpflichtende Musterung für alle 18-jährigen Männer ab Juli 2027.

Zum anderen besteht bei einem solchen Losverfahren für die Bundeswehr die nicht zu unterschätzende Gefahr, dass dabei ausgerechnet viele ausgewählt werden, die entweder nicht können oder nicht wollen. Das wäre jedoch in einem hohen Maße dysfunktional. Von daher verwundert es nicht, dass Verteidigungsminister Boris Pistorius dagegen auf die Barrikaden gegangen ist.

Gewisse Vorteile würde das Verfahren, auf das sich Union und SPD nun doch nicht verständigt haben, hingegen für Antimilitaristen und Gegner von Zwangsdiensten bieten. Zumindest wäre die Aussicht, bei einem Losverfahren um die blöde Musterung herumzukommen, ziemlich groß. Schließlich gibt es gegenwärtig rund 350.000 Männer pro Jahrgang, von denen die Bundeswehr jedoch höchstens wenige Zehntausend benötigt, um auf ihre innerhalb der Nato vereinbarte perspektivische Zielzahl von 260.000 Sol­da­t:in­nen zu kommen.

Wer nicht ausgelost würde, könnte dann auch wohl schlecht zu einem „Ersatzdienst“ herangezogen werden, wie es die schwarz-rote Koalition gerne hätte. Für „Lospech“ kann man schließlich nichts – und der Kriegsdienst kann erst nach der Musterung verweigert werden. Und wenn man „Losglück“ hat, könnte man immer noch schnell verweigern. Der langjährige Unionsfraktionschef und alte Stahlhelmer Alfred Dregger dürfte sich im Grab umdrehen, was für Di­let­tan­t:in­nen da in der CDU und der CSU am Werk sind.

Vielleicht hat es aber auch etwas Beruhigendes, wenn es bei jenen, die Deutschland wieder „kriegstüchtig“ machen wollen, nicht einmal zur Politikfähigkeit reicht. So wird das jedenfalls nichts mit der Ankündigung von Friedrich Merz, die Bundeswehr zur „stärksten Armee Europas“ zu machen. Was angesichts der deutschen Geschichte nicht als die schlechteste Aussicht erscheint. Fest steht indes, dass sich die schwarz-rote Koalition im Vergleich zur Bundeswehr in einem deutlich schlechteren Zustand befindet.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Pascal Beucker
Inlandsredakteur
Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft. Sein neues Buch "Pazifismus - ein Irrweg?" ist Mitte vergangenen Jahres im Kohlhammer Verlag erschienen.
Mehr zum Thema

0 Kommentare