piwik no script img

Streit um WehrpflichtDie logische Steigerung von alternativlos ist Los

Wer den Zufall entscheiden lässt, entledigt sich jeglicher Verantwortung. Wie praktisch: Eine Tombola veranstalten, anstatt selbst nachzudenken.

Das Losverfahren dient der Herbeiführung einer Entscheidung nach dem Zufallsprinzip Foto: H.Tschanz-Hofmann/imago

A brakadabra Zimtstange lauten die geeigneten Worte für den Einstieg dieser Kolumne. Warum, fragen Sie? Weil ich sie mittels eines Zufallsverfahrens unter Verwendung von Duden und Würfel ausgewählt habe. Warum, fragen Sie? Weil ich mir als aufstrebender Autor bei Fragen der Entscheidungsfindung gerne Inspiration von echten Profis hole: der Bundes-CDU. Die wollte ja die unangenehme Entscheidung, wer zur Musterung gerufen wird, durch Los klären lassen.

Und auch wenn diese geniale Verwaltungstechnik beim Musterbeispiel Musterung jetzt wohl nicht zum Zuge kommt, weil Verteidigungsminister Boris Pistorius meckerte, hat das Prinzip Zufall bei Entscheidungen einen, ähm, entscheidenden Vorteil, ob mit Würfel oder Los: Es befreit die Verantwortlichen davon, für Unangenehmes verantwortlich gemacht zu werden. Klar, Selfies mit Friedensbringer Trump auf Nato-Aufrüstungsgipfeln machen sich gut.

Aber den Wählern danach erklären müssen, warum ausgerechnet ihre Kinder jetzt Tarnfleck tragen müssen? Ein PR-Desaster. Im Neoliberalismus ist Los die logische Steigerung von alternativlos. Die Union sollte diesen Impuls der Schicksalshörigkeit für die gesamte Wehrfrage nutzen. Aber im Zeitalter von Shitstorms und Empörungswellen ist die Los-Idee auch in anderen Politikfeldern ein Sechser im Lotto. An unbeliebten Weisungen sind dann nicht „die da oben“ schuld, sondern das Schicksal – findet man im Duden sogar als Synonym für Los (sogar ohne Würfel!).

Nach der Entscheidungspflicht: die Willkür. Die Möglichkeiten sind schier unglaublich! Welcher Asylantrag wird abgelehnt? Losen! Wer muss welchen Steuersatz blechen? Würfeln! Wer bekommt in unserem maroden Gesundheitssystem einen der seltenen Krebsvorsorge-Termine? Schnick Schnack Schnuck! Welche Kommunen werden bei der Klimakatastrophe als erstes gerettet? Münze werfen! Wie löst man festgefahrene außenpolitische Probleme wie den Nahost-Konflikt oder den Ukraine-Krieg?

Thomas Salter

würfelt hauptberuflich bei tazeins Themen­mischungen zusammen.

Bingo, Sie haben es verstanden! Na ja, nicht Bingo, aber … obwohl – warum eigentlich nicht? Hauptsache Willkür: Tombola für Infrastrukturprojekte! Mensch-Ärger-dich-nicht ersetzt die lästige Bürgergeldbürokratie! Monopoly, um den Mietmarkt neu zu strukturieren! Oder Risiko als Grundlage fürs nächste Weißbuch? Ich jedenfalls übernehme das Prinzip. Was meinen Sie? Entscheiden Sie selbst! Und würfeln Sie ruhig.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • Merkwürdigerweise geht die Diskussion wie beim Bürgergeld am Thema vorbei. Wer die Möglichkeiten der Berufsfindung, Orientierung und Problemlösung durch Jobcenter nicht nutzt steht ohne diese Chancen sehr viel schlechter da.

    Und wer glaubt als Zvivilist bessere Chancen zum Überleben zu haben sollte sich die russische Kriegsführung in der Ukraine mal genauer anschauen.

    Als Spezialist im Flugabwehrraketendienst ist Mann/Frau wenigstens aktiv damit beschäftigt sich und andere zu schützen - aktive Abwehr ist auf jeden Fall besser als in einer Kita oder Krankenhaus zitternd zu warten bis eseinen trifft.

    Findet ein Angriff auf die Nato oder / und /auf die Bundesrepublik wider Erwarten nicht statt gibt es bei der Bundeswehr genügend Berufe und Fachbereiche deren gemachte Erfahrungen auch im zivilen Leben sinnvoll sein können.

    Die aktive Entscheidung unter Umständen Pflegekraft oder Elektroniker werden zu sollen einem Losverfahren zu überlassen ist einfach nur verrückt und passt nicht zur Demokratie.

  • Ich als junger Mensch würde nicht für Herr Imperialist und Co. in den Krieg ziehen. Bitte auch mal bei unseren Politikern nachfragen, wann diese gedenken, ihre Söhne an die Front zu schicken. Hat denn nicht der Robert zwei bald im wehrfähigen Alter befindliche Söhne in einer dänischen Privatschule? Hygge kann man sich auch ein bisschen an der Ostfront gestalten. Oder?

  • Ehrlich gesagt (vom Rest der Debatte Wehrpflicht ja/nein einmal abgesehen) ist das Losverfahren in meinen Augen ziemlich genau das Gegenteil von neoliberal. Im Neoliberalismus können sich die, die es sich leisten können, immer besser stellen: Anwälte gegen Wehrpflicht und für Studienplatz, medizinische Behandlung und Wohnraum sowieso. Das Los wäre in all diesen Fällen eine Verbesserung zum status quo.

  • Union = kompetenzLos.



    Der aktuellen Diskussion ging ja der Wunsch der Union vorraus, die Wehrpflicht bereits in diesem Jahr wieder einzuführen.



    Dagegen sprechen die immer gleichen Argumente: Keine Wehrerfassung, keine Kasernen, keine AusbilderInnen.



    Aber was kümmert es die Union?



    Es geht ihr, in erster Linie, um eine Beschädigung des beliebten Verteidigungsministers.



    Wer hier von links zustimmt, beschädigt einen möglichen Kanzlerkandidaten, der vielleicht Erfolgsaussichten qua Kompetenz hat .



    Das Los ist eine Nummer, die die notwendige gesellschaftliche Diskussion ausblendet.



    Nicht nur die Ukraine, auch Europa ist bedroht. Die Angriffe sind im Anfangsstadium, aber nicht zu ignorieren.



    Sich zurück zu lehnen und einfach nichts zu tun, wird der Situation nicht gerecht.



    Es geht um die Verteidigung unserer Freiheit und unserer Demokratie.



    Direkt wird die von Russland aus bedroht, indirekt von den USA , durch möglichen Entzug der Unterstützung, sowie wirtschaftlichem und informationspolitischem Druck.



    In einer solchen Situation wäre gesellschaftsstiftende Arbeit notwendig.



    Die Argumente dafür liegen auf der Hand.



    Doch der schwache "Kanzler" will die Junge Union besänftigen.

  • Dann verlosen wir am besten auch das Renteneintrittsalter.



    😁



    Wer mit 65 schon darf, und wer bis 70 muss.



    Wäre doch auch gerecht, oder?

  • Na, dann hoffe ich, dass sich jemand "vom einwandfreien Zustand des Ziehungsgeräts überzeugt" hat. Entsetzlich verkorkste Ideen, die uns die Regierungskoalition da vorsetzt.



    Ein Gesetz für die Jahrgänge ab 2008. Also für heute Jugendliche und Kinder, die - wie praktisch - nicht wählen dürfen und damit auch nicht mitentscheiden. Warum nicht die Jahrgänge seit Aussetzung der Wehrpflicht mit einbeziehen (müsste so ab 1993 sein)? Ach so, die dürfen wählen, sind berufstätig, haben vielleicht schon Familie. Wie unangenehm.



    Und 15 Jahrgänge zu mustern, würde eine Infrastruktur erfordern, die wir ganz schnell weggespart hatten. Wehrhafte Demokratie ja, aber doch bitte billig - der Verteidigungsminister in einem schicken Eurofighter macht sich auf dem Foto gut, die Warteschlange bei der Musterung weniger. Kann es sein, dass wir uns die Verteidigung dieses Landes finanziell vielleicht nicht leisten wollen? Darüber sollte jeder 18-jährige, der zur BW soll mal gründlich nachdenken.



    Außerdem... machen wir das Thema Zivildienst auch wieder auf? Lohnt sich eine sechsmonatige Ausbildung überhaupt (wer erinnert sich an das Gejammer beim 9-monatigen Wehrdienst)?

  • Wenn Losentscheid zum Wehrdienst, dann bitte auch Losentschied, wer mit 65 in Rente gehen darf, und wer erst mit 67 oder 70.

  • Das Losverfahren war in der attischen und wäre auch in den modernen Demokratie ein probates Verfahren, um Mitglieder einer die Diversität einer Gesellschaft repräsentative Versammlung zu bestimmen. Repräsentativer als eine ausgewählte Elite wäre sie allemal, auch wenn dafür keine wissenschaftliche Kriterien angelegt werden.

    Wenn es aber darum geht, dass eine Gesellschaft einem Teil ihrer Mitglieder eine Dienstpflicht auferlegen will, kann ein Losverfahren nicht gerecht sein und nicht die herausfinden, die für diesen Dienst die Eignung und den Willen mitbringen, ihn zum besten Wohl der Gemeinschaft zu erfüllen. Für eine Berufsarmee sollte Eignung und Freiwilligkeit im Vordergrund stehen. Wenn es darum geht, eine grundausgebildete Reserve für den Kriegsfall, indem jedeR zum Dienst verpflichtet werden kann, zu haben, geht an einer kürzeren allgemeinen Wehrpflicht kein Weg vorbei. Diese sollte aber demokratisch (s.o.) beschlossen werden.

    Bevor eine Dienstverpflichtung Sinn macht, müsste die Bundeswehr erst einmal ihre Kapazitäten für Unterbringung und Ausstattung, von Socken bis Kriegsgerät, von Tausenden Wehrpflichtigen ausbauen.

  • Das beste Ergebnis durch einen Losentscheid erzielen zu können, das ist eher unplausibel.



    Es gibt erstaunliche "schicksalhafte" militärische Entscheidungen, die heutzutage nicht mitgedacht werden in Worten wie "dezimieren".



    demokratie.plus/20...roemische-methode/

  • Oder wir lassen die Wehrpflicht einfach ganz bleiben. Und am besten auch eine große Aufrüstung. Sinnvoller wäre es da den Polen etwas finanziell unter die Arme zu greifen. Abgesehen von Russland (und auch das halte ich für unwahrscheinlich) sehe ich kein Land gegen das Deutschland potentiell seine Landesgrenzen verteidigen müsste.



    Es gibt nun wirklich sinnvollere Möglichkeiten das Geld auszugeben, damit die AFD nicht bald doch stärkste Partei wird. Viele Menschen scheinen das Risiko leider immer noch zu unterschätzen. Für uns ist der aufkeimende Faschismus vor unseren Augen eine größere Gefahr als ein Angriff von Russland auf Deutschland.

  • Mein erster Gedanke war:



    Hier ist es ungerecht per los zu entscheiden und ein Problem?

    Und in NRW werden die Plätze an ALLE. weiterführenden Schulen vergeben nach



    1:Geschwister an der Schule



    2: los

    Irrelevant: Empfehlung, bisherige Leistung, Wohnort. Ob als das begabte Kind mit guten Noten einen Platz am Gymnasium bekommt oder der „potenzielle Spätzünder“ mit 4en, den die Eltern am Gymi sehen wollen: Los.

    Als wenn das Verfahren zerreißen, dann bitte komplett! Und nicht in NRW als gerechte Möglichkeit sehen und hier als Zumutung.

  • Dieses vorgeschlagene Losverfahren ist wirklich Unsinn. Allerdings musste ich als die Meldung in den Nachrichten gekommen war gleich an die Bürgerräte denken, die werden (bzw sollen) doch auch per Los bestimmt werden.

    "Wer den Zufall entscheiden lässt, entledigt sich jeglicher Verantwortung. Wie praktisch: Eine Tombola veranstalten, anstatt selbst nachzudenken."

    Da sollten die Grünen und alle die Bürgerräte wollen mal in sich gehen.

    Wenn man Wehrpflicht will, kann man doch mal nachschauen wie das zu Beginn der Bw in den 1950ern organisiert worden war, da gab es doch eine ziemlich ähnliche Lage.